Klimaschutzklage in Norwegen: Das Öl und die Verfassung
Ein Osloer Gericht lässt die Klimaschutzklage von Umweltschutorganisationen gegen die Regierung zu. In Deutschland läuft das anders.
Mehrere Umweltorganisationen beschuldigen ihn eines Verfassungsverstoßes. Oslo habe durch die Erteilung von Lizenzen zur Exploration von Öl- und Gasfeldern in seinen arktischen Territorialgewässern internationale Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen verletzt und gefährde so Sicherheit und Gesundheit jetziger und künftiger Generationen.
Das Verfahren in Norwegen war eines der ersten Klimaprozesse, die mittlerweile in mehreren Ländern anhängig sind. Bereits 2016 hatten die skandinavische Sektion von Greenpeace, die norwegische Umweltschutzorganisation „Jugend und Umwelt“ und die „Klimaaktion der Großeltern“ geklagt.
Im Oktober 2017 ließ das Amtsgericht in Oslo die Klage zu, anders als vergangene Woche das Verwaltungsgericht Berlin. Dort wollten Greenpeace und drei Bauernfamilien gegen die Klimapolitik der Bundesregierung klagen. Es gebe dafür aber keine Rechtsnorm, auf die sich die Kläger berufen könnten, um eine Verschärfung der Klimapolitik gerichtlich durchsetzen zu können, begründete das Gericht in Berlin die Absage.
Umweltschutz ist in der Verfassung verankert
Die Klimakläger in Norwegen haben aufgrund der dortigen Rechtslage bessere Karten. Norwegen hat als eines der weltweit ersten Länder schon 1992 einen „Umweltartikel“ in seiner Verfassung verankert. 2014 neu formuliert, garantiert dieser Artikel 112 nun „jedermann“ das Recht auf eine Umwelt, „die der Gesundheit und einer natürlichen Umgebung förderlich“ ist. Der Staat wird ausdrücklich auf eine Politik verpflichtet, „die dieses Recht auch für zukünftige Generationen sichert“.
Die Klage von Greenpeace & Co zielt darauf ab, einen konkreten Beschluss der norwegischen Regierung für verfassungswidrig zu erklären. Am 10. Juni 2016 hatte die Regierung 13 Ölkonzernen 10 neue Ölfelder in der Barentssee zur Erkundung und potenziellen Förderung zugeteilt. Und das wenige Tage nachdem Oslo das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet und sich damit zu dem Ziel bekannt hatte, den globalen Temperaturanstieg auf maximal 2 Grad zu begrenzen.
Für den damaligen Greenpeace-Vorsitzenden Truls Gulowsen war das „eine bodenlose Heuchelei“: Jegliche zusätzliche Ölförderung in der Arktis sei mit dem Ziel der Beschränkung des Anstiegs der globalen Temperaturen nicht vereinbar. Vielmehr drohten dadurch die Zerstörung der Lebensgrundlage von Hunderten Millionen Menschen und ein Kollaps von Teilen des Ökosystems der Erde.
Ministerpräsidentin: Verantwortlich seiendie Öl-Käufer
Trotz der Zulassung der Klage unterlagen die Umweltschützer*innen in erster Instanz im Januar 2018 vor dem Amtsgericht. Zwar könnten aus dem fraglichen Verfassungsartikel tatsächlich individuelle Rechte hergeleitet werden, so die Richter. Oslo könne aber nicht für die globale Klimaerwärmung verantwortlich gemacht werden. Der Artikel 112 umfasse nicht die Folgen, die ein CO2-Ausstoß durch den Export von norwegischem Öl oder Gas in ein anderes Land mit sich bringe.
Norwegen habe keine Möglichkeit, auf ausländische Klimaschutzgesetzgebung Einfluss zu nehmen: „Es ergibt sich aus dem Völkerrecht, dass jedes Land für den Klimagasausstoß seines eigenen Territoriums verantwortlich ist“, so die Begründung. In einem Rundfunkinterview bekräftigte Ministerpräsidentin Erna Solberg am Samstag diese Sichtweise auch für ihre Regierung: „Verantwortlich ist der, der unser Öl kauft.“
Die jetzigen Kläger sagen, die Klimakrise kenne keine Landesgrenzen. Ihre Klagebegründung haben sie mit zusätzlichen Hinweisen auf Völker- und Menschenrecht ergänzt. Für den Tag vor dem Prozessbeginn haben die klagenden Organisationen in ganz Norwegen zu Demonstrationen aufgerufen.
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