Globale Vampire

Einst galten Bettwanzen schon so gut wie ausgestorben. Doch heute breiten sich die lästigen Blutsauger durch den verstärkten Tourismus fast überall auf der Welt rapide aus

Speziell trainierte Hunde schlagen an, wenn sie Bettwanzen entdecken. Sie können sie riechen Foto: Kirsten Luce/NYT/Redux/laif

Von Simone Schmollack

Guido Trojan geht schnurstracks ins Bad. Dort stellt er seine Tasche in die Wanne, holt einen weißen Schutzanzug heraus und streift ihn sich über. Kapuze, Füßlinge, Mundschutz. Der 43-Jährige ist Kammerjäger in Berlin. Er sucht nach Spuren von Bettwanzen: Nester, die die winzigen blutsaugenden Parasiten an Bettgestellen, Matratzen, an Sofas und an Sesseln bauen, kleine schwarze Kotkrümel, die sie nach jeder „Mahlzeit“ hinterlassen, Reste, wenn sie sich häuten.

„Die Tiere sind wieder da“, sagt der Kammerjäger. Bettwanzen galten nach dem Krieg, spätestens seit den 1970er Jahren als mehr oder weniger ausgerottet. Damals bekämpfte man Bettwanzen mit dem mittlerweile verbotenen Insektizid DDT. Seit etwa 1990 breiten sich die Tiere wieder aus, seit 1995 sind sie in Deutschland wieder ein Thema. Berlin ist neben Hamburg „Bett­wanzen­haupt­stadt“.

Die Wanzen ernähren sich von Blut und halten sich in der Nähe von Menschen auf, vor allem in Schlafzimmern, Betten oder Sofas. Früher gab es höchstens zwei Fälle im Jahr, jetzt zählte Mario Heisig, Geschäftsführer der Berliner Firma SchaDe, rund 5.000 Einsätze im vergangenen Jahr allein in Berlin. Weil weltweit immer mehr gereist wird, breiten sich die Blutsauger verstärkt da aus, wo Menschen ständig wechseln, in Hotels, Jugend­herbergen, Wander­hütten. Ist eine Wanze erst einmal in einem Hotelzimmer in einen Koffer gekrabbelt, kann sie innerhalb weniger Stunden das Land und sogar den Kontinent wechseln.

Ein Weibchen genügt, um einen Haushalt zu verwanzen, ein weibliches Tier trägt bis zu 300 Eier in sich. Pro Woche legt es laut Umweltbundesamt ungefähr zehn davon ab. In manchen Regionen hat der Befall so stark zugenommen, dass die Tiere dort mittlerweile als Plage gelten. Zum Teil haben sie bereits Resistenzen gegen Bekämpfungsmittel entwickelt.

Bettwanzen werden vier bis sechs Millimeter groß, am Anfang sind sie noch recht klein, flach und braun. Nachts lassen sie sich von der Atemluft und der Körperwärme anlocken, krabbeln Bettbeine und -gestelle hoch und suchen sich eine nackte Körperstelle, häufig Nacken, Brust, Beine, Arme. Ein Saugakt dauert etwa drei bis zehn Minuten, danach verkriechen sie sich wieder in einer Bett- oder Fußbodenritze.

BettwanzeAlter Holzschnitt aus dem Jahre 1880 mit einer Bettwanze (Cimex lectularius), sie wird auch als Hauswanze bezeichnet.

Sie hinterlassen Bisse, die leicht anschwellen und jucken. Man kann sie relativ leicht von Mückenstichen unterscheiden, weil sie häufig hintereinander liegen, in einer Art Straße. Es dauert meist länger, bis sie abklingen, aber sie sind – und das ist das einzig Gute – nicht gesundheitsgefährdend.

Der junge Mann, den diese Tiere seit einem Jahr plagen, will unerkannt bleiben. Er möchte nicht, dass Freunde und Familie erfahren, womit er sich gerade herumschlägt. Er schämt sich. Obwohl das vollkommen unangebracht ist. Bettwanzen haben nichts mit Schmutz oder Unreinlichkeit zu tun.

Die zunehmenden Resistenzen gegen Insektizide stellen Kammerjäger wie Trojan vor neue Herausforderungen. Üblicher­weise geht der Schädlings­bekämpfer ein- bis höchstens dreimal in eine befallene Wohnung und sprüht eine Kombination aus einem Langzeit- und einem Kurzzeitgift. Bei dem jungen Mann in Berlin wird er heute ein Gift verwenden, das stärker ist als alle anderen Mittel, mit denen er sonst die Tiere erfolgreich bekämpft. Das Gift steckt in einer Flasche mit einem Totenkopf darauf, ist aber ein zugelassenes Mittel und für den Menschen ohne direkten Kontakt nicht gefährlich.

Das UBA spricht von einer rasanten Ausbreitung, von der unter anderem Berghütten betroffen sind. Dort wechseln die Schlafgäste täglich, die Wanzen verbreiten sich also rasend schnell. Im vergangenen Sommer haben manche Hüttenwirte selbst auf das Problem aufmerksam gemacht und Strategien zur Bekämpfung ergriffen. Es helfe niemandem, die Bettwanzen totzuschweigen, sagt Robert Kolbitsch, beim Deutschen Alpenverein zuständig für Hütten und Wege: „Wir können das Problem nur eindämmen, wenn alle Betroffenen das Thema offen ansprechen und gemeinsam an Lösungen arbeiten.“

Manche Hüttenwirte greifen zu drastischen Maßnahmen: Wer in eine Hütte kommt, muss seinen mitgebrachten Schlafsack für kurze Zeit in die Mikrowelle stecken, Hitze über 60 Grad lässt den Chitinpanzer der Tiere platzen, Eiweiße gerinnen. Ebenso werden die Eier zerstört. Hütteneigene Schlafsäcke werden täglich gewaschen.

Wer in eine Hütte kommt, muss seinen Schlafsack in die Mikrowelle stecken

Arlette Vander Pan hat am UBA Bettwanzen intensiv erforscht und Ratgeber geschrieben. Ihre Tipps, wie man Bettwanzen erfolgreich bekämpft und verhindert, dass man sie aus einer Berghütte oder aus einem Hotel mit nach Hause nimmt, findet man auf vielen Webseiten. Wer nicht sicher ist, ob er Wanzen hat, kann in Berlin auch Sonja Schlamp anrufen und nach Nelly fragen. Nelly ist eine belgische Schäferhündin, die Wanzen riechen kann, Sonja Schlamp hat sie darin ausgebildet. Seit neun Jahren trainiert Hundeführerin Schlamp, die auch Rettungs- und Suchtiere ausbildet, Hunde im Erschnuppern der Blutsauger.

Der Berliner Webdesigner, bei dem Kammerjäger Trojan jetzt das Totenkopf-Gift einsetzt, lässt sich die Wirkung und alle Sicherheitsvorkehrungen, die er selbst treffen kann, erklären. Nach dem Spritzen Fenster weit auf, etwa sechs bis acht Stunden den Raum nicht betreten.

Der junge Mann nickt. „Ich kann nicht mehr“, sagt er. „Kann ich verstehen“, sagt Trojan: „Aber wir müssen so lange behandeln, bis die Tiere beseitigt sind.“ Beide nicken.