Vor Gericht wegen 0,33 Gramm: Politisch motivierte Anklage?

In Hamburg steht ein Gambier wegen eines halben Joints vor Gericht. Die Verteidigerin ist überzeugt, dass es nicht allein um den Joint geht.

Ein halb gerauchter Joint

Ist in Hamburg Gegenstand eines Prozesses: ein angerauchter Joint Foto: Gras Grün/Unsplash

HAMBURG taz | Ein angerauchter Joint soll Herrn J. zum Verhängnis werden. Genauer: 0,33 Gramm „Marihuana-Tabak-Gemisch“, so steht es in der Anklageschrift. Die Hamburger Staatsanwaltschaft wirft ihm wiederholten Verkauf von Betäubungsmitteln vor. Im April hatte ihn die Polizei gestellt, als er den fraglichen Joint in einem Park an der St. Pauli Hafenstraße für zehn Euro verkauft haben soll. Am heutigen Dienstag wird nun sein Prozess vor dem Amtsgericht Altona fortgesetzt. Das Strafmaß reicht im Extremfall bis zu vier Jahren Gefängnis. Aber für 0,33 Gramm? Für den Eigenbedarf gilt üblicherweise eine Bagatellgrenze von sechs Gramm Marihuana.

Herr J. ist 30 Jahre alt und kommt aus Gambia. Seit dreieinhalb Jahren lebt er in Deutschland, gemeldet ist er in einer Flüchtlingsunterkunft in Baden-Württemberg.­ Die Staatsanwaltschaft geht allerdings davon aus, „dass er sich dauerhaft ohne Erreichbarkeit im Hamburger Betäubungsmittelmilieu aufhält“.

J. ist in Deutschland geduldet, arbeiten darf er hier nicht. Es geht in seinem Fall auch um die Frage, wie der Staat umgehen will mit Menschen, denen er keine Perspektive­ bietet: Beim Bereich Hafenstraße, so schreibt die Staatsanwaltschaft auf Anfrage, handele es sich um einen „Einsatzschwerpunkt“, weil dort erfahrungsgemäß eine Vielzahl von Betäubungsmittel-Straftaten begangen werden. Im Prozess geht es also auch darum, ob die Strafverfolgungsbehörden gezielt mit unterschiedlichem Maß messen, um das Drogenproblem­ an der Hafenstraße loszuwerden.

Die Verteidigerin von Herrn J., Fenna Busmann, ist genau davon überzeugt. So sehr, dass sie jetzt die Staatsanwaltschaft angezeigt hat, zum ersten Mal in ihrer Karriere. „Im Strafrecht geht es um individuelle Schuld“, sagt sie. „Es geht nicht darum, bestimmte Stadtteile von Problemen zu befreien.“ Sie fragt sich, ob der Rechtsstaat Risse hat. Busmann sagt: „Unser Rechtssystem darf keine Kollateralschäden hinnehmen.“ Die, glaubt sie, seien unvermeidlich, wenn gezielt an einem Ort gegen einen bestimmten Personenkreis ermittelt würde.

1994 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass ein allgemeines Cannabisverbot nicht gegen das Grundgesetz verstößt – vorausgesetzt, bei „geringen Mengen“ zum Eigenbedarf findet keine Strafverfolgung statt. Seitdem regeln die Bundesländer, wie groß genau so eine „geringe Menge“ ist.

Sechs Gramm Marihuana gilt in den meisten Bundesländern als Obergrenze. So auch in Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern.

15 Gramm lässt Berlin maximal straffrei durchgehen.

Wer mit einem leichteren Joint erwischt wird, kommt nicht automatisch ohne Sanktionen davon. Die Polizei muss jeden bekannten Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz anzeigen. Erst dann kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen.

Nicht selten geschieht dies gegen Auflagen: Arbeitsstunden, oder eine Beratung bei einer Drogen-Präventions-­Stelle.

Busmanns Klage bezieht sich auf ein zweites Verfahren gegen ihren Mandanten: Im Dezember war Herr J. wieder in Hamburg. Sie selbst hatte ihn hergebeten, um gemeinsam seine Verteidigung wegen der 0,33 Gramm vorzubereiten. Und wieder wurde Herr J. kontrolliert, wieder im Bereich der Hafenstraße. Marihuana fand die Polizei nicht, dafür aber eine Tüte mit 20 braunen Kügelchen darin. Medizin, sagte Herr J. – Medizin, die er kostenlos von einer Freundin bekommen habe, er habe Fieber.

Dennoch schlugen die Drogenspürhunde an, dazu verlief ein Schnelltest vor Ort positiv. Herr J. musste die Nacht auf dem Kommissariat verbringen: dringender Tatverdacht des Handels mit Heroin. Doch J. blieb bei seiner Darstellung: Die Kügelchen seien Medizin. Tags darauf erging der Haftbefehl, J. musste in Untersuchungshaft. Aber er blieb dabei: Die Kügelchen? Medizin. Er nannte sogar einen Namen, „Gurkung“; man lege eine Kugel in den Mund, reibe sie an den Zähnen, drei Stunden später fühle man sich befreit.

Nach fast drei Wochen in U-Haft meldete sich das LKA-Labor. Eine chemisch-toxikologische Untersuchung gab Herrn J. Recht: Die Kügelchen enthielten keine illegalen Betäubungsmittel.

Doch nachdem der zuständigen Staatsanwältin die entlastenden Laborergebnisse vorlagen, stellte die eilig einen Antrag auf Änderung des Haftbefehls. Nicht mehr den Handel mit Betäubungsmitteln warf sie J. nun vor, sondern „Imitathandel“. Also den Verkauf von Stoffen, „die nicht Betäubungsmittel sind, aber als solche ausgegeben werden“. So definiert es das Betäubungsmittelgesetz. Die Haftrichterin lehnte den Änderungsantrag ab, da die Polizei­ keinen Verkauf beobachtet habe und der Beschuldigte die Kügelchen eben gerade nicht als Drogen ausgegeben habe. Herr J. kam frei.

Fenna Busmann macht der Vorgang trotzdem wütend: „Da wurde krampfhaft versucht einen Haftbefehl aufrecht zu erhalten“, sagt sie. „Nur weil das in die eigene Erzählung passt.“ Mit ihrer Strafanzeige will sie prüfen lassen, ob sich die Staatsanwältin­ der Verfolgung Unschuldiger oder der Freiheitsberaubung schuldig gemacht hat.

Auch im Prozess wegen des 0,33-Gramm-Joints möchte Busmann heute auf den Fall mit den braunen Kügelchen verweisen. „Wir bewegen uns ohnehin schon an der alleruntersten Grenze der Strafbarkeit“, sagt sie, „und mein Mandant saß 20 Tage unschuldig in Untersuchungshaft.“ Sie hofft auf Milde für ihren Mandanten. Herr J. ist bisher nicht vorbestraft. Allerdings sei er wiederholt mit Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgefallen, teilte die Staatsanwaltschaft mit.

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