piwik no script img

Die Wut der Jugend

Rund einhundert Kinder, Jugendliche und Mitarbeitende der Jugendhilfe stürmten lautstark die Sitzung des Jugendhilfeausschuss. Sie forderten mehr Geld

So voll wie am vergangenen Donnerstag war's beim Jugendhilfeausschuss wohl noch nie Foto: Sophie Lahusen

Von Sophie Lahusen

„Noch vier Minuten, der Countdown läuft“: Der Mann ruft in ein Megafon, sein Publikum hat sich mehr oder weniger nach Größe aufgestellt. Die erste Reihe ist im Durchschnitt nicht viel größer als 1,30 Meter, denn dort stehen Kinder. Sie pusten in ihre Trillerpfeifen und halten Plakate. Auf einem steht: “Ohne das Freizi wäre mein Leben kaputt“. Rund hundert Menschen haben sich im Nieselregen vor dem Amt für Soziale Dienste versammelt, allesamt MitarbeiterInnen und BesucherInnen von Bremer Trägern der offenen Jugendarbeit.

Nach dem „Jetzt!“ quetschen sie sich mit ihren Plakaten durch den engen Seiteneingang und die kahlen Flure des Gebäudes. Ziel ist der Sitzungssaal, denn hier tagt an diesem Donnerstag der Jugendhilfeausschuss. „Das ist erbärmlich. Wir brauchen mehr Geld, wir sind eure Zukunft“, ruft ein Junge. Einige der Ausschussmitglieder halten sich bei dem Lärm die Ohren zu, andere klatschen euphorisch.

Mitorganisatorin der Aktion ist Sara Dahnken. Sie arbeitet beim Deutschen Roten Kreuz und ergreift im Sitzungssaal als erste das Wort: „Es ist ein Punkt erreicht, wo es nicht mehr tragbar ist“. Im vergangenen Jahr mussten einzelne Freizis, Jugend-Cafés und andere Träger wegen mangelnder Finanzierung ihre Öffnungszeiten kürzen und Stellen streichen. Jugendliche berichten über veraltetes Mobiliar, fehlende Ausstattung und die Alternativlosigkeit in den Stadtteilen: „Wenn das Freizi geschlossen ist, hängen wir auf der Straße ab, nach Hause kann man halt nicht immer“ sagt ein Junge aus Gröpelingen.

Hintergrund für die verschärfte finanzielle Not der Träger ist auch die aktuelle Haushaltslose Zeit. Momentan steht den Stadtteilen für die offene Jugendarbeit exakt dieselbe Summe zu wie noch im letzten Jahr, doch seitdem sind vor allem die Personalkosten gestiegen und die machen in vielen Einrichtungen mittlerweile fast 90 Prozent der Ausgaben aus. Denn Kosten für Veranstaltungen, Spiele und vieles mehr mussten durch die ständige Mangelfinanzierung in vielen Einrichtungen fast vollständig zurückgefahren werden.

„Ich verspreche Euch, dass es eine Erhöhung geben wird, die es so noch nie gegeben hat“

Cindi Tuncel, jugendpolitischer Sprecher der Linksfraktion

In der aktuellen Koalition setzt sich deswegen vor allem die Linke für ein höheres Budget in der Offenen Jugendarbeit ein. „Es ist das erste Mal, dass vier oder fünf Seiten im Koalitionsvertrag sich nur mit diesem Punkt beschäftigen“ sagt Cindi Tuncel (Linke), Mitglied im Jugendhilfeausschuss. Er will den Anwesenden Mut machen: „Ich verspreche euch, dass es eine Erhöhung geben wird, die es so noch nie gegeben hat“. Die muss aber erst in der Bürgerschaft beschlossen werden.

Nach Tuncels Angaben sollen die Haushaltsverhandlungen bis Juli beendet und ein neuer Haushalt beschlossen sein. Jedem Stadtteil soll für die offene Jugendarbeit insgesamt mehr Geld zur Verfügung stehen. Innerhalb von Controlling-Ausschüssen in den Stadtteilen selbst wird dann über die Höhe der Finanzierung von einzelnen Trägern entschieden. Auch hier kam es in den vergangenen Wochen immer wieder zu Unmut, wie im Fall der Bremer Kinder- und Jugendfarm (taz berichtete: Ihr wurde durch die Entscheidung des Controlling-Ausschuss in Obervieland für dieses Jahr rund 7.000 Euro gestrichen.) Die Mangel-Finanzierung in den Stadtteilen soll deshalb in der kommenden Legislaturperiode auch durch andere Maßnahme entschärft werden: sogenannte stadtteilübergreifende Projekte, wie beispielsweise der Sportgarten in Bremen Mitte, bei dem mehr als ein Drittel der BesucherInnen aus anderen Stadtteilen kommen, sollen zusätzlich zentral finanziert werden. Dadurch könnte ihr Finanzierungsanteil aus dem Stadtteil auf andere Träger verteilt werden.

Ebenfalls ein Träger der offenen Jugendarbeit ist der Jugendtreff Friese im Bremer Viertel, auf den vergangenen Sonntag ein mutmaßlicher Brandanschlag verübt wurde. „An diesem schlimmen Anschlag sehen wir, dass Jugendarbeit auch eine Arbeit gegen rechts und für die Demokratie ist“ sagt Ulli Bader, Leiter des Bremer Sportgartens. Er ruft zu Zusammenhalt unter den Trägern auf. Mit der heutigen Aktion im Jugendhilfeausschuss und der Demonstration im Bremer Viertel für die Friese und Hanau setze man ein „Zeichen, dass Demokratie lebt“, sagt Bader.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen