: Zehn wollen nach oben
Die Rathausaffäre brachte Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD) zu Fall. Am 27. Oktober wählt Hannover nun einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin
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Wie viel bleibt an den Sozialdemokraten von dem Skandal hängen, der die vorgezogene Neuwahl in Hannover ausgelöst hat? Das ist die große Frage der Wahl am 27. Oktober 2019. Ein Verwaltungschef, dessen Büro und Privatwohnung von der Staatsanwaltschaft durchsucht wurden, eine Anklage wegen Untreue in besonders schwerem Fall und ein monatelanges Hinauszögern des unvermeidlichen Rücktritts. Stefan Schostok wirkt wie ein Paar Betonschuhe für die ohnehin schwache SPD. Erstmals seit 1946 könnte es nun passieren, dass die Sozialdemokraten im Hannoverschen Rathaus die Macht verlieren.
Das können glanzvolle Zeiten werden für Hannover mit Catharina Gutwerk als OB: Sie verspricht „den Rathauskandal, den Hannover verdient“ und verpflichtet dafür schon jetzt verrucht wirkende Mitglieder ihrer Wahlfamilie als Büromitarbeiterinnen. Gutwerk will die Feinstaubmessanlagen höher hängen, verspricht eine Offshore-Windkraftanlage im Maschsee, und dann auch noch Freibier.
Die feministische Partei-Kandidatin geht mit diesem Zwinkerzwinker-Humor ebenso hausieren wie mit der roten Parteikrawatte – und schlägt einen dann völlig unerwartet mit der Realität um: Gutwerk fordert Digitalisierung in den Behörden, Bürokratieabbau und Investitionen in Kitas. „Da, wo die Politik anfängt, Satire zu machen, muss die Satire Realpolitik machen“, sagt sie.
Die Steinmetzmeisterin würde gern noch mehr Dinge ändern: Die Abschaffung des altbackenen Familienbildes etwa, das Fortbestehen von Männer- und Frauenberufen und „die ganze sexistische Kackscheiße“. Gegen die AfD empfiehlt sie satirischen Populismus, den Rechtsruck und die Islamfeindlichkeit findet sie „gruselig“ – zwei Tage vor dem Anschlag in Halle sagte Gutwerk der taz: „Jetzt werden Moscheen angezündet, bald Synagogen. Mir macht das Angst.“
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Obwohl die gebürtige US-Amerikanerin Ruth Esther Gilmore als parteilose Kandidatin antritt, sind ihre Themen doch allesamt denkbar grün: klimagerechter Städtebau, mehr Bürgerbeteiligung, Förderung von Wohnprojekten, CO2-Reduktion, Müllvermeidung, viel Stadtgrün. Die Architektin setzt hier allerdings auf die Bereitschaft zur freiwilligen Mitarbeit der Hannoveraner*innen. Sie sollen „in gemeinschaftlichen Projekten“ kreative Mülleimer für den öffentlichen Raum gestalten, an Neubau- und Sanierungsarbeiten beteiligt werden und die Gestaltung von Außenplätzen selbst übernehmen – sowie anschließend auch die Verantwortung für deren Instandhaltung.
Jugendliche sollen die Schulwege für Mitschüler*innen absichern und Erwachsene sollen weniger Auto fahren und stattdessen freiwillig auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen, Fahrgemeinschaften bilden, das Rad benutzen und daheim Energie sparen. Die 51-Jährige, die übrigens gerade einen Gedichtband mit dem Titel „Saving Nature“ im Geest-Verlag veröffentlicht hat, setzt also in hohem Maße auf die Vernunft, Solidarität und Hilfsbereitschaft der HannoveranerInnen. Naiv, mögen die einen finden. Gut so, mögen die anderen sagen, denn: Schließlich gehört die Stadt ja allen.
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Die Grünen, die bereits jetzt mitregieren, und die CDU, die hier bisher nie eine Chance hatte, stehen schon bereit. Bei der Europawahl im Mai kamen die Grünen in der Stadt Hannover auf 31,1 Prozent, die CDU auf 19,7 Prozent und die SPD auf 19,5 Prozent der Stimmen. Ein Weiser?
