: In Plastik gekleidet
Freiwillige Siegel reichen nicht aus, um die komplexe globale Textilkette umfassend zu kontrollieren. Deshalb wird der Ruf nach einem gesetzlichen Rahmen immer lauter
Von Katja-Barbara Heine
Wenn eine Jeans hierzulande in den Handel kommt, hat sie häufig eine Weltreise von mehr als 50.000 Kilometern hinter sich, deren Route so aussehen kann: Die Baumwolle, aus der Jeansstoff gemacht wird, wächst etwa in Afrika. Dort wird sie auf großen Plantagen angebaut, geerntet und nach China verschickt, wo auf Maschinen aus der Schweiz Garn daraus gesponnen wird. In Taiwan wird die Faser in Jeansblau eingefärbt, weiter geht es nach Polen, wo der Stoff gewebt wird. Daraus entsteht auf den Philippinen – mit Nieten aus Italien und Futterstoff aus Frankreich – nach einem Schnittmuster aus Schweden oder den USA die Jeans. Näherinnen arbeiten dort bis zu 16 Stunden am Tag für weniger als 2 Euro. In Griechenland erhält die Hose ihre Waschung mit Bimsstein. Dann geht sie bei uns über den Ladentisch – nicht selten für unter 20 Euro.
Wird sie zur Lieblingsjeans des neuen Besitzers, hält sie vielleicht einige Jahre. Doch das ist selten: Deutsche kaufen jährlich im Schnitt bis zu 10 Kilo neue Kleidung, ein T-Shirt wird in der Regel nur 1,7-mal getragen. Wahrscheinlich landet die Jeans also schon nach einer Saison im Altkleidercontainer. Und gelangt über die Niederlande, wo ausgemusterte Kleidung aus Europa sortiert und verpackt wird, in einen Secondhandladen oder in die Müllverbrennung in Kenia oder Tansania. Dorthin zurück, wo sie ursprünglich herkommt.
Die Ökobilanz dieser Odyssee per Lkw, Schiff und Flugzeug ist verheerend. Die Herstellung einer einzigen Jeans verursacht rund 15 Kilo CO2 und verbraucht 50 Badewannen Wasser. Damit nicht genug: Die Baumwolle stammt häufig aus genmanipuliertem Saatgut, Pestizide schädigen die Umwelt und Gesundheit der Arbeiter. Beim Bleichen und Färben in den Fabriken werden oft gefährliche Chemikalien eingesetzt, die Menschen und Flüsse vergiften und auch im fertigen Kleidungsstück noch enthalten sein können.
Zwar gibt es Bemühungen, die Ausbeutung von Mensch und Umwelt entlang der Textilkette einzudämmen. Seit die Fast-Fashion-Industrie in der Kritik steht, wird der Markt mit Siegeln geradezu überschwemmt: Rund 40 Zertifizierungen auf Etiketten oder Verpackungen sollen versichern, dass ein Kleidungsstück nachhaltig hergestellt wurde. Aber die Kontrolle bleibt fast unmöglich. „Es gibt einfach zu viele Siegel, Verbraucher blicken da nicht mehr durch“, sagt Greenpeace-Textilexpertin Viola Wohlgemuth. „Hinzu kommt, dass die meisten nur einen Abschnitt der langen Wertschöpfungskette prüfen oder dass sie ausschließlich ökologische oder ausschließlich soziale Kriterien beleuchten.“ Greenpeace hat gerade mal sieben Siegel für gut befunden, und „nur drei davon berücksichtigen den gesamten Herstellungsprozess von der ersten Faser bis zum letzten Knopf“, so Wohlgemuth.
Das Netzwerk „Kampagne für Saubere Kleidung“ warnt sogar vor Greenwashing bei den Siegeln: So steht das Label BCI (Better Cotton Initiative) zwar für verbesserte Arbeitsbedingungen bei der Baumwollproduktion. Allerdings ist es kein Biolandbau, und Gentechnik ist erlaubt. Das Oeko Tex 100 testet nur Schadstoffe im Endprodukt, nicht bei der Herstellung. Auch von Herstellern selbst gegründete Labels wie die H&M Conscious Collection seien mit Vorsicht zu genießen, da die Kriterien schwammig sind.
