Twitter ohne politische Werbung: Netter Versuch

Twitter will keine bezahlten politischen Anzeigen mehr annehmen. Das ist sicher nicht falsch, geht aber am Problem der Plattform vorbei.

Twitter-Werbung-mit Menschen die auf ihre Smartphones starren mit Twitterlogo im Hintergrund

Politische Beeinflussung funktioniert auch ohne Werbung Foto: Kacper Pempel/reuters

Es brauchte nur ein paar Tweets, um Mark Zuckerberg in der öffentlichen Wahrnehmung an die Wand zu spielen. Jack Dorsey, CEO des Kurznachrichtendienstes Twitter, verkündete am Mittwoch auf der eigenen Plattform, dass diese in Zukunft keine bezahlten politischen Anzeigen mehr annehmen würde. Das soll sowohl unmittelbare Wahlwerbung, als auch sogenannte issue ads betreffen, Anzeigen also, die eine bestimmte Sichtweise auf umstrittene gesellschaftliche Themen wie Schwangerschaftsabbrüche und Immigration, bewerben. Die genaueren Details der neuen Regelung werden in den kommenden zwei Wochen bekanntgegeben, in Kraft treten wird sie noch im November.

In direktem Widerspruch zu Facebook-Chef Mark Zuckerberg, der gerade heftiger Kritik für seinen Umgang mit politischen Werbeanzeigen ausgesetzt ist, erklärte Dorsey, dass es sich dabei nicht um eine Frage der Meinungsfreiheit, sondern schlicht um bezahlte Reichweite handele. Geschäft ist also Geschäft. Wie viel Umsatz Twitter durch die Maßnahme verlorengehen wird, legte Dorsey nicht offen. Schätzungen gehen davon aus, dass der Anteil politischer Anzeigen auf Facebook etwa 0,5 Prozent (etwa 250 Millionen Dollar) des Umsatzes ausmacht, bei Twitter dürften die Zahlen weitaus niedriger sein.

Der Streit um politische Werbung auf Sozialen Medien berührt einen wichtigen Punkt politischer Meinungsbildung. Wie auch bei Plakatwerbung, Anzeigen in Printmedien oder Clips im Fernsehen, können für Positionen mit starkem finanziellen Rückhalt größere Reichweiten gekauft werden. Das gilt in besonderem Maße für die USA, wo für fast jeden politischen Streitpunkt und die Kandidat*innen aller politischen Lager Einfluss und Macht gerne daran gemessen werden, wie viel Geld die jeweiligen Kampagnen mobilisieren können. Anders als auf den klassischen Wegen jedoch haben durch Effekte wie virale Reichweiten auf Sozialen Medien auch Positionen von Minderheiten oder solche ohne große Kriegskasse eine Chance auf großflächige Wahrnehmung.

Die Qualität der politischen Debatte wird sich durch die Abschaffung politischer Anzeigen auf Twitter derweil nicht ändern. Das Unvermögen oder der Unwille der Plattform, zivile Umgangsformen durchzusetzen und der rasanten Verbreitung von Hassrede, Rassismus und Sexismus vorzubeugen, bleibt von der Maßnahme unberührt. Die großen Reichweiten eines bestimmten Politikertypus' (man denke nur an Donald Trump) werden ebenfalls nicht angefasst.

Vordringlicher als das relativ kleine Problem mit politischen Anzeigen auf Twitter wäre die energische Umsetzung transparenter Richtlinien zum Schutz der Nutzer*innen vor Bedrohung und Hass auf Twitter. Solange organisierte Trolle dort Stimmen aus dem linkeren Spektrum regelmäßig mit konzertierten Meldeaktionen zum Schweigen bringen, ihr Menschenhass aber keinerlei Sanktion erfährt, ist der Applaus für Jack Dorsey wohl etwas voreilig. Denn nicht jeder Schritt in die richtige Richtung markiert eine echte Bewegung dorthin. Manchmal wird diese so nur simuliert, um nicht wirklich an die Wurzel des Übels gehen zu müssen.

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