EU und Türkei: Sozialhilfe für Flüchtlinge

Die EU gibt 663 Millionen Euro für humanitäre Organisationen in der Türkei frei. Sie will damit den Flüchtlingsdeal mit Erdoğan retten.

Ein Mädchen hält eine Bezahlkarte hoch

So sieht eine Bezahlkarte eines türkischen Hilfswerks aus Foto: WFP

BRÜSSEL taz | Die EU-Kommission hat 663 Millionen Euro für humanitäre Hilfe an Flüchtlinge in der Türkei freigegeben. Davon sollen 600 Millionen Euro in das sogenannte Emergency Social Safety Net (ESSN) fließen. Das ESSN finanziert eine Art Sozialhilfe für Bedürftige, die in Form von Cashkarten ausgezahlt wird.

Insgesamt stehen für das Programm 6 Milliarden Euro bereit. Das Geld werde laut EU-Kommissar Christos Stylianides an humanitäre Organisationen vor Ort ausgezahlt – und nicht an die türkische Regierung. Die neue Finanzspritze ist Teil des Flüchtlingsdeals, den Bundeskanzlerin Angela Merkel 2016 mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ausgehandelt hatte.

Die neue EU-Hilfe kommt in einer Zeit großer Spannungen mit der Türkei. Erdoğan hat wiederholt damit gedroht, den Flüchtlingsdeal aufzukündigen. Am Mittwoch beschuldigte er die Europäer, kurdische Terroristen zu unterstützen. Bald würden Bomben auf den Straßen explodieren, so Erdoğan im Parlament. Vor dem Hintergrund der türkischen Offensive in Nordsyrien und der Befreiung von Kämpfern des „Islamischen Staates“ ist diese Rhetorik durchaus ernst zu nehmen. Frankreich spricht von einem erhöhten Terror-Risiko, auch die EU hat den Krieg in Nordsyrien als strategische Bedrohung bezeichnet.

Allerdings konnten sich die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Treffen Mitte Oktober in Brüssel nicht zu Sanktionen gegen die Türkei durchringen, wie sie die USA erlassen haben. Brüssel reagierte auch nicht auf Berichte, dass die Türkei mit der Abschiebung von Flüchtlingen aus Istanbul begonnen habe und die systematische Vertreibung in eine neue „Sicherheitszone“ in Nordsyrien plane.

Katastrophale Lage der Bootsflüchtlinge

Die EU versucht, mit der Millionen-Hilfe den Flüchtlingsdeal zu retten und Erdoğan zu besänftigen. Allerdings spricht bisher wenig dafür, dass das funktioniert. So kamen in den letzten Wochen immer mehr Bootsflüchtlinge aus der Türkei auf den griechischen Inseln an. Auf den Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos harren zurzeit knapp 35.000 Migranten aus. Das ist die höchste Zahl seit Inkrafttreten des Flüchtlingspakts im März 2016. Die Lage stehe „am Rand einer Katas­trophe“, warnte die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, am Donnerstag während eines Besuchs in der Region.

Gleichzeitig deutet nichts darauf hin, dass das Appeasement zu einem Umdenken bei Erdoğan führt. Kritisch wird es, wenn die Türkei mit der Vertreibung von Flüchtlingen nach Nordsyrien beginnt. Dann kann die EU nicht mehr behaupten, dass die Türkei ein „sicherer Hafen“ für Schutzbedürftige sei. Damit würde auch die humanitäre Begründung für die Flüchtlingshilfe entfallen.

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