piwik no script img

„Wir müssen so sprechen, dass uns alle verstehen“

Amira Mohamed Ali ist seit 2017 Berufspolitikerin und schon Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Die Oldenburgerin findet, dass ihre GenossInnen sich mehr Gedanken machen sollten, wie sie Menschen erreichen

Interview Anna Lehmann und Stefan Reinecke

taz: Frau Mohamed Ali, Sie haben in Hamburg die Gelehrtenschule des Johanneums besucht und dort Latein und Altgriechisch gelernt …

Amira Mohamed Ali: Wir mussten beide Sprachen belegen. Aber Altgriechisch habe ich abgewählt, sobald ich konnte.

Und später haben Sie Jura studiert und als Juristin gearbeitet. Alles in allem: ein bürgerlicher Lebenslauf. Warum sind Sie 2015 ausgerechnet in die Linkspartei eingetreten?

Ich komme aus einem SPD-Haushalt. 1998, als ich zum ersten Mal stimmen durfte, habe ich Gerhard Schröder gewählt, weil ich dachte: Jetzt kommt ein linker Aufbruch. Aber die Agendapolitik hat mich enttäuscht. Als die Linke gegründet wurde, war mir klar, das ist meine Partei. Die Linke ist die einzige Partei, die ernsthaft soziale Politik macht.

Die Linke war die Anti-Hartz-IV-Partei. Heute ist nicht mehr ganz klar, wofür die Linke denn eigentlich steht. Sie selbst haben das bei der Strategiekonferenz in Kassel jüngst so kon­sta­tiert.

Ja, wir sollten unsere Botschaften klarer vermitteln. Wir verwenden zu viel Zeit darauf, zu definieren, was wir wollen, und zu wenig darauf, wie wir es erreichen und vermitteln.

Braucht es eine prägnantere Sprache? Die Linke soll nicht mehr prekäre Arbeit kritisieren, sondern sagen: Keine Scheißjobs?

Besser wäre es, von schlecht bezahlter, unsicherer Arbeit zu reden. Eine Freundin von mir ist Lehrerin – selbst sie wusste nicht, was prekäre Arbeit bedeutet. Manche Begriffe, die uns selbstverständlich erscheinen, sind es für viele Menschen nicht. Wir müssen so sprechen, dass alle uns verstehen.

Sehen Sie das jetzt schärfer, weil Sie erst seit Kurzem professionelle Politikerin sind?

Das kann sein. Ich habe, ehrlich gesagt, bei einigen parteiinternen Debatten manchmal selbst Schwierigkeiten, die Begriffe des linken internen Diskurses zu verstehen. In unserer Partei gibt es teilweise eine zu komplizierte Sprache, die ausgrenzt. Einige trauen sich dann nicht mitzureden, weil sie fürchten, in den Debatten nicht mithalten zu können. Das sollte sich ändern.

In ihrem Wahlkreis Oldenburg-Ammerland und seitdem Sie 2017 im Bundestag sind, haben Sie sich eher mit grünen Themen befasst: Tierwohl, Landwirtschaft und der Blaualgenplage etwa. Warum sind Sie nicht zu den Grünen gegangen?

Ich habe ja gerade erklärt, dass es die sozialen Fragen waren, die mich zur Linken gebracht haben, und da kommt für mich keine andere Partei infrage. Es waren auch die Grünen, die damals mit der SPD die Agenda 2010 eingeführt haben. Für mich waren die Grünen immer zu beliebig. Sie würden auch im Bund mit CDU und FDP koalieren. Im Parlament habe ich teilweise aber ein positiveres Bild von den Grünen gewonnen.

Tatsächlich. Weshalb?

Im Agrarausschuss habe ich sehr engagierte Grüne kennengelernt, mit denen ich inhaltlich oft auf einer Linie bin. Wir stimmen regelmäßig gegenseitig unseren Anträgen zu.

Welche Schnittmengen gibt es zwischen Grünen und Linkspartei?

Wir wollen beide zum Beispiel den Klimawandel aufhalten und von der industriellen Massentierhaltung wegkommen. Allerdings geht es den Grünen nicht darum, das System an sich zu ändern, das kapitalistische Wirtschaftssystem, das auf Profit um jeden Preis ausgerichtet ist. Das halte ich für falsch, denn das ist dringend notwendig.

Sind die Grünen denn ein Bündnispartner für die Linke?

Potenziell ja, so wie auch die SPD. Aber in einem möglichen Bündnis muss ein echter Politikwechsel erkennbar sein. Über die Schrittlänge können wir reden, aber die Richtung muss stimmen. Und: SPD und Grüne müssen sich von der Agenda abwenden.

Die Sozialdemokraten haben doch schon jetzt eine Kernforderung der Linkspartei übernommen – 12 Euro Mindestlohn.

Aber das reicht noch nicht. Auch wenn die neuen Parteivorsitzenden der SPD etwas Hoffnung wecken. In einer Regierung müssten wir das Leben der Menschen erkennbar verbessern. Also höhere Löhne, keine Leiharbeit mehr, sichere Arbeitsplätze, statt befristete Beschäftigungen – um ein paar Beispiele zu nennen.

Da laufen Sie bei der SPD halb offene Türen ein.

Ich hoffe das. Ich hoffe, dass die SPD zu ihren sozialdemokratischen Wurzeln zurückfindet. Über den Niedergang der SPD habe ich mich nie gefreut.

Sind Grüne und SPD überhaupt offen für Rot-Rot-Grün?

Ich erlebe da eine grundsätzliche Offenheit.

Wo muss die Linkspartei sich bewegen, um für Grüne und SPD regierungsfähig zu sein?

