: „Da ist eine richtige Blase entstanden“
Die Stadtplanerin Cordelia Polinna über den Wandel im Handel, die Krise der Shoppingmalls und die Möglichkeiten, sie umzubauen
Cordelia PolinnaJahrgang 1975, ist Stadtplanerin und Geschäftsführerin des Büros Urban Catalyst.
Interview Uwe Rada
taz: Frau Polinna, der Einzelhandel steckt in einem tiefgreifenden Wandel. Geht der Trend zum Onlinegeschäft ungebremst weiter?
Cordelia Polinna: Das wird so weitergehen. Auf der anderen Seite wollen viele Menschen Shopping mit einem Erlebnis verbinden. Da will man keine schweren Sachen mehr nach Hause schleppen, sondern was Schönes essen und noch ins Kino gehen.
Dafür wären Shoppingmalls denkbar gute Orte. Warum stecken sie dann in der Krise?
Bisher sind sie ja große stationäre Einzelhandelsstandorte. Aber Markenerlebnisse und Kundenbindung verändern sich, bei jungen Leuten werden neue Trends durch Instagram cool. Deshalb gibt es einen großen Erneuerungsbedarf.
Alle zehn Jahre, heißt es, müssten sie umgebaut werden.
Parallel dazu, und das interessiert mich als Stadtplanerin sehr, gibt es den Trend zur echten, richtigen Stadt. Das Einkaufserlebnis kann auch am Hackeschen Markt stattfinden, in der Bergmannstraße oder der Markthalle Neun, also an Orten, die „echte“ Stadt sind.
Viele Flächen in Shoppingcentern stehen auch leer, weil in unmittelbarer Nähe Konkurrenz entstanden ist. Gibt es in Berlin mit seinen massig Malls nicht einfach zu viele?
Definitiv. Da ist eine riesige Blase entstanden. Die neuen schicken Malls können da noch eine Weile mithalten, insgesamt ist aber ein gnadenloser Verdrängungswettkampf entstanden. Offenbar ist es ein falscher Markt, auf den die Immobilienentwickler gesetzt haben.
Den Bezirken sind allerdings die Hände gebunden, weil das Planungsrecht keine Obergrenze vorsieht.
Ja. Am Ende ist es die Entscheidung der Projektentwickler, was sie mit ihren Flächen machen wollen.
Viele Center reagieren mit mehr Food Courts, Entertainment und Sport auf die Krise. Außerdem sollen Online und stationärer Handel enger verzahnt werden. Helfen solche Anpassungsstrategien den Malls über den Berg oder bieten sie nur ein paar Jahre Aufschub?
Das wird in Berlin, wo die Stadt selbst attraktiv ist, nur eine Zeit lang helfen. Am Ku’damm beobachten wir wieder ein Mehr an Kultur.
Sie haben eine Studie erstellt, wie sich Veränderungen im Einzelhandel in Zürich auswirken können. Aus manchen Ihrer Szenarien gehen die Shoppingmalls als Sieger hervor, aus manchen als Verlierer.
Sie sind Verlierer, wenn wir von einer Stärkung des stationären Einzelhandels ausgehen. Da haben wir von back to the roots gesprochen. Das sind Szenarien, wo die Menschen auf lokal produzierte oder handwerklich hergestellte Produkte setzen, also den Gegentrend zur Massenproduktion aus Fernost. Wir haben angenommen, dass es in einer Postwachstumsökonomie Menschen gibt, die Verzicht üben und weniger, dafür hochwertige Dinge kaufen. Das wird eher nicht in Shoppingmalls stattfinden.
Und wann gewinnen die Shoppingmalls?
Wenn der Konsum in Erlebniswelten zunimmt, wo man die Golfausrüstung oder Skier in großen Indoorhallen schon mal ausprobieren möchte. Oder wenn ihre Funktion als sozialer Treffpunkt verstärkt wird.
Trotz Umbauten stehen viele Flächen leer. Wie flexibel sind Malls, wenn man sie umbauen möchte?
Sie sind nicht besonders flexibel. Oft gibt es eine große Raumtiefe und wenig Belichtung. Das ist ja auch architektonisch der Sinn der Shoppingmalls: Sie sollen die Leute hineinsaugen, am besten sollen die gar nicht mitkriegen, dass die Sonne untergegangen ist. Diese Gebäude zu öffnen braucht gigantische Umbauten.
Die Arbeitsstättenverordnung sieht für Büros Licht vor. Ist das beim Verkaufspersonal anders?
Das ist interessant. Offenbar wird es den Verkäuferinnen und Verkäufern in diesen Zentren zugemutet, dass sie den ganzen Tag bei künstlichem Licht arbeiten.
Gibt es auch radikale Beispiele dafür, wie Malls umgenutzt werden?
In São Paolo gibt es die Galeria do Rock, die in eine Punk- und Metal-Music-Mall umgenutzt wurde. Da sind jetzt Tattoo-Studios und Plattenläden drin. Die Mall liegt in der Altstadt, die von der Mittelschicht nach Anbruch der Dunkelheit gemieden wird.
Vor einem Jahr hat die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg eine Abwrackprämie für Shoppingmalls gefordert.
Ich finde es krass, die Abwrackprämie der öffentlichen Hand aufzubürden. In der Karl-Marx-Straße, wo ich wohne, bin ich seit Jahren mit leerstehenden Kaufhäusern konfrontiert. Wenn da jetzt noch die öffentliche Hand einspränge, fände ich das nicht angemessen. Es müsste bei Leerstand eher eine Verpflichtung zum Rückbau auf Kosten der Eigentümer geben.
Nun scheint es da jetzt innovative Lösungen zu geben.
Mal sehen, ob sie auch funktionieren. Im ehemaligen Karstadt-Schnäppchencenter wird jetzt ein Konzept umgesetzt, bei dem Coworking Spaces und Food Courts und Event Spaces dabei sind.
Einen anderen Weg geht der Investor Harald Huth in Tegel. Dort wird die ganze Gorkistraße zur Mall, es bleiben aber einzelne Gebäude, auch wird die Straße nicht überdacht. Ähnliches fordern Bezirk und Senat am Güterbahnhof in Pankow.
Das scheint flexibler und kleinteiliger zu sein als eine reine Mall, sodass schneller auf Veränderungen reagiert werden kann. Allerdings hat auch das negative Seiten. Im Shoppingcenter Liverpool One sind mehrere Blöcke der Stadt zusammengefasst worden, sodass fast das ganze Zentrum eine Shoppingmall ist. Nur sieht man es auf den ersten Blick nicht.
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