: Justiz macht Abstriche
Hafterleichterungen und Besuche werden gestrichen, Prozesse auf das Unvermeidbare reduziert – so wappnet sich die Justiz im Norden gegen Corona
Von Nadine Conti
Ein ganzes Bündel von Maßnahmen hatte der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne) gestern zu verkünden. Häftlinge in Hamburg müssen sich auf eine weitere Isolation gefasst machen – Freigänge werden gestrichen, Besuche stark eingeschränkt.
Dafür müssen andere ihre Haft gar nicht erst antreten oder werden sogar entlassen. Ersatzfreiheitsstrafen, die Menschen antreten müssen, die ihre Geldstrafen nicht zahlen können, werden ausgesetzt, der Jugendarrest auch. Geprüft wird noch, ob dies auch für kurze Freiheitsstrafen möglich ist.
Die Justizbehörden in Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben ähnliche Maßnahmen angekündigt und zum Teil schon vollzogen. „Das erfolgt in enger Abstimmung in allen Bundesländern mehr oder weniger gleich“, sagt Steffen.
Einlass nur für Fieberfreie
Bei den laufenden Gerichtsverfahren werde alles getan, um sie nicht platzen zu lassen. Für die großen Prozesse in Hamburg, wie den gegen einen früheren Wachmann des KZ Stutthof oder Verfahren mit Bezug zu den Ausschreitungen beim G20-Gipfel, hat sich die Justiz die Möglichkeit gesichert, kurzfristige Corona-Tests bei allen Beteiligten durchführen zu können. So soll verhindert werden, dass durch das Warten auf die Testergebnisse kritische Fristen verstreichen und der Prozess neu aufgerollt werden muss. Das Bundesjustizministerium arbeitet parallel an einer Gesetzesänderung, um diese strengen Fristenregelungen in Gerichtsverfahren aufzuweichen.
Gleichzeitig gehen die Gerichte im Norden in den Pandemie-Modus: Alles was geht, wird schriftlich oder telefonisch abgewickelt, alles was nicht eilig oder dringend ist, auf später verschoben. Zivilsachen wie Bauprozesse, die schon seit Jahren liefen, sollten liegen bleiben, sagt Steffen. Für dringende Fälle wie drohende Stromsperren oder Räumungen, Inobhutnahmen von Kindern oder die Fixierung von Patienten müssten aber funktionsfähige Entscheidungsstrukturen aufrecht erhalten werden – zur Not auch dadurch, das Richter aus anderen Bereichen abgeordnet würden.
Für die Justiz geht es dabei um zwei Dinge, macht der Justizsenator deutlich: Einerseits akut die Verbreitung des Virus zu bremsen und anderseits Personalreserven aufzubauen, um auch dann noch arbeitsfähig zu sein, wenn die Krankenzahlen ihre Höchststände erreichen.
Revolten in Gefängnissen
Die Situation in den Gefängnissen ist dabei besonders kritisch. Mit den massiven Einschränkungen versuchen die Justizministerien zu verhindern, dass Corona die Haftanstalten erreicht. Gleichzeitig müssen sie sich Gedanken machen, wie sie diese Maßnahmen kommunizieren – zum Beispiel durch zusätzliche Telefonzeiten. Immerhin ist es in Italien schon zu Gewaltausbrüchen und Revolten in den Haftanstalten gekommen.
Die Reduzierung der Gefangenenzahlen dient auch hier dazu, die personellen Kräfte zu konzentrieren. Fraglich ist nämlich auch, ob die Kapazitäten reichen, um im Ernstfall eine adäquate medizinische Versorgung zu gewährleisten: Eine intensivmedizinische Behandlung müsste außerhalb der Haftanstalten erfolgen, räumt Steffen ein. Wenn die Behörden dabei auch noch die Bewachung gewährleisten müssen, könnten sie schnell an die Grenzen des Möglichen kommen.
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