Corona und die Meinungsfreiheit: Pingeliges Demo-Verbot

Das Oberverwaltungsgericht Hamburg hat eine Demo verboten, obwohl das Verwaltungsgericht sie zunächst zuließ. Aktivist*innen wollen nicht aufgeben.

Auf dem menschenleeren Rathausmarkt fährt vor der Kulissse des Rathauses jemand Rad

Hier darf nur mit ausdrücklicher Genehmigung demonstriert werden: Hamburger Rathausmarkt Foto: Daniel Reinhardt/dpa

HAMBURG taz | Die Freude über die Entscheidung des Hamburger Verwaltungsgerichts, dass eine Demonstration von Verwaltungsrechtler*innen stattfinden kann, währte nur kurz. Als die etwa 35 Demonstrierenden sich kurz vor 18 Uhr vor dem Rathaus bereits mit Sicherheitsabständen, Plakaten und Mundschutz versammelt hatten, verbot das Oberverwaltungsgericht die Versammlung in letzter Minute. Die Polizei räumte daraufhin den Rathausmarkt und sprach Platzverweise aus.

Eine Stunde nachdem der geplante Protest gegen die Einschränkung von Grundrechten hätte beginnen sollen, ist der Platz vor dem Rathaus bis auf etwa drei Dutzend Polizist*innen leer. Einzelne Demonstrierende stehen noch abseits, doch viele sind bereits mit großer Enttäuschung gegangen. Ähnliche Szenen waren in der Hansestadt in den vergangenen Wochen überall zu beobachten, wo es zu unangemeldeten Protesten kam.

Aktivist*innen versuchten erfolglos Demonstrationen bei der Versammlungsbehörde der Polizei anzumelden. Obwohl die Corona-Eindämmungsverordnung Versammlungen „in besonders gelagerten Einzelfällen“ erlaubt, bestätigte das Verwaltungsgericht die Verbote.

Auch die geplante Demonstration „Abstand statt Notstand – Verwaltungsrechtler*innen gegen die faktische Aussetzung der Versammlungsfreiheit“ wurde von der Versammlungsbehörde trotz Vorstellung eines Schutzkonzepts zunächst untersagt. Doch dann folgte die überraschende Entscheidung des Verwaltungsgerichts, in der die Corona-Eindämmungsverordnung in Frage gestellt wurde.

Eindämmungsverordnung verfassungswidrig?

In dem Beschluss des Gerichts heißt es, dass die Verordnung „mit hoher Wahrscheinlichkeit mit den verfassungsrechtlich gebotenen Anforderungen an eine Beschränkung des Grundrechts unvereinbar“ sei und deshalb „keine taugliche Grundlage“ darstelle, um den Antrag abzulehnen. Doch nur wenige Stunden nach der Bekanntgabe legte der Senat beim Oberverwaltungsgericht Einspruch ein und bekam Recht. Der Grund: der Bannkreis. Denn vor dem Rathaus darf sich nur mit ausdrücklicher Genehmigung versammelt werden.

Johannes Franke, ein Sprecher der Gruppe nennt die Entscheidung „fadenscheinig“. Er argumentiert, dass die Genehmigung für eine Demonstration innerhalb der Bannmeile möglich sei, wenn keine Bürgerschaftssitzung stattfinde. Dies sei nicht der Fall gewesen. Auch sei die Versammlungsbehörde zuständig dafür, einen entsprechenden Antrag bei der Stadt zu stellen. Dies sei geschehen, die Erlaubnis sei jedoch nicht rechtzeitig erteilt worden.

„Es entsteht der Eindruck, dass mit aller Macht versucht wird, Versammlungen zu verbieten.“, sagt Franke. Die Gruppe berate nun über weitere Schritte und hoffe, dass sich das Verwaltungsgericht nicht entmutigen lässt.

Weitere Aktivist*innen und Jurist*innen kündigten ebenfalls an, die Straße als Raum des öffentlichen Protests zurückerobern zu wollen. Am Samstag planen das Café Exil und die Seebrücke Hamburg voneinander unabhängige Proteste, um auf die prekäre Situation von Geflüchteten und Wohnungslosen während der Corona-Krise hinzuweisen. Nachdem auch hier die Versammlungsbehörde Verbote ausgesprochen hat, stehen die Entscheidungen vor dem Verwaltungsgericht noch aus.

Polizeisprecherin Nina Kaluza teilte der taz mit, dass der „Eingriff in die Freiheit und das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger“ derzeit „die einzige Möglichkeit“ sei, um die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen.

Klage als Exempel

Julius Bockhold, Rechtsanwalt und juristischer Vertreter des Café Exil, einer Beratungsstelle für Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund, kritisiert die Einschränkung der Grundrechte stark. Sie hätten mehrere Konzepte vorgelegt, um bei der geplanten Demonstration das Infektionsrisiko einzudämmen.

Die Klage vor dem Verwaltungsgericht solle nicht nur die geplante Demonstration ermöglichen, sondern auch ein Exempel statuieren, wie Protest in Zeiten von Kontaktverboten weiterhin möglich sein kann. Sie seien bereit, zur Not auch vor höhere Instanzen zu ziehen, bekräftigt Bockhold.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Fall eines Versammlungsverbotes in Hessen entschieden, dass ein allgemeines Versammlungsverbot trotz des Infektionsschutzes nicht zulässig sei. Statt Kundgebungen einfach zu verbieten, müssten Versammlungsbehörden individuelle Auflagen machen. Das macht Aktivist*innen nun Hoffnung.

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