: Massenhaft rechtswidrig eingesperrt
Der Flüchtlingsrat beklagt in Niedersachsen unrechtmäßige Inhaftierungen von Ausländern in Abschiebegefängnissen
Von Reimar Paul
Niedersachsens Flüchtlingsrat hatte schon vor zwei Jahren Alarm geschlagen: Bei der Anordnung von Abschiebungshaft würden im Land Verfahrensrechte und Rechte der Betroffenen häufig missachtet. Nach Prüfung durch höhere Gerichte erwiesen sich Inhaftierungen deshalb oft als unrechtmäßig. Am Mittwoch legte der Flüchtlingsrat nun mit konkreten Zahlen nach.
Demnach haben Gerichte in 179 von 282 vom Flüchtlingsrat begleiteten Verfahren nach neuerlicher Prüfung entschieden, dass die Inhaftierung von Ausländern im Abschiebungsgefängnis in Langenhagen zu Unrecht erfolgt ist. Das entspreche nahezu zwei Dritteln der Fälle.
75 der 179 rechtswidrig inhaftierten Ausländer seien nach dem Urteil der Beschwerdeinstanz aus der Abschiebungshaft entlassen worden, erklärte der Flüchtlingsrat. In 102 Fällen sei das Urteil erst nach der Abschiebung und damit für die Betroffenen zu spät ergangen. Über 71 weitere Haftbeschwerden von bereits abgeschobenen Personen hätten die Gerichte noch nicht entschieden.
„Die massenhafte Inhaftierung von Ausländern zum Zweck ihrer Abschiebung unter eklatantem Bruch geltenden Rechts ist nicht hinnehmbar“, sagte Johanna Lal vom Flüchtlingsrat. Die Praxis verletze Grund- und Menschenrechte und stelle die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats in Frage.
Viele Menschen in Abschiebungshaft litten unter gravierenden körperlichen und psychischen Erkrankungen. Sie hätten in ihren Herkunftsländern oder auf der Flucht schwere Gewalterfahrungen gemacht, sodass es in der Haft häufig zu einer Retraumatisierung komme.
Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat ergänzte: Die Landesregierung müsse die Anordnung und den Vollzug der Abschiebungshaft unverzüglich aussetzen. Zudem fehle es nach wie vor an einem Gesetz, das die Rechte der Abschiebungshaftgefangenen verbindlich regele.
Das Landesjustizministerium in Hannover könne die vom Flüchtlingsrat genannten Zahlen nicht kommentieren, sagte ein Sprecher: „Denn es handelt sich um Daten, die der Flüchtlingsrat aus jenen Verfahren ermittelt habe, die er betreut hat und in die er Einblick hatte.“ Das Innenministerium teilte mit, das vom Flüchtlingsrat geforderte Abschiebungshaftvollzugsgesetz werde derzeit erarbeitet.
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