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Deutschlands größte Corona-Party

Bundesweit demonstrieren Tausende Menschen gegen die Corona-Einschränkungen – darunter Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme. Die Politik reagiert hilflos

Aus Stuttgart und Berlin Benno Stieber und Konrad Litschko

Es waren Tausende, die am Samstag auf die Straße gingen – um gegen die Corona-Einschränkungen zu protestieren. Wohl mehr als 10.000 Menschen in Stuttgart, 3.000 in München, 2.000 in Nürnberg, 1.000 in Berlin und viele weitere in anderen Städten. Besorgte Bürger, Verschwörungstheoretiker, Impfgegner, linke Esoteriker, auch Rechtsextreme standen da gemeinsam auf der Straße. Nun diskutiert die Politik: Wie damit umgehen? Und: Wächst da eine neue Bewegung heran?

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) warnte am Sonntag vor einer „toxischen“ Mischung, wenn sich Bürger mit Existenzsorgen mit AfD- und Pegida-Anhängern verbündeten (siehe rechte Spalte). Auch FDP-Chef Christian Lindner kritisierte am Sonntag Teile der Protestierenden, die derzeit gegen die Coronamaßnahmen auf die Straße gingen – und damit auch seinen Parteifreund Thomas Kemmerich, der sich im Thüringischen Gera den Protesten angeschlossen hatte. „Wer sich für Bürgerrechte und eine intelligente Öffnungsstrategie einsetzt, der demonstriert nicht mit obskuren Kreisen und der verzichtet nicht auf den Abstand und Schutz.“

Tatsächlich ist es nicht so leicht bestimmbar, wer da gerade aus welchen Motiven auf die Straße geht. Zur Hochburg entwickelt sich dabei Süddeutschland, vor allem Stuttgart. Dort versammelte sich am Samstag auf der Cannstatter Wasen eine wilde Mischung aus besorgten Bürgern und Verschwörungsideologen fast aller politischer Schattierungen. Aufgerufen hatte dazu der Waiblinger Unternehmer Michael Ballweg. Manche der DemonstrantInnen trugen das Grundgesetz um den Hals, Deutschlandfahnen flatterten neben Pace-Fahnen im Wind. Andere kamen mit selbst gebastelten Transparenten, mit Aufschriften wie: „Wegen 137 Toten zerstört die Politik die Psyche der Menschen“, „Wir sind nicht die Sklaven der Diktatur Angela“. Vor allem fielen viele T-Shirts auf, deren Träger Bill Gates und seine Stiftung hinter dem Corona-Lockdown vermuten: „Gib Gates keine Chance“, oder noch geschmackloser „Kill Bill“ ist da zu lesen.

Tatsächlich ist es nicht so leicht bestimmbar, wer da gerade auf die Straße geht

Auf 10.000 Teilnehmer hatte die Stadt Stuttgart die Zahl der Demonstranten wegen des Infektionsschutzes begrenzt. Aber man muss kein Freund der Bewegung sein, um die Zahl der Teilnehmer auf wesentlich mehr zu schätzen. Zwar hatten die Organisatoren weiße Kreuze im Abstand von zwei Metern auf den Boden gesprayt, doch vor allem vor der Bühne wurde es trotzdem eng. Und unter den einzelnen Gruppen, die angaben, zum selben Haushalt zu gehören, wurden gern demonstrativ Hände geschüttelt und umarmt.

Die Menge sah aus, als hätte jemand Pegida-Klientel mit linken Protestbewegungen verquirlt. Am Rande wurde meditiert und zum Frieden aufgerufen; Impfgegner und Tierfreunde trafen auf Leute, die sagten, es sei ihre erste Demonstration. Darunter viele Kleinunternehmer, Gastronomen, Friseure, die stolz ihr Firmenlogo auf Mütze oder Poloshirt gedruckt haben. Leute, die die Krise in ihrer Existenz trifft.

Aber man erkannte auch geübte Demonstrationsgänger. Darunter Rechtsextreme, die etwa Jürgen Elsässers Compact-Magazin verteilten. Die Rechten standen etwas unentschlossen herum, während von der Bühne „We shall overcome“ gesungen wurde, die Hymne der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Doch um solch eine amorphe Menge zu einer echten Protestbewegung zu formen, braucht es politische Köpfe. Der Initiator der „Querdenken“-Bewegung, der Digitalunternehmer Ballweg, ist das erkennbar nicht. Auch der Sinzheimer Internist Bodo Schiffmann und der Leipziger Rechtsanwalt Ralf Ludwig, die Ballweg unterstützen und die Corona-Protestpartei „Widerstand 2020“ gründeten, machten nicht diesen Eindruck.

Was auch immer die Versammelten ansonsten trennen mag, sie alle verbindet ihre bisweilen fanatische Gegnerschaft zum Lockdown. So beschimpfte der Hannoveraner Professor Stefan Homburg von der Bühne herab unter Jubel Wissenschaftler, die die Regierung in der Coronakrise beraten, als „allesamt korrumpiert“. Homburg, der als Ökonom im Staatsdienst gerne mal Rentenkürzungen fordert, schreckte auch vor Nazivergleichen nicht zurück. Seit Corona verstehe er besser, was 1933 bei der Machtergreifung passiert sei. Zweifelhafter Höhepunkt des Nachmittags war Ken Jebsen, ein digitaler Wanderprediger, der auf seinem Youtube-Kanal immer wieder Verschwörungstheorien verbreitet. Ein Lob auf das Grundgesetz verband er mühelos mit der Behauptung, Deutschland sei seit 1949 nur eine „Demokratiesimulation“. Jebsen, der sich mit der rätselhaften Formel „Ich bin Ken Jebsen, meine Zielgruppe bleibt der Mensch“ vorstellte, ist dabei selbst so etwas wie eine Politiksimulation. Er verschwand nach wenigen Minuten von der Bühne, weil er, wie er sagte, mit den Menschen „auf Augenhöhe sprechen“ wolle. Der nun unsichtbare Jebsen warnte dann vor einer angeblichen Impfpflicht. Sie nutze angeblich nur einem, dem amerikanischen Milliardär Bill Gates, der das alles von langer Hand eingefädelt habe.

Und es war nicht nur Stuttgart. In Berlin, Nürnberg, Dortmund oder anderswo mischten sich Rechtsextreme noch deutlich offensiver unter die Demonstranten – und versuchten dem Ganzen ihren Stempel aufzudrücken. „Wir sind das Volk“, wurde da skandiert. Und zum „Widerstand“ aufgerufen, über die „Lügenpresse“ geschimpft. Als sich in Berlin einer der Organisatoren gegen Nazis aussprach, wurde er von Umstehenden wütend als „Spalter“ beschimpft.

Bereits neulich warnten mehrere Innenminister der Länder vor einer rechtsextremen Vereinnahmung der Proteste. Tatsächlich kam es nun auch zu Gewalt. In Nürnberg bedrängten Rechte Polizisten, nachdem diese eine Spontandemonstration untersagt hatten. In Dortmund versuchte ein Rechtsextremist laut WDR, einem Journalisten die Kamera aus der Hand zu schlagen und verletzte ihn dabei leicht am Kopf.

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