Berlins Finanzsenator zur Coronakrise: „Wir haben eine gewisse Firepower“

Etwa alle zehn Jahre kommt es zu einer großen Krise, sagt Berlins Finanzsenator Kollatz (SPD). Er gibt sich optimistisch: „Wir können das bewältigen.“

Ein mann mit Brille schaut in die Kamera

„Berlin hat sich systematisch auf die Coronakrise vorbereitet“: Berlins Finanzsenator Kollatz Foto: dpa

taz: Herr Kollatz, jahrelang war es Ziel der Haushalte des Bundes und der Länder, keine neuen Schulden mehr zu machen und bestehende abzubauen. Innerhalb von drei Wochen hat sich das Blatt durch die Coronakrise gewendet. Irritiert Sie diese Entwicklung?

Matthias Kollatz: Nein. Wir haben die Haushalte gerade auch deswegen saniert, um Handlungsmöglichkeiten zu haben, wenn es drauf ankommt.

Wie denn?

Wir haben in Berlin eine Konjunkturrücklage geschaffen und den Investitionstopf Siwa, wir haben den Pensionsfonds ausgebaut. So handelt man, wenn man – wie ich auch – davon ausgeht, dass die Welt eben nicht krisenfrei ist. Wir brauchen – und haben – jetzt eine gewisse Firepower, wie die Briten sagen würden.

Der U-Turn – wie die Briten sagen würden – ist dennoch krass. Wann ist Ihnen diese Dramatik klar geworden?

Berlin hat sich systematisch und schneller als andere Bundesländer auf die Coronakrise vorbereitet. Wir waren zum Beispiel schon sehr früh bereit, deutlich niedrigere Steuereinnahmen zu akzeptieren; die Finanzämter sollten etwa reduzierte Steuervorauszahlungen akzeptieren, wenn der Antrag dafür halbwegs begründet war. Diese frühe Weichenstellung ist vielleicht in der Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen worden.

Was glauben Sie: Wie geht es jetzt weiter?

Es wird eine Phase der Krisenbekämpfung geben und dann hoffentlich schnell eine Phase des Wieder-Tritt-Fassens und der Aufholjagd. Da wird man noch mal andere finanzielle Mittel brauchen. Man kann das mit der Finanzkrise ab dem Jahr 2008 vergleichen: Jetzt wird wieder viel über Kurzarbeit diskutiert; das war auch damals ein probates Mittel. Und sobald die Unternehmen wieder etwas Luft hatten, kamen Konjunkturprogramme. Ich bin mir sicher, darüber werden wir auch bald reden.

Noch sind wir aber in der Rettungsphase. Berlin legt wie andere Länder Programme in dreistelligen Millionenhöhe auf. Welche Rolle spielen Sie dabei?

62, SPD, ist seit 2014 Finanzsenator von Berlin und seit 2018 Vorsitzender des Vorstandes der Tarifgemeinschaft deutscher Länder

Wir haben im Senat am vergangenen Donnerstag ein Paket von bis zu 600 Millionen Euro beschlossen – das hat mein Haus zusammen mit anderen Verwaltungen erarbeitet. 300 Millionen Euro sollen kleinen und Kleinstunternehmen sowie Solo-Selbständigen zu Gute kommen, von denen es in Berlin mehr gibt als anderswo in Deutschland. Sie können ohne großes Aufheben 5.000 Euro als Zuschuss bekommen und sie können nach drei Monaten noch mal wiederkommen. Wir haben zudem zusammen mit der Wirtschaftsverwaltung ein Liquiditätsprogramm über bis zu 200 Millionen Euro erarbeitet. Und bis zu 100 Millionen stecken wir in ein Bürgschaftsprogramm gerade für kleine Betriebe mit 10 oder 15 Mitarbeitern. Letzteres haben wir selbst entwickelt. Und das Programm läuft gut: Normalerweise haben wir in einem Monat etwa 15 Bürgschaftsanträge, jetzt im März sind es bereits knapp 1.000.

„Wichtig ist, den Blick in die Zukunft zu richten: Wie kommen wir gut da wieder raus? Das ist Deutschland nach der Bankenkrise ausgesprochen gut gelungen“

Nun werden die Fachressorts ja vor allem Geld fordern, um ihre Klientel zu bedienen. Bremsen Sie da manchmal oder heißt Ihre Devise: Auf die Firepower kommt es an?

Natürlich strebe ich an, dass ich da mit meinem Team eine aktive Rolle spiele. Und Sie können sich sicher sein, dass dieses ungewöhnliche 300-Millionen-Euro-Zuschussprogramm nicht zustande gekommen wäre, wenn meine Verwaltung nicht Gas gegeben hätte.

