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Ein Eid, sie zu knechten

Der Traum vom guten Leben im Ausland endet für Zehntausende Nigerianerinnen in der Zwangsprostitution – auch in Deutschland. Betroffen sind vor allem Frauen, die kein Geld für die Reise haben

Migration in Afrika ist vor allem regio­nal: Die meisten Menschen ziehen nicht weit. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation ILO bleiben 80 Prozent der Migrant*innen in Afrika in der Nähe ihres Herkunfts­ortes. Es sind hauptsächlich gering qualifizierte Arbeitskräfte und sie suchen nach Arbeit in der Landwirtschaft, der Fischerei, dem Bergbau, dem Baugewerbe und der Hausarbeit. So weit, so normal.

Für eine – kleine – Minderheit der Mi­gran­t*innen aber ist es anders. Nigeria ist heute ein Herkunfts-, Transit- und Zielland für den Handel mit Frauen und Kindern. Sie werden innerhalb Nigerias rekrutiert und verkauft, als Hausangestellte, für Sexarbeit oder sogar zur Zwangsheirat ausgebeutet. Dieser Menschenhandel ist interna­tio­nal: Die Opfer werden nach Italien, Spanien, in die Niederlande oder nach Belgien; nach Dubai, Kuwait, Saudi-Arabien; aber auch in andere afrikanische Länder wie Ghana, Libyen, Mali, Burkina Faso oder die Elfenbeinküste verschleppt. Und 2018 stammten 14 Prozent aller in Deutschland vom Bundeskriminalamt erfassten Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung aus Nigeria.

Vielen, die ein besseres Leben suchen, ist nicht bewusst, dass sie dabei in Gefangenschaft und Sklaverei geraten können. Manche der Menschenhändler zeichnen ein rosiges Bild eines Lebens frei von Not, im Ausland. Für jene, die sich die Kosten für die Migration in diese Länder nicht leisten können, organisieren teils Menschenhändler die Reise. Doch zuerst lassen sie die Mädchen und Frauen an Heiligtümern einen Eid schwören, damit diese später nicht davonlaufen, teils müssen sie diesen vor einem Juju-Priester ablegen. Den Opfern wird dabei mit Krankheit und Tod gedroht, wenn sie in Europa oder anderen Zielländern fliehen, ohne ihre Schulden für die Reise zu begleichen. Andere Schlepper drohen ihnen oder der Familie direkt mit Gewalt, um ihre Opfer zu kontrollieren.

Die Summe, die die Menschenhändler für eine Passage nach Europa in Rechnung stellen, liegt Aussagen von Opfern zufolge bei bis zu 35.000 Euro – ein astronomischer, fiktiver Betrag, der rein gar nichts mit den tatsächlichen Reisekosten zu tun hat, sondern ausschließlich dazu dient, die Opfer in ewiger Knechtschaft zu halten. Doch viele der Opfer sind ungebildet und haben deshalb keine Vorstellung davon, dass dieser Betrag stark übertrieben ist.

Nigerianische Migrant*innen, die sich für eine solche Reise entscheiden, reisen meist durch die Stadt Sokoto im Norden des Landes, dann weiter über Niamey und Agadez bis nach Libyen. Sie müssen der Sahara trotzen und landen schließlich in Tripolis. Wer hier umkehrt, dem drohen Tod und Folter. Weitergehen kann dasselbe Schicksal bedeuten: Nicht alle werden von den Hilfsorganisationen auf dem Mittelmeer gerettet.

ist Reporterin beim Fern­sehsender Channels Television in Abuja.

Die UN-Migrationsorganisation IOM schätzte 2016, dass bis zu 80 Prozent der jungen Frauen, die aus Nigeria in Europa ankommen, als Opfer sexueller Ausbeutung zur Prostitution gezwungen werden. 2017 wurden insgesamt 5.400 Ankünfte von nigerianischen Frauen registriert. Diese Zahl ist nun allerdings rückläufig. Dennoch: Nach Angaben der italienischen Behörden arbeiten zwischen 10.000 und 30.000 nigerianische Frauen auf den Straßen Italiens in der Prostitution.

Die nigerianische Regierung behauptet, dass sie den Menschenhandel bekämpft. Nach Angaben der nigerianischen Anti-Menschenhandels-Behörde Naptip wurden 2018 insgesamt 1.173 Opfer „gerettet“ und 388 Personen wegen Menschenhandels in Nigeria vor Gericht gestellt und verurteilt. Doch das ist nicht einmal die Spitze des Eisbergs.

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