: Verhinderte Anhörung
Zwei tschetschenische Asylbewerber sollen im Europarat über Verbrechen in ihrer Heimat berichten – aber deutsche Behörden blockieren das
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Aus Kiew Bernhard Clasen
Wenn am Dienstag in Straßburg bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates der Ausschuss für Recht und Menschenrechte tagt, wird er auch die Lage im Nordkaukasus erörtern. Bei zwei geladenen Zeugen, den Tschetschenen Neamat Abumuslimova und Ahmed Seriev, war die Teilnahme indes bis zum Schluss unklar – weil deutsche Behörden ihre Teilnahme blockierten.
Neamat Abumuslimova und Ahmed Seriev sind persönlich betroffen von einer schweren Menschenrechtsverletzung. In der Nacht zum 26. Januar 2017 wurden nach einem Bericht der in Moskau erscheinenden Nowaja Gaseta 27 junge Männer, die von der Polizei in Tschetschenien festgenommen worden waren, ohne Anklage hingerichtet. Möglicherweise, so die Nowaja Gaseta, die im Juli 2017 die Namen der Opfer veröffentlicht hatte, liegt die Zahl der Getöteten gar bei 56. Laut der russischen Menschenrechtsorganisationen Memorial und Zivile Unterstützung ist Neamat Abumuslimova die Mutter eines der Opfer, Ahmed Seriev der Bruder eines anderen Getöteten.
Abumuslimova und Seriev wurden nun mit Schreiben vom 19. Dezember 2019 beziehungsweise 10. Januar 2020 vom Sekretariat des Europarates in den Menschenrechtsausschuss eingeladen. Doch bis zum Schluss blieb offen, ob sie dieser Einladung folgen können. Denn die beiden Tschetschenen befinden sich derzeit in Deutschland, haben hier Asyl beantragt. Und beiden untersagten die zuständigen Behörden in Berlin und Bamberg zunächst die Reise nach Straßburg.
So schrieb das Berliner Landesamt für Einwanderung an Neamat Abumuslimova, dass es für eine Reise von Asylbewerbern ins Ausland zwingend der Zustimmung der Senatsverwaltung des Inneren und Sport bedürfe. „Ein Ersuchen um Zustimmung und die Zustimmung selbst setzen voraus, dass wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Auslandsreise erforderlich machen“, heißt es weiter. Dies sei nur in seltenen Fällen gegeben, etwa wenn es sich bei den Betroffenen um renommierte Wissenschaftler oder internationale Persönlichkeiten handele – oder wenn „erhebliche außenpolitische Interessen berührt sind“. Im Fall Abumuslimova aber resümiert das Landesamt in seinem Schreiben vom 15. Januar: „Dies ist beim Zweck Ihrer Reise nicht erkennbar.“ Die Ausstellung eines Reiseausweises sei deshalb „aus gesetzlichen Gründen abzulehnen“. Die Behörde in Bamberg argumentierte ähnlich.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Entscheidung der Behörden in Berlin und Bamberg. „Wir bitten eindringlich darum, dass Frau Abumuslimova und Herr Seriev die nötigen Dokumente für ihre Reise nach Straßburg erhalten, an den Anhörungen teilnehmen und wohlbehalten nach Deutschland zwecks weiterer Prüfung ihrer für sie lebenswichtigen Asylanträge zurückkommen können“, heißt es in einem Schreiben der russischen Menschenrechtsgruppen Memorial und Zivile Unterstützung.
Auch bei Amnesty International ist man verwundert über die Ablehnung der Reiseanträge. „Die Haltung der Ausländerbehörden überrascht“, erklärte deren Russlandexperte Peter Franck der taz. „Möglicherweise sind hier in zwei Einzelfällen Entscheidungen ohne zureichende Kenntnis des gesamten Hintergrunds getroffen worden. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass es generelle Linie der Ausländerbehörden ist, dass es nicht im außenpolitischen Interesse Deutschlands liegt, Gremien des Europarates bei der Ermittlung von Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen.“
Auch die russische Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina, Trägerin des alternativen Nobelpreises von 2016, übt Kritik. Der taz sagte sie: „Mit ihrer Ablehnung der Reiseanträge lassen deutsche Migrationsbehörden faktisch ein Hearing der Parlamentarischen Versammlung des Europarates platzen, das die Menschenrechtslage in einer der problematischsten Gegenden der Welt erörtern soll.“
Swetlana Gannuschkina, Menschenrechtlerin
Das Sekretariat des Europarats äußerte sich auf taz-Nachfrage nicht weiter zu dem Fall. Dort war nur von einem „nichtoffiziellen Treffen“ die Rede, in das man sich nicht weiter involviere.
Für die Hilfsorganisation Amnesty International ist der Fall indes noch nicht ausgestanden. „Wir hoffen, dass ein Weg gefunden werden kann, die Anhörung der beiden Betroffenen nachzuholen“, sagte ihr Experte Peter Franck der taz.
Kurz vor Redaktionsschluss am Montag schien dann aber doch noch die Teilnahme zumindest einer der beiden Tschetschenen möglich. Eine Behörde signalisierte den Betroffenen, dass sehr kurzfristig vielleicht doch noch eine Reise nach Straßburg ermöglicht werden könne.
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