Fällt es Ihnen schwer, angesichts der großen Summen Maß zu halten?

Offenkundig gelingt uns das ja. Anfangs waren manche verdutzt, dass wir Programme mit so hohen Summen auflegen wollten. Und jetzt gibt es einige, die meinen, überall müssten noch zwei Nullen dran gehängt werden. Das deutet doch darauf hin, dass wir die Balance gehalten haben.

Motiviert Sie die schwierige Lage besonders, Finanzpolitik zu machen?

Das ist ja nicht die erste Krise, die ich erlebe – offenbar gibt es inzwischen jedes Jahrzehnt eine größere: 11. September 2001, die Bankenkrise 2008, jetzt Corona. Krisen sind immer eine Zeit der Herausforderungen, die ich engagiert annehme. Wichtig ist dabei, den Blick in die Zukunft zu richten: Wie kommen wir gut da wieder raus? Das ist Deutschland nach der Bankenkrise ausgesprochen gut gelungen, und das muss uns jetzt wieder gelingen. Aber das ist alles andere als selbstverständlich. Dafür müssen sich alle einsetzen.

Fühlen Sie sich betrogen um den Lohn ihrer jahrelangen Arbeit, den Schuldenstand Berlins zu reduzieren? Denn damit dürfte es ja für eine Weile vorbei sein.

Das müssen wir erst mal sehen. In der Aufholjagd nach der Krise werden die Grundlagen dafür gelegt, dass der Schuldenabbau danach weitergehen kann. Denn klar ist: Wenn in Zukunft irgendwann die Zinsen deutlich steigen, werden jene Bundesländer große Schwierigkeiten bekommen, die hohe Schulden haben. Jenen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles getan haben, um sie – gerade im Verhältnis zum regionalen Bruttoinlandsprodukt – zu reduzieren, wird es besser ergehen. Dazu gehört Berlin und dazu wird Berlin hoffentlich auch in Zukunft gehören.

„Es ist wichtig, sich nicht zu sehr an sich rasch verändernde Zahlen zu halten. Wir wissen erst, wo wir stehen, wenn es einen Peak der Coronainfizierten in Deutschland gibt“

Woher kommt das viele Geld, das jetzt ausgegeben wird?

Der größte Teil sind Steuereinnahmen. Zudem bekommen wir auch Bestandteile der Bundesprogramme. Was darüber hinaus geht, werden wir uns am Kapitalmarkt holen – und es kann sein, dass es zu einer Nettoneuverschuldung kommt. Geregelt wird das in Nachtragshaushalten: Es wird jetzt einen schnellen Nachtragshaushalt im April geben und dann einen zweiten im Mai. Von Vorteil für uns ist, dass die Kreditkonditionen immer noch ungewöhnlich günstig sind.

Wie viel Ressourcen hat das Land? Wo ist die Grenze, gerade wenn Deutschland in eine Rezession schlittern sollte?

Die Wirtschaftsinstitute haben ihre Prognosen deutlich zurückgenommen und ins Negative gedreht. Aber es ist wichtig, sich nicht zu sehr an sich rasch verändernde Zahlen zu halten. Wir wissen erst, wo wir stehen und welche Perspektiven wir haben, wenn es einen Peak der Coronainfizierten in Deutschland gibt. Derzeit gibt es einen teils ausgesprochenen, teils unausgesprochenen Konsens aller Beteiligten, dass Handlungsmöglichkeiten geschaffen und eben nicht blockiert werden – genauso wie 2008. Da gibt es keine festen Grenzen: Jeder muss im Rahmen seiner Möglichkeiten das tun, was er oder sie kann.

Das Ganze hat ja auch eine globale Dimension. Reicht es da aus, wenn nur Berlin und Deutschland seine Wirtschaft rettet?

Je weltweiter, desto besser. Je europäischer, desto besser. Je nationaler, desto besser. Trotzdem werden wir regional tun, was sinnvoll und notwendig ist. Dafür gibt es eine ausgesprochen breite Unterstützung, auch im Senat und im Abgeordnetenhaus.

Wagen Sie eine Prognose, wie lange uns die Folgen dieser Rettungsprogramme beschäftigen werden?

Es spricht mit Rückblick auf die Vergangenheit viel dafür, dass wir mit einem Zeitraum von zehn Jahren planen, um die Krise zu bewältigen. Auch um wieder gut aufgestellt zu sein, wenn es dann zu einer erneuten Krise kommt.

Sind Sie optimistisch?

Wir sind jetzt in einer schwierigen Situation und da läuft natürlich nicht alles glatt. Aber ja: Wir können das bewältigen, und wir können danach in eine positive Entwicklung übergehen.

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