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Bolivien im Machtvakuum

Evo Morales ist in Mexiko eingetroffen. Boliviens Parlament soll eine Übergangsregelung und den Weg für Neuwahlen beschließen

Präsident weg, Lage unklar: In La Paz werden neue Barrikaden errichtet Foto: Marco Bello/reuters

Von Bernd Pickert

Evo Morales hat Bolivien verlassen. Der zurückgetretene Präsident wurde am Montag mit einer mexikanischen Militärmaschine in Bolivien abgeholt und ist inzwischen in Mexiko gelandet, wo er politisches Asyl beantragt und erhalten hat. „Im Einklang mit internationalen Konventionen steht er nun unter mexikanischem Schutz“, erklärte Mexikos Außenminister Marcelo Ebrard.

Inzwischen hat Morales seinen Rücktritt auch schriftlich erklärt – die formale Voraussetzung dafür, dass das Parlament eine Übergangsregelung schaffen kann. Noch am Dienstag sollte bei einer Sitzung darüber abgestimmt werden. Laut Verfassung müsste die Vizepräsidentin des Senats, Jeanine Áñez, vorübergehend die Amtsgeschäfte übernehmen, weil alle in der Reihenfolge vor ihr Stehenden – Präsident, Vizepräsident und die Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern – zurückgetreten sind. Áñez’ einzige Aufgabe wäre es in diesem Fall, binnen 90 Tagen Neuwahlen zu organisieren.

Am Montag rief sie zu einem Ende der Gewalt auf und versprach die Abstimmung, sodass „wir am 22. Januar einen gewählten Präsidenten haben werden“. An diesem Tag wäre die reguläre Amtszeit von Morales zu Ende gegangen.

Allerdings war nicht abzusehen, ob diese Parlamentssitzung tatsächlich ein reiner Formalakt werden würde. Die Bewegung zum Sozialismus (MAS) von Evo Morales stellt in beiden Kammern die große Mehrheit – und sowohl Morales als auch Akti­vist*innen auf der Straße protestieren weiter lautstark gegen einen „Staatsstreich“, der Morales aus dem Amt gedrängt habe. Eine schon am Montag anberaumte Sitzung musste wegen vehementer Proteste von Morales-Anhänger*innen abgebrochen werden.

Am Montagabend waren dann MAS-Unterstützer*innen aus dem höher gelegenen El Alto nach La Paz geströmt – nach Augenzeugenberichten mit dem Ruf „Ahora Si – Guerra Civil!“ (Jetzt aber – Bürgerkrieg!).

Eine Sitzung des Parlaments am Montag musste abgebrochen werden

Der bei den Wahlen vom 20. Oktober zweitplatzierte Oppositionskandidat Carlos Mesa schrieb auf Twitter, ein Mob bewege sich auf sein Haus zu, und bat die Polizei um Schutz. Die sah sich ihrerseits der Lage nicht mehr gewachsen und rief die Streitkräfte zu Hilfe. Armeechef William Kaliman kündigte wenig später deren Eingreifen an. Es werde gemeinsame Ak­tionen mit der Polizei geben, „um Blutvergießen und Kämpfe innerhalb der bolivianischen Familie zu vermeiden“.

Wohl als Reaktion darauf gab in der Nacht zum Dienstag auch Verteidigungsminister Javier Zavaleta López seinen Rücktritt bekannt. Per Videobotschaft auf Twitter sagte er, er habe dem Militär niemals den Befehl gegeben, gegen das Volk vorzugehen, und werde das auch niemals tun. Er appellierte an die Oppositionsführer Carlos Mesa und Luis Fernando Camacho, eine friedliche Lösung des Konfliktes zu finden.

Beide Seiten hatten in den vergangenen Tagen Angriffe der jeweils anderen auf Privathäuser gemeldet. Während Morales nahestehende Organisatio­nen über eine rassistische Pogromstimmung gegen Indigene klagten, hieß es aus Kreisen von Morales-Gegnern, der MAS nahestehende Mobs hätten in El Alto und La Paz Dutzende Häuser in Brand gesteckt und geplündert. (mit afp, dpa)

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