„Familien befürchten eine Verharmlosung“

Das BKA sieht laut einem Bericht den Hanauer Attentäter nicht als Rechtsextremen. Kritik von Opfern

Von Konrad Litschko

Es herrscht Unruhe unter den Opferfamilien des Hanauer Anschlags. „Schon irritierend“ sei die jüngste Meldung, sagt der Opferbeauftragte Robert Erkan der taz. „Es gibt unter den Angehörigen gerade, vorsichtig ausgedrückt, eine große Verunsicherung.“

Zuvor war eine vorläufige Einschätzung des BKA zum Anschlag vom 19. Februar bekannt geworden. Bei der Tat hatte der Hanauer Tobias R. neun Menschen – alle mit Migrationshintergrund – erschossen, dazu auch seine Mutter. Danach tötete er sich selbst. Laut NDR und Süddeutscher Zeitung wird in einem Entwurf des BKA-Ab­schluss­be­richts seine Tat als rechtsextrem eingestuft – Tobias R. selbst indes nicht.

Fast keines der 100 sichergestellten Videos auf R.s Computer und Handy wird demnach als „tatrelevant“ eingestuft. Auch seien keine Hinweise gefunden worden, dass sich der 43-Jährige in der Vergangenheit mit rechtsextremer Ideologie befasst habe. Bekannte der Familie hätten davon nichts bemerkt, einem schwarzen Nachbarn soll R. wiederholt geholfen haben. Der Täter habe sich in Verschwörungstheorien hineingesteigert, so die Ermittler. Seine Tat habe ihm dazu gedient, größtmögliche Aufmerksamkeit für diese Theorien zu erheischen.

Vor seiner Tat hatte Tobias R. ein 24-seitiges Dokument veröffentlicht. Darin beklagt er, sein Leben lang von einer „Geheimorganisation“ überwacht worden zu sein. Gleichzeitig aber nennt er Menschen mit Migrationshintergrund „in jeglicher Hinsicht destruktiv“. „Ich würde diese Menschen alle eliminieren.“ Die rassistischen Passagen habe Tobias R. erst spät seinem Dokument hinzugefügt, teilte Generalbundesanwalt Peter Frank nach der Tat mit. Denn seine Behörde hatte bereits im November 2019 den Schriftsatz erhalten – indes nur mit den Ausführungen über die „Geheimorganisation“.

Frank stufte den Anschlag ursprünglich als rechtsextrem ein. Aktuell wollte sich die Bundesanwaltschaft nicht äußern. Bei der Einstufung der Tat soll es aber offenbar bleiben – auch wenn der Täter nicht mehr als rassistisch gilt. Die Angehörigen der Getöteten seien dennoch verunsichert, sagt der Hanauer Opferbeauftragte Erkan. „Für sie ist das eine gefühlte Herabstufung der Tat. Die Botschaft lautet: Es war am Ende doch nur ein psychisch Kranker.“ Die Tat sei aber augenscheinlich mehr gewesen. Erkan verweist auf die Opferauswahl und darauf, dass der Täter „kalkuliert gehandelt hat, bei klarem Verstand“.

Auch der Bundesintegrationsrat verschickte einen Brief an das BKA. „Rassismus als Hauptmotiv zu verneinen, ist ignorant, brandgefährlich und rücksichtslos“, heißt es darin. Der Bericht müsse überarbeitet werden. Auch für den Rechtsextremismusforscher Matthias Quent war der Hanauer Anschlag „ganz klar rassistisch“. Dafür spreche unzweifelhaft die Opferauswahl. „Entscheidend für die Einordnung ist am Ende immer die Betroffenenperspektive, nicht die Biografie des Täters.“

Am Dienstag reagierte schließlich BKA-Chef Holger Münch: Es gebe noch keinen Abschlussbericht, die Ermittlungen liefen. Und: Die Tat werde weiter als „eindeutig rechtsextremistisch“ bewertet.