Zu den von Greenpeace empfohlenen Zertifizierungen gehört das Umweltsiegel IVN Best des Internationalen Verbands der Naturtextilwirtschaft. Es garantiert, dass an jeder Station der Produktion die höchsten realisierbaren ökologischen Standards eingehalten werden. Allerdings fließen nur wenig soziale Aspekte ein. Soziale und ökologische Kriterien über die komplette Wertschöpfungskette hinweg garantiert eigentlich nur das GOTS (Global Organic Textile Standards): Hierfür müssen die Regeln der International Labour Organisation (ILO) eingehalten werden und die Produkte zu 70 Prozent aus Naturfasern aus biologischem Anbau bestehen.
Darin liegt eines der größten Probleme der Textilindustrie: „70 Prozent der Kleidungsstücke auf dem Markt bestehen aus billigen Synthetikmischungen, die sich nicht recyceln lassen“, sagt Wohlgemuth. „Wir tragen quasi Plastiktüten am Leib.“ Um den Ressourcenverbrauch einzudämmen, müssen Stoffe aber wiederverwertbar sein. „Wir brauchen hochwertigere, kreislauffähige Kleidung“, fordert die Greenpeace-Sprecherin.
Das Entwicklungsministerium führte mit dem „Grünen Knopf“ ein staatliches Metasiegel für Textilien ein. Um dieses zu erhalten, „muss ein Produkt soziale und ökologische Mindeststandards erfüllen. Dazu zählen zum Beispiel die CO2-Emissionen in der Textilveredelung oder das Verbot von Zwangsarbeit“, so ein Ministeriumssprecher. „Als erstes staatliches Siegel prüft der Grüne Knopf darüber hinaus systematisch, ob das Unternehmen in der Lieferkette seiner Sorgfaltspflicht gegenüber Mensch und Umwelt nachkommt.“ 30 Unternehmen haben den Grünen Knopf bislang, die zertifizierten Produkte reichen von Strümpfen über Bettwäsche bis hin zu Zelten. Rund 100 Unternehmen sind an dem neuen Siegel interessiert.
Doch Kritikern zufolge ist auch diese Zertifizierung unzureichend. „Siegel, die auf freiwilliger Selbstverpflichtung beruhen, geben die Verantwortung an den Konsumenten ab“, so Johannes Heeg, Sprecher der Initiative Lieferkettengesetz. Aber der Schutz von Menschenrechten sei die Aufgabe der Staaten. „Nur ein von der Bundesregierung geschaffener gesetzlicher Rahmen, der auch Sanktionen ermöglicht, kann die Unternehmen wirklich dazu bringen, in ihren Lieferketten Schäden an Mensch und Umwelt zu vermeiden.“
Entwicklungsminister Gerd Müller und Arbeitsminister Hubertus Heil haben angekündigt, in Kürze Eckpunkte für ein solches Gesetz zu erarbeiten. Eine Petition haben bisher knapp 120.000 Menschen unterzeichnet. Und es gibt Hoffnung, dass Deutschland seine EU-Ratspräsidentschaft 2020 nutzen wird, um das Thema gleich europaweit auf die politische Agenda zu setzen.
Bis dahin müssen sich Verbraucher weiterhin tapfer durch den Siegeldschungel kämpfen. Dabei sollten sie allerdings nicht vergessen, dass auch mit strengen Textilsiegeln versehene Kleidung meistens Zehntausende Kilometer um die Welt gereist ist. „Selbst das grünste Kleidungsstück wird unter einem enormen Ressourcenaufwand hergestellt“, sagt Wohlgemuth. „Das einzig wirklich nachhaltige Kleidungsstück ist das, das wir nicht kaufen.“
www.siegelklarheit.de
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