: Folgt auf Vertuschung Aufklärung?
Die iranische Revolutionsgarde hat den Abschuss des ukrainischen Passagierflugzeuges zugegeben. Die Regierungschefs der Ukraine und Kanadas fordern, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen
Von Jana Lapper
Tagelang hatte die Führung in Teheran abgestritten, etwas mit dem Absturz des ukrainischen Passagierflugzeuges PS752 zu tun zu haben, bei dem alle 176 Insassen starben. Am Samstag kam das späte Geständnis: Das Militär habe die Maschine „unbeabsichtigt“ abgeschossen, hieß es in einer Erklärung im Staatsfernsehen. Es handele sich um einen „menschlichen Fehler“. Irans Präsident Hassan Rohani erklärte auf Twitter: „Der Iran bereut diesen desaströsen Fehler zutiefst.“
Einiges deutet darauf hin, dass es sich um einen Irrtum gehandelt hat. Zum einen befanden sich vor allem im Ausland lebende Iraner:innen an Bord – keine US-Bürger:innen. Zum anderen ist ein sicherer Flugverkehr wichtig für die Volkswirtschaft Irans. Durch den Verkauf von Überflugrechten an ausländische Fluggesellschaften nimmt der Staat Geld ein.
Wie konnte es dann aber zu der Katastrophe kommen? Der Abschuss ereignete sich zu einem Zeitpunkt, in dem die iranische Luftabwehr in höchster Alarmbereitschaft stand. Wenige Tage zuvor hatte US-Präsident Donald Trump den Befehl gegeben, den bedeutenden iranischen General Qasim Soleimani auf irakischem Boden zu töten. Nach seinem Tod hatte Teheran Rache geschworen – und tags darauf zwei US-amerikanische Stützpunkte im Irak bombardiert. Kein Mensch kam ums Leben – trotzdem bestand die Gefahr eines Gegenschlags der USA. Trump hatte zuvor eine Liste mit 52 potenziellen Anschlagszielen verkündet.
In dieser Gemengelage startete das Passagierflugzeug am Mittwoch in Teheran – und wurde kurz darauf von einer Flugabwehrrakete getroffen. General Amirali Hadschisadeh, Luftwaffenkommandant der Revolutionsgarden, erklärte am Samstag, wie es aus seiner Sicht zu dem Vorfall gekommen war. Der diensthabende Soldat habe das Flugzeug für einen amerikanischen Marschflugkörper gehalten, der sich einer iranischen Militäranlage genähert haben soll. Der Soldat habe nur zehn Sekunden Zeit gehabt, eine Entscheidung zu fällen. „Und leider tat er das, was dann zu dem Unglück führte“, sagte Hadschisadeh. Eine Bestätigung seiner Entscheidung habe sich der Soldat nicht einholen können – das Kommunikationssystem sei gestört gewesen.
Die Revolutionsgarde hat mittlerweile die Verantwortung für den Abschuss übernommen, behauptete aber zunächst, das Flugzeug sei überraschend vom Kurs abgewichen und hätte sich einer Militäranlage genähert. Das hätte die Entscheidung des Soldaten provoziert. Die Fluglinie Ukraine International Airlines dementierte. Hadschisadeh bestätigte später, dass das Flugzeug nicht die Richtung gewechselt habe. „Alle haben ihren Job korrekt gemacht“, sagte er laut New York Times. „Wenn jemand einen Fehler gemacht hat, dann jemand von uns.“ Für Außenminister Dschawad Sarif ist nicht nur der Iran schuld: Auf Twitter schrieb er, der Fehler sei in einer Krise geschehen, die von „US-Abenteurertum“ hervorgerufen worden sei.
Der kanadische Premier Justin Trudeau verlangte bei einem Telefonat mit Rohani von den iranischen Behörden „weitere Schritte“ und eine umfassende Zusammenarbeit zwischen Iran und Kanada. 57 der Opfer lebten in Kanada. Auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski forderte eine Entschädigung der Angehörigen und eine Bestrafung der Verantwortlichen. Rohani versprach ihm, die Verantwortlichen „vor Gericht“ zu stellen. „Dieser unverzeihliche Vorfall muss juristisch konsequent verfolgt werden“, sagte er. Parlamentspräsident Ali Lardischani teilte am Sonntag mit, zwei Parlamentsausschüsse würden nun die Vorgänge untersuchen und sich mit der Frage beschäftigen, wie solche Tragödien künftig vermieden werden können.
Ukrainische Beamte kritisierten laut New York Times, dass Iran den Abschuss erst zugegeben hatte, nachdem ukrainische Ermittler Beweise für einen Raketenangriff gefunden hatten. Zuvor beteuerten iranische Behörden, ein technischer Fehler habe zu dem Absturz geführt. Der verantwortliche ukrainische Sicherheitsbeamte Oleksiy Danilow sagte im Interview mit der New York Times, iranische Behörden hätten sich nach dem Abschuss komplett unangemessen verhalten – Teheran habe weiterhin Passagierflüge erlaubt und Ermittlungsstandards nach dem Absturz ignoriert.
Die europäische Flugaufsicht Easa empfiehlt den europäischen Fluglinien bis auf Weiteres, den iranischen Luftraum zu meiden. Bislang hatte Easa nur mitgeteilt, dass die iranischen Behörden Überfluge des iranischen Luftraums unterhalb von 7.600 Metern verboten haben. Mehrere ausländische Fluggesellschaften wie Lufthansa und die Austrian Airlines haben ihre Flüge nach Teheran eingestellt.
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