Was meinen Sie genau?

Etwa die Außenpolitik.

In der Außenpolitik müssen wir bei unseren Zielen bleiben: keine Aufrüstung, keine Kriegseinsätze.

Meinen Sie Kriegs- oder Auslandseinsätze?

Unser Erfurter Parteiprogramm lehnt Kriegseinsätze klar ab und will die Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen zurückzuholen.

Die Bundeswehr ist derzeit an elf Auslandseinsätzen beteiligt, deren Mandate jedes Jahr im Parlament verlängert werden. Wäre eine komplette Beendigung der Auslandseinsätze eine Bedingung für eine Regierungsbeteiligung der Linken?

Ich werde hier an dieser Stelle keine Koalitionsverhandlungen simulieren. Rote Linien sind aber im Erfurter Programm für eine Regierungsbeteiligung ebenfalls formuliert: Auslands­einsätze müssen beendet werden, keine Aufrüstung und Militarisierung. Neue Einsätze darf es keinesfalls geben.

Die Linksfraktion hat die sofortige Öffnung der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei gefordert – und die Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland. Gleichzeitig haben die Abgeordneten Sevim Dagdelen und Sahra Wagenknecht gesagt, 2015 dürfe sich nicht wiederholen. Ist das ein Widerspruch?

Nein. Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock hat auch gesagt, 2015 dürfe sich nicht wiederholen. 2015 hat die Gesellschaft Aufnahmebereitschaft und Humanität gezeigt. Das war richtig, und ich war froh, dass das so war. Zur Wahrheit gehört aber, dass es überforderte Behörden gab und zu wenig Unterstützung für die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer von staatlicher Seite. Diese Fehler der Großen Koalition haben dazu beigetragen, dass seit 2015 die AfD stärker geworden ist. Das darf so nicht weitergehen. Jetzt muss die EU Griechenland unbedingt stärker finanziell unterstützen, um eine Katastrophe zu verhindern. Den betroffenen Menschen muss sofort geholfen werden.

Amira Mohamed Ali

wurde 1980 in Hamburg als Tochter eines Ägypters und einer Deutschen geboren. Im November 2019 wählte sie die Fraktion Die Linke im Bundestag als Nachfolgerin von Sahra Wagenknecht an die Spitze. Außer in der Linken ist sie Mitglied in der IG Metall und im Tierschutzbund.

Soll Deutschland nur Geld schicken oder auch Flüchtlinge aufnehmen?

Das Recht auf Asyl muss umgehend wiederhergestellt werden. Außerdem brauchen wir eine Kontingentlösung in der EU. Staaten, die Geflüchtete aufnehmen, müssen dafür finan­ziell unterstützt werden. Es geht nicht, dass EU-Mitgliedsstaaten sich hier aus der gemeinsamen Verantwortung stehlen. Wir haben im Bundestag bereits letztes Jahr den Antrag gestellt, 2.000 unbegleitete Flüchtlinge aufzunehmen. Und wir haben den aktuellen Antrag der Grünen unterstützt, 5.000 besonders Bedürftige schnell aufzunehmen – leider erfolglos. Über 150 deutsche Kommunen haben sich bereits bereit erklärt, Menschen aufzunehmen. Auch meine Heimatstadt Oldenburg. Das finde ich richtig.

Sahra Wagenknecht hat die Vorschläge der Grünen „wohlfeil“ und „unehrlich“ genannt. Fühlen Sie sich mit kritisiert?

Nein. Ich bin Fraktionsvorsitzende der Linken, nicht der Grünen. Ich verstehe Sahras Aussage im Zusammenhang mit den Fluchtursachen. Wer, wie die Grünen, in ihrer Regierungszeit Waffenexporten und Kriegseinsätzen zustimmt, ist für viele nicht glaubwürdig in dieser Frage.

In der Linksfraktion gab es nach 2015 Streit über die Flüchtlingspolitik. Brechen jetzt diese Gräben wieder auf?

Nein, die Gespräche zwischen Fraktions- und Parteispitze laufen besser als 2016. Es gibt keine Polemik mehr. Umstritten war im Übrigen nur die Arbeitsmigration, aber nie die Frage, ob man Menschen hilft, die in Not sind.

Weil Sie, anders als Sahra Wagenknecht einen besseren Draht zu Katja Kipping haben?

Ich war nicht Teil dieser Konflikte und bin als Fraktionsvorsitzende gestartet mit dem Ziel, dass wir alle gut zusammenarbeiten. Und genauso verhalte ich mich auch.

Die Linkspartei puscht jetzt das Thema Klimapolitik und will sowohl Fridays for Future als auch die Lausitzer Braunkohlekumpe umarmen. Wie soll das gehen?

Ich unterstütze Fridays for Future. Ihre Forderungen sind richtig. Aber eines ist für Die Linke ganz klar: Die Politik zur Erreichung der Klimaschutzziele darf keinesfalls auf dem Rücken der Beschäftigten und auf Kosten der Existenz ganzer Regionen ausgeführt werden. Der Kohleausstieg muss kommen. Dabei darf man aber nicht zulassen, dass die Braunkohleregionen wirtschaftlich abgehängt werden. Ein Problem, dss Fridays for Future allerdings hat, ist: Alle loben sie, auch die Regierungsparteien – und nichts passiert. Ich habe die Befürchtung, die Bewegung wird zu Tode umarmt.

Also soll die Linkspartei Fridays for Future nicht umarmen?

So meine ich das nicht. Ich bleibe dort aktiv. Wir dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen. Wir kämpfen ja alle gegen das falsche System.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen