piwik no script img

Viele Plakateauf wenig Raum

Am 1. Mai demonstriert die linke Szene in Berlin und Hamburg trotz Verbots. Kaum Ausschreitungen. Kritik wegen geringer Abstände

„Konnten den Infektionsschutz nicht so durchsetzen, wie ich es mir gewünscht hätte“

Berlins Innensenator Geisel (SPD)

Aus Berlin und HamburgErik Peter, Gareth Joswig, Katharina Schipkowskiund Gereon Asmuth

Der Polizei ist es am 1. Mai nicht gelungen, bei den linken Protesten in Berlin-Kreuzberg die Coronaregeln durchzusetzen. Größere Ansammlungen von DemonstrantInnen wie auch von Schaulustigen konnte sie trotz eines Großaufgebots von 5.000 BeamtInnen nicht verhindern. Das haben Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) und Polizeipräsidentin Barbara Slowik am Samstag eingeräumt.

Zwar hatte die autonome Szene wegen der Corona-Epidemie auf ihre traditionelle 18-Uhr-Demonstration verzichtet. Stattdessen wurde für Freitagabend zu dezentralen Protesten aufgerufen. Im 20-Minuten-Takt wurden per Twitter neue Orte benannt, an denen sich DemonstrantInnen versammeln sollten. Eine erste Spontandemonstration endete nach 100 Metern an einer Polizeikette. Doch kurze Zeit später standen wieder viele Menschen an dem benannten Treffpunkt.

Geschätzt 2.000 Menschen bewegten sich im Protest durch Kreuzberg. Zwischen ihnen PassantInnen, Autoverkehr und viele, die sich vor Kneipen und Spätis versammelten und so taten, als wäre das Straßenfest aus den Vorjahren nicht abgesagt worden. Die DemonstrantInnen wollten sich vor allem den Tag und ihre Botschaften nicht nehmen lassen. Auf Schildern und Transparenten forderten sie die Evakuierung der 40.000 Flüchtlinge, die unter teils schwierigsten Bedingungen in griechischen Lagern festhängen.

Die Polizei agierte zunächst überwiegend zurückhaltend. Nur vereinzelt griff sie ein und nahm Personen fest, die sich an Sprechchören beteiligten oder größere Transparente trugen. Immer wieder wurden Kreuzungen und Straßen gesperrt. Zentrales Ziel der Polizei war es, die dezentralen Aktionen nicht zu groß werden zu lassen – vergeblich.

Berlins Innensenator Geisel sprach von „kopflosem Aktionismus“ von mehreren tausend Schaulustigen. „Hier konnte der Infektionsschutz wegen der schieren Masse von Menschen nicht in der Form durchgesetzt werden, wie ich es mir gewünscht hätte.“ In den Tagen vor dem 1. Mai hatte der Innensenator mehrfach betont, dass große Menschenmengen zusammenkommen, „dürfen wir nicht zulassen“.

Auch Monika Herrmann (Grüne), Bürgermeisterin des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, zeigte kein Verständnis. Was am Abend des 1. Mai passiert sei, „das war eine wilde Coronaparty“, sagte sie dem Tagesspiegel. Die Szene habe die Pandemie gar nicht mehr ernst genommen. Viele DemonstrantInnen, aber auch die Polizei seien zudem nicht maskiert gewesen, kritisierte die Bürgermeisterin. Das sei bei den anderen Protesten an dem Tag anders gewesen, etwa bei einem Autokorso von linken AktivistInnen im Villenviertel Grunewald.

Ähnlich wie in Kreuzberg verlief der Abend im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Die antiimperialistische Gruppe Roter Aufbau, die am 1. Mai in Hamburg traditionell die größte Menschenmenge auf die Straße bringt, hatte für 20 Uhr auf die Reeperbahn mobilisiert. Eine Demonstration war von der Versammlungsbehörde verboten worden, das Verwaltungsgericht hatte das bestätigt. Auf den Gang vor das Oberverwaltungsgericht verzichteten die Aktivist*innen wegen der zu geringen Chancen. Und auf eine legale Kundgebung mit wenigen TeilnehmerInnen ließen sie sich nicht ein.

Als in der Dämmerung schwarz gekleidete und teils rot betuchte Kleingruppen eintrafen, war die Polizei schon da. An jeder Ecke der Reeperbahn stand eine Hundertschaft, Wasserwerfer parkten auf beiden Seiten der Partystraße.

Rund 700 DemonstrantInnen sammelten sich auf der Straße und auf den Bürgersteigen. Nach zweifacher Aufforderung durch die Polizei entfernten sich viele, nur um sich direkt hinter der Polizeikette wieder zu versammeln. Ein Böller knallte, ein Rauchtopf rauchte, DemonstrantInnen rannten weg, Polizeigruppen hinterher. Zwei Wasserwerfer verdrängten auch die Schaulustigen. Wenig später war es schon wieder ruhig.

Für einen Freitagabend in Coronazeiten: alles wie immer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen