Verfassungsklage in Norwegen: Teilerfolg für das Klima
Norwegen muss den „exportierten Klimagasausstoß“ der Öl- und Gasproduktion berücksichtigen. Greenpeace und Co hoffen auf mehr.
Die Antwort: Gar keine, soweit es nicht um die Klimagasemissionen auf dem eigenen Territorium geht. So hatte es zumindest vor zwei Jahren die Vorinstanz entschieden. Es ergebe sich aus dem Völkerrecht, dass jedes Land lediglich für den Klimagasausstoß auf seinem eigenen Territorium verantwortlich sei. Für die norwegische Öl- und Gaspolitik sei es deshalb irrelevant, welche Folgen die Verbrennung der fossilen Energieträger auf das Klima habe, nachdem diese exportiert worden seien.
Das sieht die Berufungsinstanz nun jedoch grundsätzlich anders. Norwegen habe bei politischen Entscheidungen im Bereich seiner Öl- und Gaspolitik „den gesammelten Klimagasausstoß zu berücksichtigen, sowohl was dieser bei der Förderung wie auch beim Verbrennen an schwerwiegenden Auswirkungen für Klimaänderungen“ haben könne. Daher könnten die auf diesem Sektor getroffenen politischen Entscheidungen unter entsprechenden Gesichtspunkten auch im Rahmen einer Verfassungsklage rechtlich gewürdigt werden. Bei der konkreten Frage, um die sich die jetzige Klage drehe, könne aber nicht bejaht werden, dass Oslo gegen eine solche Verpflichtung verstoßen habe.
Norwegens „Umweltartikel“
Der Klage liegt ein Detail der norwegischen Ölpolitik zugrunde. Am 10. Juni 2016, nur wenige Tage nachdem das Land das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet und sich damit zum Ziel bekannt hatte, den globalen Temperaturanstieg auf möglichst 1,5 Grad – maximal aber 2 Grad – zu begrenzen, waren von der konservativ-rechtspopulistischen Regierung in einer „23. Konzessionsrunde“ zehn neue Ölfelder in der Barentssee zur Erkundung und möglichen Förderung an 13 Ölkonzerne zugeteilt worden. Ölfelder, die weiter nördlich in der Barentssee liegen als alle bislang erschlossenen.
Dagegen klagten die skandinavische Sektion von Greenpeace, die Umweltschutzorganisation „Jugend und Umwelt“, der Naturschutzverband und die „Klimaaktion der Großeltern“. Ihre Argumentation: Noch mehr Öl bedeutet noch mehr CO2 und mit der ungezügelten Erschließung immer neuer Öl- und Gasfelder trage Oslo massiv zur Klimakrise bei, was wiederum ein Verfassungsverstoß sei.
Die juristische Grundlage ihrer Klage war dabei der „Umweltartikel“, den Norwegen als eines der weltweit ersten Länder 2014 in seine Verfassung aufgenommen hat. Dieser Artikel 112 gibt „jedermann“ das Recht zu einer Umwelt, „die der Gesundheit und einer natürlichen Umgebung förderlich“ ist. Der Staat wird ausdrücklich zu einer solchen Politik verpflichtet, „die dieses Recht auch für zukünftige Generationen sichern wird“.
Dieser Artikel sei nicht nur eine Programmerklärung, es könnten daraus auch direkt Rechte hergeleitet werden, konstatiert nun das Gericht. Allein mit der Erteilung der fraglichen Prospektierungslizenzen in der Barentssee habe Oslo aber noch nicht gegen diese Vorschrift verstoßen, argumentiert das „Borgarting lagmannsrett“. Momentan sei noch unklar, welche Folgen diese Entscheidung haben werde. Ein möglicher Verfassungsverstoß könne erst beurteilt werden, wenn eine Förderung „nahe bevorsteht“. Also beispielsweise bei der tatsächlichen Genehmigung einer Öl- und Gasförderung aufgrund der fraglichen Lizenzen.
„Wir haben verloren, aber wichtige Teilsiege errungen. Für diesen Prozess und die schulstreikenden Jugendlichen“, kommentiert Frode Plym, der Vorsitzende von Greenpeace Norwegen: „Welche Auswirkungen die Verwendung von norwegischem Öl und Gas im Ausland hat, ist also für unsere Gesetze und unsere Politik relevant.“ Man werde nun den nächsten Schritt tun und das „Høyesterett“, den obersten Gerichtshof des Landes, anrufen. „Wir werden entweder im Gerichtssaal gewinnen oder außerhalb des Gerichts“, ist sich Therese Hugstmyr Woie, Vorsitzende von „Jugend und Umwelt“ sicher. Und auch Steinar Winther Christensen von der „Klimaaktion der Großeltern“ betont: „Natürlich kämpfen wir weiter für unsere Kinder, Enkel und künftige Generationen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!