Im Jahr 2025 will Hannover Kulturhauptstadt Europas sein. Die Bewerbung läuft, was am Ende dabei herauskommt, ist noch relativ unklar. Wenn jemand der zehn OB-Kandidat*innen die Bewerbung mit kulturpolitischem Verständnis vorantreiben könnte, dann die 45-jährige Kulturmanagerin. Sie ist seit 20 Jahren im Geschäft und definiert Kultur nicht ausschließlich als Theater, Musik, Film, Tanz, sondern als Zusammenspiel verschiedener Künste mit gesellschaftlichen Bereichen wie Bildung, Wirtschaft, Sozialpolitik – Kunst als Alltagskultur im besten Sinne also. So hat sie es mit ihrem eigenen Engagement auch immer gehalten und Stücke inszeniert, die unter anderem auf dem Dachboden des Amtsgerichts, in Wohnungen und in der Ernst-August-Galerie spielten.
Zur Alltagskultur zählt sie auch Stellen in den Kiezen, die sie als OB schaffen würde: Ansprechpersonen, die Menschen bei Problemen rasch, persönlich und unbürokratisch helfen. Obwohl Kultur in Kaczmareks Augen eine Gemeinschaftsaufgabe auf gemeinschaftlichem Terrain sein sollte, plädiert sie dafür, leer stehende Gebäude nicht dem Gewerbe und demzufolge auch Kulturprojekten zuzuschlagen, sondern zu Wohnungen umzubauen.
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„Wir wollen den Leuten die Wahl geben. Und die kann es nur zwischen Die Partei und Die Partei geben“, stellte Julian Klippert, Vorsitzender der Satirepartei in Hannover, im August klar. Offizielle Kandidatin der Partei ist Catharina Gutwerk (siehe links). Aber beide hatten einen Deal: Wer bei der Wahl in der Mitgliederversammlung verliert, tritt als unabhängiger Kandidat an – unterstützt von der Partei.
Einen weiteren Posten hat der selbst ernannte „Turbopolitiker“ Klippert auch nicht dringend nötig. Der 31-Jährige ist längst „Multifunktionär“: Vorsitzender der zweiköpfigen Ratsfraktion „Die Fraktion“, und Zweiter Vorsitzender des niedersächsischen Landesverbandes ist er (unter anderem) auch.
Vieles, was Klippert politisch fordert, ist parteitypische Satire, etwa die Feinstaubbelastung in der Stadt zu senken, indem man die Messung VW überlässt. Schaut man sich die parlamentarische Arbeit an, sieht man einen emsigen Realpolitiker, der für private Seenotrettung, geschlechtergerechte Sprache, den Fahrradverkehr in der Stadt, effektive Hilfe für Wohnungslose oder mehr Geld für freie Kulturprojekte – auf Kosten des größten Schützenfestes der Welt – kämpft.
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Schon bald nach dem Rücktritt von Stefan Schostok schickte die SPD den einstigen Stadtkämmerer und Vorstand beim städtischen Energieversorger Enercity als Kandidaten für die Nachfolge als Oberbürgermeister ins Rennen: Marc Hansmann, 49, verheiratet, eine Tochter. CDU und FDP versuchten umgehend, einen Zusammenhang zwischen ihm und der „Rathaus-Affäre“ herzustellen. Allein wegen der zeitlichen Koinzidenz bot sich der Verdacht an, Hansmann verantwortete zu Schostoks Amtszeit die Kommunalfinanzen. Aber ihm war nichts nachzuweisen. Und so wirbt der Schwiegermuttertyp in der Stadt seit Wochen für sich mit Slogans wie „Hannover. Kindergerechter. Machen“ und „Hannover. Bezahlbarer. Machen“.
Hansmann hat keine Politikerkarriere hinter sich und ist damit unverdächtig, reine Parteipolitik zu machen. Aber gerade die SPD ist nicht bekannt für einen sanften Umgang untereinander. Wer in Ungnade fällt, hat es schwer. Was der Wirtschaftswissenschaftler sehr gut kann: Verwaltung. Und ein pragmatischer Sachverwalter wäre für die Stadt ein Gewinn. Hansmann, der keinen Führerschein besitzt, will sich vor allem gegen Kinderarmut und für Bildung starkmachen.
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Eckhard Scholz verspricht sich selbst – den Familienmenschen, den nahbaren Ecki, der Fußball mag und Oper, der gütig lächelt, als Manager mit Betriebsräten redet, und der sein Sakko bei schönem Wetter auch mal locker über der Schulter trägt. Scholz war bis 2018 Vorstandsvorsitzender von Volkswagen Nutzfahrzeuge. „In dieser Zeit sind mir die Menschen, die in dieser tollen Stadt leben und arbeiten, sehr ans Herz gewachsen“, sagt er.
