piwik no script img

SchonimAlltag am Limit

Frauenhäuser in Berlin und Brandenburg fordern mehr Plätze und finanzielle Sicherheit, damit sie Hilfesuchende jederzeit aufnehmen können. In der Coronakrise rechnen sie mit noch höherem Bedarf. Doch sie wollen nicht nur Not lindern, sondern auf eine gewaltärmere Gesellschaft hinarbeiten

Von Manuela Heim und Uta Schleiermacher

Die Gewalt in den Familien wird steigen.“ Das war die große Befürchtung zu Beginn des Lockdowns in vielen Gesprächen mit Kinder- und Frauenhilfsprojekten. Schulen, Kitas, Jugendclubs, Sportvereine machten dicht – alles, was Anteil hat an der Stabilisierung von Familien. Arbeit im Homeoffice bedeutet für gewaltbetroffene Frauen, dass sie Kontrolle und Misshandlungen zu Hause kaum noch entkommen können. Das Kontaktverbot schränkt Beratung und Hilfsangebote stark ein.

Die aktuellen Zahlen, die die Berliner Polizeipräsidentin vorzulegen hat, scheinen die Sorge vor einem Anstieg häuslicher Gewalt zu bestätigen (siehe Grafik). In der Kalenderwoche (KW), in der Schulen, Kitas und Betreuungseinrichtungen schlossen, stieg die Anzahl der Berliner Polizeieinsätze wegen des Verdachts auf häusliche Gewalt auffällig und liegt deutlich über der des Vorjahrs. Die tatsächlich eingeleiteten Ermittlungsverfahren nahmen zwar bislang nicht relevant zu, dafür vermeldet die zentrale BIG-Hotline seit Montag einen verstärkten Anstieg der Anfragen. Das Hilfstelefon der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen – BIG e. V. – vermittelt Zufluchtsplätze an gewaltbetroffene Frauen.

In den Frauenhäusern selbst kann die befürchtete Welle dagegen oftmals gar nicht ankommen. „Unser Haus ist im Grunde immer voll und das ist es auch jetzt“, sagt Stefanie Föhring vom Team des Zweiten autonomen Frauenhauses in Berlin. „Wir arbeiten immer am Limit.“ Die Einhaltung der Abstandsregeln, Hygienevorschriften, Erklärungsbedarf in mehreren Sprachen, die zusätzliche Betreuung der Kinder – das komme jetzt noch obendrauf.

Auffallend weniger Anrufe machen die Mitarbeiterinnen misstrauisch

Die Akteurinnen der überwiegend autonom organisierten Projekte mahnen schon seit Jahren, dass es viel zu wenig Frauenhausplätze gibt. Denn Frauenhäuser sind Kriseneinrichtungen, die immer über freie Kapazitäten verfügen sollten. Werden hilfesuchende Frauen und ihre Kinder wegen Platzmangel abgewiesen, heißt das im Zweifel für sie: Verharren beim misshandelnden Partner.

335 Plätze für Frauen und Kinder gibt es derzeit in Berlin – in Brandenburg sind es 270 Plätze. Rein rechnerisch. Denn wo es schon vorher nicht sinnvoll war, Mehrbettzimmer mit zwei Frauen oder Familien zu belegen, ist es jetzt im Sinne des Infektionsschutzes undenkbar.

Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Gleichstellung finanziert seit Anfang April zusätzlich 130 Notplätze, betreut von mehreren Frauenprojekten. Sobald in den Frauenhäusern ein regulärer Platz frei wird, werden die Frauen dorthin vermittelt. Rund 50 Notplätze seien aktuell belegt. Eine zusätzliche Einrichtung kann im Bedarfsfall auch Frauen und Kinder in Quarantäne aufnehmen. „Corona macht den Mangel an Frauenhausplätzen noch deutlich sichtbarer“, sagt Frauenhausmitarbeiterin Föhring und hofft, dass von den Zugeständnissen der Berliner Senatsverwaltung auch nach der Krise etwas übrig bleibt.

„Jetzt gucken alle auf uns“, sagt auch Laura Kapp vom Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser. Wie sich die Coronapandemie auf einen Anstieg der Gewalt in Brandenburg auswirkt, kann sie noch nicht beurteilen. Die Polizei beobachtet landesweit einen sehr geringen Anstieg. „Die Häuser melden uns zurück, dass sogar auffallend wenig Anrufe eingehen“, dies mache sie aber eher misstrauisch. Sie befürchtet wie viele Expert*innen, dass das wirkliche Ausmaß erst sichtbar wird, wenn Kontaktbegrenzungen aufgehoben sind und Kontrollinstanzen wie Schule und Kita wieder regulär arbeiten.

In Brandenburg hat die Landesregierung die Förderung der Frauenhäuser im Koalitionsvertrag zugesichert, diese sind derzeit aber noch eine freiwillige Leistung der Kommunen. „Es steht nirgendwo, dass es uns geben muss“, sagt Kapp und befürchtet sogar, „dass bei uns gestrichen wird, wenn das Geld wegen der Pandemie knapp wird.“ Ihr Netzwerk fordert ein Frauenhausfinanzierungsgesetz.

Die Frauenhausprojekte haben eine aktivistische Geschichte. Doch bei allem Kampf um ausreichende Plätze und Finanzierung sollte eins nicht vergessen werden, sagt Kapp: „Unser Ziel ist nicht erreicht, wenn wir 40 gut ausgestattete Frauenhäuser in Brandenburg haben. Unser Ziel ist erreicht, wenn Gewalt gegen Frauen und Kinder sozial geächtet ist und wir keine Frauenhäuser mehr brauchen.“

Die Geschichte der Frauen­häuser in Brandenburg

44–45

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen