Papierlose ohne medizinische Versorgung: Behandlung nur gegen Daten

Das Hamburger Medibüro fordert anonyme Krankenscheine in der Coronakrise. Die Stadt verweist auf Angebote für jene, die sich registrieren lassen.

Eine Frau im weißen Kittel sitzt einer dunkelhäuitgen Frau gegenüber und schreibt etwas

Rezept ohne Krankenschein – das gibt's in Hamburg zurzeit nur gegen Personalien Foto: Frank Rumpenhors/dpa

GÖTTINGEN taz | Das Medibüro Hamburg, das Menschen ohne Krankenversicherung bei Arztbesuchen und medizinischer Versorgung unterstützt, sorgt sich in der Corona­krise noch mehr um die Gesundheit seiner Klientel. Vom Senat fordert die ehrenamtliche Initiative die Ausgabe von anonymisierten Krankenscheinen. Doch davon will die Hamburger Sozialbehörde nichts wissen. Sie hält die bestehenden offiziellen Angebote für ausreichend. Beim Medibüro stößt das auf heftige Kritik.

In Hamburg lebten der Diakonie zufolge schon 2009 rund 22.000 Geflüchtete ohne Aufenthaltstitel und Krankenversicherung. Spätestens seit 2015 dürften es noch mehr sein, schätzt das Medibüro. Hinzu kämen Deutsche und andere EU-Bürger, die ebenfalls nicht krankenversichert seien. Wie in anderen Städten und Bundesländern, sorgen deshalb auch in Hamburg ehrenamtliche Ini­tiativen und Hilfsorganisationen dafür, dass diese Menschen zumindest rudimentär medizinisch versorgt werden.

Wegen der Corona-Pandemie mussten diese Stellen aber größtenteils schließen, schrieben das Medibüro und ein Dutzend andere Organisationen – darunter die Caritas, die „Praxis ohne Grenzen“ und der Flüchtlingsrat – am 19. März an die Behörde. Sprechstunden und Versorgungsangebote hätten ausgesetzt werden müssen, unter anderem, weil die von den Einrichtungen genutzten Räume geschlossen wurden oder unzureichend mit Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln ausgestattet waren.

Ehrenamtliche Helfer, die zum Teil zur Corona-Risikogruppe gehören, seien selbst gefährdet gewesen. Mit dem Zusammenbruch der Versorgungsstrukturen hätten die Betroffenen keine direkte Anlaufstelle mehr, heißt es in dem Schreiben – was auch vor dem Hintergrund der Verbreitung des Coronavirus alarmierend sei.

Anonymer Krankenschein wäre eine Lösung

Die Unterzeichner des Briefes fordern eine „schnelle, niedrigschwellige und umfassende Lösung dieser Versorgungskrise“. Die Corona-Hotline der Stadt solle allen Menschen, unabhängig von ihrem Versicherungsstatus, Hilfe bieten – ohne dass Betroffene fürchten müssten, aufgrund ihrer hinterlassen Daten abgeschoben zu werden. Außerdem solle die Stadt den anonymen Krankenschein einführen. Dieser könne zentral und ohne Identitätsprüfung vergeben werden und den Empfängern ermöglichen, medizinische Leistungen der Regelversorgung in Anspruch zu nehmen.

Das Medibüro verweist darauf, dass andere Städte und Bundesländer wie Berlin oder Thüringen den anonymen Krankenschein bereits eingeführt und gute Erfahrungen damit gemacht hätten. Auch in Bremen und Niedersachsen gibt es das Modell.

Erst einen Monat später, am 16. April, reagierte die Behörde auf den Brief. Es gebe eine Clearingstelle, die die Kosten für die Behandlung akuter Krankheiten und Schmerzen übernehme. Auch die Versorgung von Nichtversicherten sei möglich: „Damit ist praktisch eine Kostenübernahme ähnlich eines anonymen Krankenscheins gewährleistet“, antwortet ein Behördensprecher. Zudem könnten „Drittstaatlerinnen und Drittstaatler“ über die Zentrale Erstaufnahme für Flüchtlinge – in Hamburg „Ankunftszen­trum“ genannt – „auch kurzfristig Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Anspruch nehmen, die ebenfalls eine Gesundheitsversorgung umfassen“.

Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen, also Abschiebungen, seien „aufgrund der aktuellen Situation hierbei regelhaft nicht zu befürchten, da die internationalen Grenzen weltweit geschlossen sind“. Die Erfahrungen der vergangenen Wochen zeigten, so die Sozialbehörde, „dass viele Personen, die sich seit Längerem in der Illegalität aufhalten, im Ankunftszentrum vorsprechen und dort ihren Anspruch auf Leistungen realisieren“.

Flüchtlingshelfer fürchten „Selbstdenunziation“

Aus Sicht des Medibüros ist diese Darstellung „ein verzerrtes Bild der Zustände“ und „weit von der alltäglichen Realität entfernt“. Langjährige Erfahrungen zeigten, dass viele häufig vorkommende Krankheitsbilder eben nicht vom Notfallfonds der Clearingstelle abgedeckt seien. So werde für die Behandlung chronischer Krankheiten oder von Krebs meist eine Kostenübernahme abgelehnt. „Das macht deutlich, dass die Clearingstelle nicht nur viele Patienten von vornherein ausschließt, sondern darüber hinaus chronisch unterfinanziert ist“, schreibt das Medibüro in seiner Antwort.

Noch abwegiger sei der Vorschlag, sich beim Ankunftszen­trum zu melden – das komme für viele Geflüchtete einer Selbstdenunziation gleich. „Niemand in Hamburg lebt in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität, weil diese eine bequeme Lösung darstellt“, erklärte das Medibüro. Menschen, die sich dennoch dafür entschieden, täten dies aus Angst vor Abschiebungen.

Einen formalen Abschiebestopp gibt es in Hamburg derzeit nicht, auch Umverteilungen innerhalb Deutschlands sind nach Angaben der Ehrenamtlichen nicht ausgesetzt. „Da außerdem niemand weiß, wie lange die aktuell geschlossenen Grenzen tatsächlich noch geschlossen bleiben, sind die Befürchtungen vor aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen bei einer Meldung im Ankunftszentrum mehr als berechtigt“, so das Medibüro.

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