Rechte Netzwerke in Polizei und Militär: Hannibals Knallkörper

Der Kopf des rechten Hannibal-Netzwerkes steht in Böblingen vor Gericht. Sollte er jedenfalls. Doch André S. kommt nicht.

Die Frontantsicht des Amtsgerichts Böblingen mit einem Auto davor

Vor dem Böblinger Amtsgericht geht es um Sprengkörper aus Beständen des Militärs Foto: Christina Schmidt

BÖBLINGEN taz | Im Grunde geht es bei diesem Termin im Amtsgericht Böblingen nur um das Fehlen einer Erlaubnis. Doch der Angeklagte ist nicht irgendwer, sondern der Kopf eines bundesweiten Netzwerks, in dem sich Rechtsextremisten tummeln und paramilitärische Ausbildungen abgehalten werden. Im Raum 030 trägt die Staatsanwältin vor, dass man im September 2017 das Wohnhaus des Angeklagten André S. und auch Liegenschaften seiner Familie durchsucht habe.

Gefunden wurden in Sindelfingen und Halle: Signalleuchten, Signalrauchpatronen, Zünder für Übungshandgranaten, Nebelgranaten und mehr aus Militärbesitz. André S. war damals noch Elitesoldat des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr und eigentlich nur Zeuge in einem anderen Ermittlungsverfahren. Dem Prozess in Böblingen bleibt er auf Anraten seines Anwalts fern.

Das Amtsgericht Böblingen hatte im September 2019 einen Strafbefehl gegen André S. verhängt. 120 Tagessätze Geldstrafe sollte er zahlen. Den aktuellen Prozess gibt es nur, weil André S. gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt hat.

André S. ist bundesweit bekannt unter seinem Pseudonym „Hannibal“. Anfang 2016 hatte er ein Prepper-Netzwerk gegründet, in dem sich Männer und Frauen aus ganz Deutschland auf Katastrophen vorbereiten, den sogenannten Tag X. Er setzte Chatgruppen auf, eine für den Norden, eine für den Osten, den Westen, den Süden, auch in Österreich und der Schweiz soll es sie gegeben haben. Die Katas­trophen, an die sie dachten: Stürme, Stromausfälle oder Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen. Es ist ein Netzwerk, in dem rechtsextreme Gedanken Platz hatten. Auch rechtsextreme Tatpläne. Bislang sieht dafür niemand André S. juristisch in der Verantwortung.

André S. war Auskunftsperson, also eine Art Quelle für den Militärischen Abschirmdienst

In der Südgruppe beispielsweise war Franco A. Mitglied, ein Bundeswehrsoldat, der sich unter falscher Identität als syrischer Flüchtling registriert hatte. Vor Gericht schildert ein Ermittler, wie sie auf André S. kamen. In Chatprotokollen hatten sie von Safe Häusern gelesen, sicheren Rückzugsorten, möglicherweise mit Depots von Munition und Waffen. Eines davon: die Kaserne in Calw, in der das kaum kontrollierte und gut ausgebildete Kommando Spezialkräfte sta­tio­niert ist. Und André S. Sind dort Franco A.s Waffen versteckt?

Als die Ermittler die Kaserne durchsuchen, finden sie nicht viel. Sie erfahren: André S. hat von den Durchsuchungen gewusst und mindestens einen Laptop beiseitegeschafft. Derzeit läuft ein Verfahren in zweiter Instanz gegen einen Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes; er soll André S. gewarnt haben. Durch den Prozess wurde bekannt: André S. war Auskunftsperson, also eine Art Quelle für den MAD.

Wenn André S. gewarnt war, fragen sich die Ermittler, hat er dann auch die Waffen von Franco A. weggeräumt? Also durchsuchen sie seine Wohnung und das Autohaus seiner Eltern in Halle. Sie finden die Übungsgranaten. Ob sie aus Bundeswehrbeständen stammen, ob André S. sie gestohlen hat oder jemand anderes, dazu macht die Staatsanwältin keine Angaben. Der Diebstahl ist schon verjährt.

André S. weist in Abwesenheit alle Vorwürfe von sich. Ein vor Gericht befragter BKA-Beamter zitiert ihn allerdings: Er sei der Meinung gewesen, dass es sich um erlaubnisfreie Knallkörper handele, deshalb habe er sie bei der Bundeswehr mitgenommen. Am 3. Februar wird die Verhandlung fortgesetzt.

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