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Die wiedervereinigte Familie

In ihrem ersten Dokumentarfilm „Swimmingpool am Golan“ geht Esther Zimmering der Geschichte des jüdischen Zweigs ihrer Familie nach und begibt sich auf Spurensuche in Berlin und Israel

Die Regisseurin Esther Zimmering auf Spurensuche im Pool Foto: Arsenal Filmverleih

Von Katharina Granzin

Die Schauspielerin Esther Zimmering hat eine Familiengeschichte, die aus dem Rahmen fällt. 1977 in Berlin-Köpenick geboren und auch dort aufgewachsen, ist sie lange Zeit ein ganz normales DDR-Kind. Bis die Mauer fällt. Auf einmal weitet sich die Welt. Etwas nämlich war in der Familie doch immer anders gewesen: Alle anderen Kinder schienen mehr Verwandte zu haben. In Esthers Familie dagegen gab es aufseiten des jüdischstämmigen Vaters nach dem Tod des Großvaters nur eine Tante. Alle anderen waren von den Nazis ermordet worden.

In den Jahren, die auf den Mauerfall folgen, entdecken die zwölfjährige Esther und ihr Bruder einen ganz neuen Teil der Familie. Die Schwester des Vaters hatte all die Jahre heimlich Kontakt gehalten zu Verwandten in Israel (da beide Geschwister in politisch sensiblen Positionen beschäftigt waren, waren ihnen persönliche Kontakte dorthin verboten): Eine Kusine der Großmutter war Ende der dreißiger Jahre nach Palästina emigriert, hatte dort eine Familie gegründet und lebte in einem Kibbuz nahe den Golanhöhen. Diese israelische Verwandtschaft wird zu einem wichtigen Bezugspunkt im Leben der Berliner Kinder, der kibbuzeigene Swimmingpool zu ihrem liebsten Ort in den Sommerferien.

„Swimmingpool am Golan“ ist Esther Zimmerings erster eigener Film als Autorin und Regisseurin. Ein Jahrzehnt lang hat sie daran gearbeitet, der Geschichte ihrer Familie väterlicherseits filmisch nachzugehen. Das Ergebnis ist ein gradliniges, unprätentiöses Stück Dokumentarkino, das bei aller persönlichen Beteiligung der Regisseurin erfrischend unsentimental bleibt. Eine Art Schlüsselfrage entwickelt sich erst nach und nach: Wie konnte es sein, fragt die Autorin sich irgendwann, dass ihre Großmutter Lizzi, die 1939 nach England fliehen konnte, und deren Kusine Lore, die zur selben Zeit nach Palästina ging, sich so ganz und gar aus den Augen verloren? Obwohl doch beide einander zuvor so eng verbunden gewesen waren wie zwei Schwestern?

Esther Zimmering vermutet ein profundes weltanschauliches Zerwürfnis zwischen den Frauen. Großmutter Lizzi hatte in England den Kommunisten Josef Zimmering kennengelernt und geheiratet. Dort, im britischen Exil, wurde nicht nur Esthers Vater geboren, sondern auch, unter Beteiligung der Zimmerings, die FDJ gegründet. Nach dem Krieg war es keine Frage für die Großeltern Zimmering, nach Deutschland zurückzukehren und dort den Sozialismus mit aufzubauen.

Kusine Lore dagegen hatte sich bereits in den dreißiger Jahren in einer zionistischen Jugendorganisation engagiert, bekam ein Visum für Palästina, zog in einen Kibbuz und heiratete einen zionistischen Funktionär. Ein Lebensweg, der nicht allen offenstand. Unter britischer Mandatsherrschaft, erfährt Esther aus dem schriftlichen Bericht eines anderen Verwandten, konnte es sozialrevolutionärer gestimmten Aktivisten leicht passieren, wegen kommunistischer Umtriebe im Gefängnis zu landen. Stand also die Politik zwischen Lizzi und Lore? Esther Zimmering wird es nicht herausfinden, denn obgleich Lore zu Beginn ihrer filmischen Recherche noch lebt, ist sie schon zu dement, um sich noch erinnern zu können.

Die Regisseurin thematisiert ganz selbstverständlich ihr Involviertsein

Interessanterweise hat sich anscheinend in der Verwandtschaft die politische Disposition auf beiden Seiten weitervererbt. So wie sich bei den Berliner Zimmerings die sozialistisch beziehungsweise links orientierte Haltung offenbar über mehrere Generationen erhalten hat, so sind die Nachkommen von Kusine Lore immer noch Zionisten. Nein, er könne sich nicht vorstellen, jemals woanders zu leben als in Israel, sagt Esthers jüngster Cousin, als er auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee steht. Nur in Israel ließe sich doch das Jüdischsein erhalten.

Die Regisseurin selbst agiert nicht nur als Erzählerin ihres Films, sondern ist fast stets auch mit im Bild, wenn sie mit ihren Verwandten spricht, stellt scheinbar naive Fragen aus ihrer ganz persönlichen Per­spek­ti­ve und thematisiert ganz selbstverständlich das eigene Involviertsein. Das geht so weit, dass sie am Schluss auch ihren Mann (der aus Ghana stammt und den sie im Camp am Kreuzberger Oranienplatz kennenlernte) und ihre kleine Tochter beim gemeinsamen Besuch in Israel filmt.

Es wäre fast zu filmgerecht kitschig, wenn es nicht eindeutig echtes Leben wäre und wenn Esther Zimmering nicht auch dieses letzte kleine Stückchen familiärer Nabelschau so lapidar und locker nachreichen würde. „Jetzt reicht meine Familie bis Afrika“, sind die letzten Worte des Films. Sie verschieben den Fokus ganz entspannt ins Globale.

„Swimmingpool am Golan“. Regie: Esther Zimmering. Deutschland 2018, 88 Min.

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