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„Einige Radwege sind für mich lebensgefährlich“

Detlef Pätzold ist fast täglich mit seinem Handbike im Hamburger Verkehr unterwegs. Ein Gespräch über den Traum, sich zu bewegen, Verkehrspolitik und was an Radfahrer*innen nervt

Trägt keinen Helm, aber eine blaue Mütze: Detlef Pätzold düst mit seinem Handbike durch Hamburg Foto: Miguel Ferraz

Interview Sabrina Winter

taz: Herr Pätzold,Sie sind heute morgen mit Ihrem Handbike fünf Kilometer von Eppendorf nach Altona gefahren. Wie war Ihr Weg?

Detlef Pätzold:Viele Leute haben mich angelächelt. Ich weiß nicht, ob das vielleicht an meiner blauen Strickmütze lag? Allerdings haben mir allein heute morgen vier Fahrradfahrer*innen die Vorfahrt genommen – und das ziemlich knapp! Sie sehen nur den Rollstuhl und denken, ich bewege mich langsam. Da verschätzen sie sich total und ich muss in die Eisen steigen oder woandershin lenken. Das ist anstrengend.

Ärgern Sie sich oft über Fahrradfahrer*innen?

Ja! Die düsen bei Rot über die Ampeln und kennen keine Verkehrsregeln. Es gibt Leute, die wollen einfach die Größten sein auf dem Fahrrad. So richtige Machos! Andererseits finde ich es auch toll, in Hamburg unterwegs zu sein.

Toll?

Ich habe hier so viele Begegnungen mit Menschen und spreche oft mit Passant*innen. Sie sehen, da sitzt jemand im Rollstuhl – und ist aktiv. Das nimmt den Horror vor dem Rollstuhl. Denn im Rollstuhl zu sitzen, ist ja immer negativ beladen. Für mich bedeutet das Handbike: Lust an der Bewegung. Denn ich bin seit 63 Jahren behindert und es war immer ein Traum von mir, Fahrrad zu fahren.

Heute sind sie 66 Jahre alt. Wie kam es, dass Sie mit drei Jahren behindert wurden?

Ich bin an Kinderlähmung erkrankt. Genau wie viele andere Kinder damals, die nicht geimpft wurden. Dennoch habe ich wahnsinniges Glück gehabt: Ich habe eine normale Schule besucht, eine Banklehre gemacht, Abitur nachgeholt, studiert, eine kleine Familie gegründet. Meine Frau leitet eine Kita und ich helfe manchmal aus. Das macht Spaß!

Wie lange sind Sie schon mit dem Handbike unterwegs?

Ungefähr 20 Jahre lang.

Sie kurbeln das Handbike mit ihren Händen an. Da braucht man viel Armkraft, oder?

Ich habe Unterstützung durch einen Elektromotor. So muss ich zwar kurbeln, aber komme leichter voran. 13 Jahre lang bin ich ohne Motor gefahren. Doch dann hatte ich eine Operation an der Schulter.

Ihr Handbike ist halb Fahrrad, halb Rollstuhl. Auf welchen Wegen fahren Sie damit?

Offiziell nennt sich das Krankenfahrstuhl. Damit darf ich überall fahren – auf Straßen, Rad- und Fußwegen. Behinderte Menschen sollen ja überall hinkommen. So kann ich zum Beispiel auf der falschen Radweg-Seite fahren, um zu Geschäften zu kommen. Das musste ich sogar mal der Polizei erklären.

Die Polizei kennt ihre eigenen Verkehrsregeln nicht?

Die meinten, ich sei zu schnell unterwegs und auf der falschen Seite. Als ich ihnen erklärt habe, dass es ein Krankenfahrstuhl ist, mussten die Polizist*innen klein beigeben.

Sind die hohen Bordsteine in Hamburg ein Problem für Sie?

Nein, das geht richtig gut. An vielen Ecken ist der Bordstein abgesenkt. In Süddeutschland und in kleineren Städten ist das eher nicht so. Da ist es schwieriger für mich.

Wie oft parken Autos die abgesenkten Bordsteine zu?

Das ist mein täglich Brot. Ich habe auch schon erlebt, dass ein Autofahrer mit der Schnauze auf den Fußweg rauf gefahren ist. Und zwar so, dass ich nicht durchgekommen bin, weil der Fußweg so eng war. Das habe ich ihm gesagt. Er sagte dann: Ich kann das Auto nicht zurücksetzen, dann steht das Heck auf der Straße.

Wie gehen Sie mit solchen Leuten um?

Ich versuche, im Gespräch zu bleiben. Wenn gar nichts geht, lasse ich die Autos abschleppen.

Wie ist es für Sie, sich den Weg mit Fußgänger*innen zu teilen?