Weil Ecki ein Herz hat für „die Menschen“, will er auch ihre Probleme lösen: mit bezahlbaren Wohnungen, einer digitalen Verwaltung, und, klar, mehr Sicherheit. Klimaschutz will er lieber mit Anreizen als mit Verboten erreichen. Soziales muss sich in seinem Kurz-Wahlprogramm den Platz teilen: „Auch die Schwächsten brauchen Perspektiven“ wird in einem Atemzug mit einer „Verdopplung der Mitarbeiter des Ordnungsamtes“ abgehandelt. Der Politik-Quereinsteiger ist Kandidat der CDU, selbst aber parteilos. Scholz verspricht sich davon, die Gesellschaft zu einen, um Hannover zum „Vorbild für andere Großstädte“ zu entwickeln. Die CDU traut ihm jedenfalls Strahlkraft zu – sie lässt bei den Wahlplakaten sogar ihr eigenes Logo weg.
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Und es gibt weitere Konkurrenz: Insgesamt zehn KandidatInnen wollen ChefIn von rund 11.000 MitarbeiterInnen der Verwaltung werden. Lotta Drügemöller, Alina Götz, Simone Schmollack, Simone Schnase, Andrea Maestro und Robert Matthies stellen sie vor.
Mit Joachim Wundrak, 64, benennt die AfD einen ehemaligen Bundeswehrgeneral als Kandidaten fürs Rathaus. Als er 2018 in die Partei eintrat, übte er seinen Beruf noch aus – weshalb er den Beitritt zunächst lieber verheimlichte.
Um in Hannover die hohe Kriminalitätsrate zu senken, möchte er mehr Mittel für Sicherheitspolitik aufwenden. Nicht nur „Ausländerkriminalität“ bedränge die Stadt, aber sie spiele eine große Rolle. „Wenn illegale Migration dazu führt, dass Raten hoch gehen, müssen wir tätig werden“, sagt er in einem Interview, einsehbar auf dem parteieigenen Youtube-Kanal. Es brauche ein Konzept, das den „Bürger wieder ruhiger schlafen lässt“. Auch die Wohnungsknappheit bereitet Wundrak Sorgen. Die Stadt wachse „als ein Resultat der Einwanderung in unsere Sozialsysteme“. Hannover habe es verpasst, darauf zu reagieren. Jetzt müsse zügig gebaut werden.
Wenn es nach Wundrak geht, wird Hannover im Jahr 2025 keinesfalls Kulturhauptstadt. Das Projekt koste zu viel. Und das Geld, welches für die ebenso „unnütze Maßnahme“ der geschlechtergerechten Verwaltungssprache benötigt wurde, hätte er lieber in Kitas und Schulen investiert.
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Jessica Kaußen ist keine klassische Kandidatin für das Amt der Oberbürgermeisterin. Sie hat keine Verwaltungserfahrung, ist mit 29 Jahren jung für einen solchen Posten und sie studiert noch. Maschinenbau. Wenn politische Weggefährten sie beschreiben, dann aber als Frau, „die politisch absolut Dampf macht“.
Denn neben dem Studium ist die Mutter einer fünfjährigen Tochter Abgeordnete der Regionsversammlung in Hannover, leitet die Fraktion, den Kreisverband Hannover und ist auch Fraktionsvorsitzende im Stadtrat von Laatzen. Sie will sie das Bus- und Stadtbahnfahren kostenfrei machen, mehr günstige städtische Wohnungen bauen, den Neubau von Kitas unterstützen und ein Vorbild sein, damit sich mehr Frauen in der Politik engagieren. „Mir ist wichtig, dass jemand Bodenständiges zur Wahl steht“, sagt Kaußen, die sich ihr Studium finanziert hat, indem sie in einem Supermarkt gearbeitet hat. „Es ist etwas anderes, ob man die Probleme selbst kennt oder von oben darauf herunterguckt.“
Eines könnte ihr zum Verhängnis werden. Mit Schützenfesten hat sie „kein Problem“. Sie halte nichts von „Verteufelungen“. Eine Liebeserklärung klingt anders.
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