Krisenmanagement global: Über den Balkonrand gucken

Im Ausnahmezustand fällt schwer zu sehen: Selbst jetzt ist so ziemlich jeder andere Ort der Welt übler als der hier. Die Woche in Schlaglichtern.

Jens Spahn begrüßt per Ellbogen einen anderen Mann - Söder läuft im Hintergrund durchs Bild.

Solosöder und Dr. Spahn heben mit Engel Angela die Union auf 32 Prozent Foto: Peter Kneffel/dpa

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Wachstumsprognose verfehlt.

Und was wird besser in dieser?

Klimaziele erreicht.

Am Mittwoch wendete sich Angela Merkel live an ihre Mitbürger:innen, das macht sie sonst nur in ihrer Neujahrsansprache. Sie als TV-Profi, wie fanden Sie den Auftritt der Kanzlerin?

Fällig. Wo andere Regierungschefs „Krieg“ erklären, haut Deutschlands ewig junge Lieblingsinfluencerin guten Rat raus: Oma und Opa mal einen Podcast machen! Die Inszenierung aus Solosöder, Dr. Spahn und Engel Angela führt die Union prompt auf 32 Prozent hoch. Merkels mütterlich-strenge Pflegedienstleitung vorweg macht das kleine Krankenhaus am Rande der Krise offenbar sympathisch. Hinten aus dem Büro winkt Verwaltungsdirektor Scholz mit ordentlich Geld, 1 Prozent rauf auch die SPD.

Die AfD verpeilt die Großchance, sich den grassierenden Corona-Leugnern anzuschließen, und bettelt noch panischer nach „Durchgreifen“. Das stützt die These, hier habe man es mit einer vor allem autoritären Partei zu tun. Dabei wäre es – denkt man sich Corona eine Sekunde weg – ein Putsch. Für deutsche Erinnerung vergleichsweise milde, doch was wir derzeit an Bruch von Freiheitsrechten und mitwirkungslosem Umbau durchwinken, lässt staunen. Merkels Traditionslinie „Macht euer Ding, ich kümmer mich ums Große“ erfährt in der „größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“ tatsächlich eine Eskalation: „Zieht mit, oder ich kann auch anders.“

Im Flüchtlingscamp Moria brach ein Feuer aus, ein Kind starb. Die Situation auf Lesbos ist eine humanitäre Katastrophe, doch die EU macht nichts. Was muss Deutschland jetzt tun?

Mal vom Außenbalkon singen. In diesem Ausnahmezustand fällt es schwer zu sehen: Selbst jetzt ist so ziemlich jeder andere Ort der Welt übler als der hier.

Von Quarantäne und Social Distancing haben vor allem profitiert: die Streamingdienste. Weil die enorme Datenmenge des Streaming zu Netzüberlastungen führen könnte, behält sich die EU jedoch vor, Netflix und Co. zu blockieren. Folgt die große Rückkehr des linearen Fernsehens?

Es ist Physical Distancing. Bitte. Bei Körperkrampf sind wir Deutsche eh Weltmeister. Bitte nicht anfassen. Aber sehr lieb haben. Bis auf Weiteres. – Der Datenverkehr beim deutschen Internetknotenpunkt DE-CIX ist vorige Woche um 10 Prozent gestiegen, weit innert der Reserven (schreibt der Spiegel, wenn man ihn online erreicht).

Vergangene Woche gab das Magazin Playboy bekannt, seine Print-Edition in den Vereinigten Staaten einzustampfen. Stimmt Sie das ein bisschen nostalgisch?

Wenn ich das Heft schätzen würde, hätte ich ja nicht extra das Internet erfunden. Dabei sind deutsche Pornofreunde mit 12,5 Prozent aller Webseitenaufrufe die fleißigsten Einhandsegler der Welt – noch vor USA, Brasilien und Indien. Trotzdem überlebt nun der deutsche Playboy das Mutterblatt; allerdings mit erstaunlicher Statistik: 122.000 verkaufte Auflage laut Verlag – 750.000 Leser laut MediaAnalyse. Bitte sorgfältig desinfizieren.

Israel hat Handyüberwachung, Frankreich die Ausgangssperre und Deutschland geschlossene Grenzen. Auf welche Regelungen müssen wir uns einstellen? Und macht das alles überhaupt Sinn?

Okay, Wodarg und alle Zweifler, nehmt dies: Wenn wir irgendwann feststellen, dass eine übliche Influenza auch viele Tote fordert – dann wäre das am Ende nur ein Argument, auch bei dieser Krankheit wesentlich strenger zu agieren. Die vielen Sinnfragen oder Verschwörungstheorien kann man sich auf den Grabstein meißeln lassen, lieber einmal zu vorsichtig. Das Wunder von Corona scheint: Bei jedem Blödsinn, der in dieser Gesellschaft passiert, landet man mit der Jokerfrage „Wem nutzt es?“ beim: Geld.

Irgendwer verdient schon dran. Diesmal – sorry an alle, die die Weltherrschaft von Klorollenherstellern dahinter ahnen – diesmal ist das anders. Wem nützt es? Uns. Wobei ich bei „Erhebung von Mobilfunkdaten Infizierter und ihrer Kontaktpersonen“ ebenso kotze wie beim Altersrassismus Sorgloser. Oma ist ne Umweltsau, Enkel sabbert Corona. Sind wir quitt. Der Wirtschaftsstillstand zugunsten der Gesundheit stellt ein paar gängige Thesen über die Allgewalt des Kapitals infrage. Hey, und er könnte Klimaaktivisten echt neidisch machen.

Und was machen die Borussen?

Nichts. Das kostet 70 Mio pro ausgefallenem Spieltag.

Fragen: Matej Snethlage, Patrick Wagner

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Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".

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