Da habe ich dazugelernt!

So?

Ich musste lernen, dass ich die Fußgänger*innen erschrecke. Denn die Geräusche meines Handbikes können die Leute nicht gleich zuordnen. Es gibt viele Menschen, die nicht gut zu Fuß sind – nicht nur ältere, auch jüngere. Da musste ich lernen, Rücksicht zu nehmen.

Haben Sie eine Klingel?

Ja, aber die benutze ich nicht.

Was machen Sie dann?

Ich spreche die Leute an. Viele möchten aber lieber das Klingeln hören, weil sie das besser einordnen können.

Sind Sie mit dem Zustand der Radwege in Hamburg zufrieden?

Einige Radwege benutze ich nicht, weil sie für mich lebensgefährlich sind. Zum Beispiel, wenn die Wurzeln den Weg aufgebrochen und erhöht haben. Dann kippt der Rollstuhl um und ich liege da.

Gibt es noch andere Tücken?

Auch die grauen Fußplatten von Verkehrsschildern sind gefährlich für mich. Die Platten sind an der Seite angeschrägt. An den Reifen meines Rollstuhls gibt es Ringe, um den Rollstuhl mit den Händen anzuschieben. Wenn diese Ringe an die abgeflachten Platten treffen, hebelt das den Rollstuhl zur Seite. An solchen Stellen muss ich vorsichtig sein.

Was muss sich im Hamburger Verkehr ändern?

Wir brauchen mehr Raum für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen. Das ist das Entscheidende. Gerade wenn man sich Fahrradwege ansieht, die zum Teil winzig sind. Auf Dauer funktioniert das so nicht.

Sollten Autos dann weniger Platz bekommen?

Detlef Pätzold,66, arbeitete als Bilanzbuchhalter und hilft in der Kita seiner Frau. Er besitzt neben dem Handbike auch ein Auto, das er gelegentlich benutzt.

Ja. Ich glaube, das viele ihr Auto gar nicht nutzen müssen. Sie könnten es einfach abstellen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Stadt fahren. Dann ist natürlich die Frage: Sind die öffentlichen Verkehrsmittel gut oder fühlt man sich darin gestresst, weil es ist wie in einer Konservendose?

Nutzten Sie selbst öffentliche Verkehrsmittel?

Nein. Vor 30 Jahren bin ich häufig mit dem Bus gefahren. Aber inzwischen fühle ich mich dabei nicht mehr sicher. Denn ich bin nicht mehr so standfest wie früher.

Den Bus haben Sie zu Fuß genutzt, nicht mit dem Rollstuhl?

Ja, früher ging das noch. Den Rollstuhl ohne den Vorsatz, also das Handbike, benutze ich kaum. Vielleicht mal in der Mönckebergstraße zum Einkaufen.

Also profitieren Sie gar nicht vom barrierefreien Ausbau, der in den vergangenen Jahren vorangetrieben wurde?

Gerade nicht, aber ich könnte theoretisch davon profitieren. Eigentlich bin ich traurig, dass der barrierefreie Ausbau so lange gedauert hat. Ich habe mich 40 Jahre lang in der SPD engagiert. Schon als Juso habe ich dafür gekämpft. Jetzt bin ich in Rente, die Politiker*innen basteln immer noch daran rum – und freuen sich, dass einige Haltestellen jetzt barrierefrei sein. Ich weiß gar nicht, wie viele Anträge ich dazu gestellt habe. Wenn es um den Ausbau von Haltestellen geht, stehen ja lächerlich geringe Summen im Raum.

Warum wurde der Ausbau dann nicht früher schon vorangetrieben?

In der Hamburger SPD gab es massive innere Widerstände. Barrierefreiheit wurde zwar immer beschlossen, aber nicht umgesetzt. Ich weiß auch nicht, was sich da in den Köpfen der Funktionäre abgespielt hat. Das war schon merkwürdig. Ich kann es mir nicht erklären.

Wenn der Platz zu knapp wird, weichen Sie auf die Straße aus. Ist das nicht gefährlich?

Nö. Ich fahre dann weiter vom Bordstein weg. Wenn ich mehr Straßenraum in Anspruch nehme, sehen mich Autofahrer*innen eher. Schließlich bin ich in dem Rollstuhl relativ niedrig und schaue von unten nach oben. Da ist es schon reizvoll, wenn neben mir so ein riesiger Laster steht.

Reizvoll ... Haben Sie keine Angst?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Auto- und Lkw-Fahrer*innen sehr achtsam sind. Ich denke, so ein Rollstuhl zeigt ihnen: Sie haben Glück, dass sie im Auto sitzen und laufen können. Denn jeder könnte im Rollstuhl landen und keiner will es. Darum sind sie vorsichtig.

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