piwik no script img

Fünf Schüsse in der Nacht

Der Moscheeverband Ditib berichtet von einem möglichen Angriff auf seinen Generalsekretär. Es wäre nicht die erste Attacke seit dem Anschlag von Hanau

Von Franziska Schindler

Die Schilderung aus der Pressemitteilung des Moscheeverbands Ditib klingt dramatisch: Samstagabend habe Abdurrahman Atasoy, der Generalsekretär des Verbands, seinen Bruder in Heilbronn besucht. An dessen Haus angekommen, seien fünf Schüsse „in unmittelbarer Nähe“ gefallen. Sofort habe Atasoys Schwester die Polizei gerufen. Ein Streifenwagen sei vorgefahren, mit den Betroffenen hätten die Polizist*innen jedoch nicht gesprochen. Am Morgen habe die Familie fünf Patronenhülsen direkt vor dem Hofzugang gefunden und erneut die Polizei verständigt. Am Telefon sei ihr mit „herablassender Stimme“ gesagt worden, sie müsse warten. Sie seien schließlich „nicht die Einzigen“ und sollten sich „nicht so anstellen“.

Ein Zusammenhang zwischen dem Besuch des Generalsekretärs und den Schüssen könne derzeit weder bestätigt noch dementiert werden, heißt es in einem Bericht der Polizei Heilbronn. Auch zu einem möglichen politischen Motiv der Tat äußert sich die Polizei nicht. Die Staatsanwaltschaft Heilbronn habe Ermittlungen aufgenommen. Auf die Vorwürfe von Ditib reagiert die Polizei bisher nicht. Atasoy selbst war für die taz nicht für Rückfragen zu erreichen.

Der Vorfall, drei Tage nach dem Attentat von Hanau, folgt auf eine Reihe von Angriffen, die sich in den letzten Wochen gegen Mitglieder des Ditib-Vorstands richteten. Mitte Januar wurden die Autofenster von drei Verbandsvertretern eingeschlagen. Wenige Tage später folgte eine Bombendrohung gegen die Duisburger Ditib-Moschee. Die Polizei vermutet Rechtsextreme hinter der Drohmail.

Auch Moscheen in Essen, Unna und Hagen waren in den letzten Wochen von Bombendrohungen betroffen. In der Nacht zum Freitag wurde zudem ein Brandanschlag auf eine Shishabar und einen Dönerimbiss im sächsischen Döbeln verübt. Wenige Stunden zuvor hatten Unbekannte Schüsse auf eine Shishabar in Stuttgart abgefeuert. Eine Moschee im baden-württembergischen Emmendingen wurde bereits am Mittwoch mit Hakenkreuzen und rassistischen Sprüchen beschmiert.

Der Ditib-Verband, der indirekt der türkischen Regierung untersteht, spricht in seiner Mitteilung von einer „Drohkulisse“ für Muslime. Über die unmittelbare Reaktion der Polizei drei Tage nach Hanau ist der Verband entsetzt. Sie zeige „eindrücklich, dass der Terrorakt in Hanau und all die Anteilnahme und Äußerungen von höchsten politischen Stellen und die gebotene Sensibilität und Empathie längst nicht bis in die Niederungen der Polizeiarbeit angekommen sind“. Man erwarte, dass „Übergriffe gegen Migranten und Muslime, gegen ihre Gotteshäuser und auch kulturellen Einrichtungen von Polizei, Staatsschutz und Politik ernst genommen werden“, so der Verband weiter.

Zu einem möglichen politischen Motiv der Tat äußert sich die Polizei nicht

Erst einen Tag vor dem Vorfall in Heilbronn hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer angekündigt, die Polizeipräsenz vor Moscheen zu erhöhen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief bei seinem Besuch in Hanau zu Verantwortung und Rücksichtnahme auf. Es müsse dagegengehalten werden, wenn „Einzelnen oder Minderheiten die Würde genommen wird“.

Sicherheitsbehörden stellen sich derweil auf gewaltsame Gegenreaktionen gegen „rechts“ und örtliche AfD-Vertreter*innen ein, berichtet die Funke Mediengruppe unter Berufung auf Ermittlerkreise. Eine konkrete Gefährdung von Moscheen könne aus dem rechtsterroristischen Anschlag dagegen nicht abgeleitet werden. Expert*innen wie der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, warnen hingegen vor Nachahmertaten. Gerade eine fahrlässige Berichterstattung, die Täter*innen posthum zu Berühmtheit verhilft, motiviere zu solchen Taten.

Bei den Betroffenen bleibt derweil die Angst. „Man macht sich Sorgen, ob das subtile Drohungen sind. Die ganze Familie Atasoy hat Angst“, erklärt Zekeriya Altuğ, Ditib-Abteilungsleiter für Außenbeziehungen. Das Verhalten der Polizei mache wenig Mut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen