Mord an Walter Lübcke: Ein zweiter Mann am Tatort?

Der Mordverdächtige will erneut aussagen – und belastet einen Mitbeschuldigten. Die Ermittler halten aber sein erstes Geständnis für glaubwürdig.

Polizist:innen stehen vor dem Wohnhaus von Walter Lübcke

Hier starb Walter Lübcke: der Tatort am 3. Juni Foto: Ralph Orlowski/reuters

WIESBADEN taz | Im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke will der Tatverdächtige Stephan Ernst eine neue Aussage machen. „Er möchte ein ausführliches Geständnis abgeben und nun endlich die Wahrheit über die Tatnacht ans Tageslicht bringen“, kündigte sein Anwalt Frank Hannig am Donnerstag an.

Lübcke war am 2. Juni vor seinem Haus bei Kassel erschossen worden. Als Tatverdächtiger sitzt Stephan Ernst, ein Kasseler Rechtsextremist, in Haft. Er hatte die Tat zunächst gestanden: Er sei erbost gewesen über eine Kritik von Lübcke an Geflüchtetengegner aus dem Jahr 2015. Der 45-Jährige führte die Polizei auch zur Tatwaffe in einem Erddepot und benannte zwei Männer, die ihm diese und andere Waffen beschafft hatten. Dann aber zog Ernst sein Geständnis zurück.

Nun will Stephan Ernst eine neue Aussage machen – und offenbar eine weitere Person belasten. In seinem ursprünglichen Geständnis war von einem Mittäter noch keine Rede. Ernsts Anwalt Hannig bestätigte der taz, dass er kürzlich Beweisermittlungsanträge stellte, DNA-Spuren eines möglichen zweiten Täters am Tatort zu finden. Um wen es sich handeln soll, sagte er nicht. Hannig kündigte aber an, das neue Geständnis werde laut Stephan Ernst „alle noch offenen Fragen über den Tathergang klären“. Ein Termin zu der Vernehmung stehe noch nicht fest, die Ermittlungsrichter aber seien seit Mittwoch informiert.

Und schon jetzt belastet Stephan Ernst einen Mitbeschuldigten: Markus H. Der 43-Jährige, auch er ein Rechtsextremist, soll Ernst die Tatwaffe vermittelt haben. Ernst selbst hatte die Ermittler auf seine Spur gebracht. Nun versucht er H. offenbar eine größere Verantwortung für die Mordtat zuzuschieben. „Er brachte die Waffen ins Spiel, er verknüpfte sie ständig mit politischen Themen“, schrieb Ernst in einer Stellungnahme an die ARD. „Markus hat sein Umfeld immer aufgestachelt.“

Björn Clemens, der Anwalt von Markus H., wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Wenn Stephan Ernst andere in die Tat mitreinziehen wolle, könne er das nur zur Kenntnis nehmen, sagte Clemens der taz. Er beteilige sich nicht an Spekulationen.

Von verschiedenen Seiten belastet

Auch der Bundesgerichtshof (BGH) hatte Markus H. indes zuletzt belastet. Dieser sei mit Stephan Ernst 2015 auf der Bürgerversammlung in Kassel-Lohfelden gewesen, wo Lübcke die Geflüchtetengegner kritisierte. H. habe dorf gefilmt und die Passage ins Internet gestellt. Zudem habe er Stephan Ernst mit zu Schießtrainings genommen und ihm so für dessen Mordplan „Zuspruch und Sicherheit“ vermittelt, ihn darin „bestärkt“. Auch wenn Ernst den Plan nicht klar ausgesprochen habe, sei es zu „Andeutungen“ gekommen.

Zudem wird Markus H. auch von seiner früheren Partnerin belastet. Diese bezeichnete den 43-Jährigen als „Denker“ und Ernst als „Macher“. Zudem habe H. einmal gesagt, sollte er einmal schwer erkranken, werde er sich mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft sprengen und möglichst viele „Kanaken“ mitnehmen. Und in einem Buch des rechten Skandalautors Akif Pirinçci, das bei H. gefunden wurde, sei der Name von Lübcke mit einem Textmarker angestrichen gewesen, so der BGH.

H.s Verteidiger Clemens kritisiert, dass der BGH dies alles schon öffentlich gemacht hat. H. werde vorverurteilt, das Ermittlungsverfahren sei „politisch instrumentalisiert“. Mit der Mittäter-These werde nun „eine neue Sau durchs Dorf getrieben“. Vor dem BGH hatte Clemens bestritten, dass H. in die Mordpläne eingeweiht war: Dieser habe vielmehr geglaubt, Stephan Ernst sei es um eine Aktion wie das Beschmieren einer Hauswand gegangen.

Tatsächlich gibt es bisher keine Beweise dafür, dass Markus H. oder andere Täter beim Mord an Walter Lübcke vor Ort waren. Die Aussage eines Nachbarn, er habe am Tatort zwei Autos davonrasen gesehen, konnten Ermittler bisher offenbar nicht erhärten.

Ernst indes war schon in der Vergangenheit mit schweren rechtsextremen Gewalttaten aufgefallen. Am Donnerstagnachmittag berichtete das LKA Hessen zudem von einer bei Ernst aufgefundenen Personenliste. Etwa 60 Personen und Objekte seien darauf notiert, versehen mit „verschiedenen Informationen“. Teils handele es sich um Personen des öffentlichen Lebens, sie kämen überwiegend aus dem Großraum Kassel. Die Erhebung der Daten sei zwischen 2001 und 2007 erfolgt, so das LKA. Die Liste habe man nun bei der Auswertung von Datenträgern entdeckt. Eine „konkrete Gefährdung“ der aufgeführten Personen liege nicht vor, erklärte das LKA. Dennoch habe man alle Betroffenen am Donnerstag informiert.

Die Bundesanwaltschaft wollte sich aktuell nicht zu dem Fall äußern. Bisher verwiesen Ermittler auf das plausible, ursprüngliche Geständnis von Stephan Ernst – und auf eine DNA-Spur von ihm am Tatort. Auch der BGH erklärte das verworfene Erstgeständnis weiter für gültig: Es gebe „kein Anlass, an dem Wahrheitsgehalt der Einlassung zu zweifeln“. Eine Anklage gegen Stephan Ernst wird deshalb bisher zum Jahreswechsel erwartet.

Aktualisiert am 29.11.2019 um 17:45 Uhr

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■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

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