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Die Verschandelung der Landschaft

Die Steinwegs haben in Lilienthal bei Bremen eines der ersten Windräderin der Gegend aufgestellt. Der Widerstand von Seiten der Behörden war anfangs groß

Aus Lilienthal-Worphausen Alina Götz (Fotos)

Es ist ein stürmischer Tag, das Windrad von Familie Steinweg läuft im zweiten, dem höchsten Gang. Es steht auf ihrem Grundstück im niedersächsischen Lilienthal-Worphausen, etwa 20 Kilometer nordöstlich von Bremen. Das sanfte Brummen der Anlage ist von der Einfahrt aus bereits zu hören.

Anne und Bernd Steinweg kommen aus der Anti-Atomkraft-Bewegung. Nachdem sie von Bremen aufs Land gezogen waren, um Tiere zu halten und Gemüse anzubauen, kam die Idee mit dem eigenen Windrad. Ihre Motivation war hauptsächlich eine politische, man wollte unabhängiger sein. Dennoch gab es die Hoffnung, dass von dem investierten Geld irgendwann etwas zurückkommt.

1994 begann die Planung für den Bau. „Mit ziemlich viel Widerstand in Lilienthal“, erinnert sich Anne Steinweg und lacht. Sie sitzt mit ihrem Mann im großen Wohnbereich ihres Hauses, der ganz früher mal ein Kuhstall war. Es ist gemütlich, das dunkle Gebälk ist erhalten. Der Rest ist eher modern: weiße Wände, teilweise holzvertäfelt, werden von Bildern in warmen Farben geschmückt.

In ihrer Gegend sind die Steinwegs Pioniere. Es gab Anfang der Neunziger bereits wenige Windkraftanlagen in der Nähe, aber keine war so groß wie ihre: Sie produziert durchschnittlich 250.000 Kilowattstunden im Jahr. Der Eigenbedarf der Familie liegt bei 6.000 Kilowattstunden.

Für ihre Pläne mussten sie zunächst zum Überlandwerk Nord in Bremen, welches den überschüssigen Strom abnehmen sollte. „Da bin ich in meinem einzigen feinen Kostüm ganz vornehm aufgetreten“, erzählt Anne Steinweg. Das Werk stimmte zu, womit auch die Finanzierung des Projektes stand.

Doch dann ging es zum Bauamtsleiter der Gemeinde Lilienthal. „Da war es richtig übel. Ich werde nie vergessen, wie kompromisslos der das abgelehnt hat“, sagt Steinweg. Weil es die Landschaft verschandeln würde. Er wollte den sogenannten Findorff-Charakter der Gegend erhalten, der sich durch die in Rechtecken vergebenen Grundstücke auszeichnete. „Sie lagen aufgereiht an einem Kanal, an dem jeweils kleine Scheunen standen“, erklärt Bernd Steinweg.

Zu dem Zeitpunkt ihres Antrags war jedoch nur noch eine der Scheunen erhalten, zudem gab es bereits Neubauten in der Straße. Inzwischen ist auch der Graben längst trocken.

„Hätte jedes Dorf ein, zwei von diesen Dingern, wäre das zum Vorteil der Menschen und nicht der Investoren, die die Äcker vollbauen“

Bernd Steinweg, Windrad-Pionier

Nach der Abfuhr machten sich die Steinwegs auf zum Landkreis Osterholz-Scharmbeck. Beim Kreisdirektor rannten sie mit ihrer Idee offene Türen ein. „Der war zum Glück Fan von Windkraft“, sagt Bernd Steinweg. „Hätte er nicht zugestimmt, wäre das Projekt gestorben.“ So aber bekam Lilienthal die Anweisung, das Projekt zu genehmigen.

Von den Nachbar*innen kamen keine Beschwerden. „Die fanden das alle total spannend und kamen immer her und guckten zu“, erinnert sich Bernd Steinweg. Bei der Einweihung brachten sie sogar einen Richtkranz mit.

Innerhalb eines halben Jahres boxten die Eheleute das Windrad-Projekt durch. Denn damals gab es in Niedersachsen noch Fördergelder für Windkraft, die aber bald auslaufen sollten. Um die Mittel, letztlich 130.000 DM, zu erhalten, musste das Windrad aber zu einem bestimmten Zeitpunkt laufen. „Wir haben das Ding dann wirklich in den letzten zehn Minuten in Betrieb genommen, sonst wäre das Geld flöten gewesen“, erzählt Bernd Steinweg.

Kurz vor Fertigstellung des Baus, der insgesamt einen knappen Monat dauerte, erkrankte noch einer der drei Monteure. „Wir haben dann beide Urlaub genommen, sonst hätten wir das nicht geschafft“, sagt Anne Steinweg. Ihren älteren Sohn holten sie aus der Schule. „Er musste mit elf Jahren dann den Trecker fahren und die Gitter des Turmes hochhieven.“ Der Rest der Familie schraubte. Am Abend des 7. Juli 1994 ging das Windrad der dänischen Firma „Nordex“ ans Netz.

Auf dem Weg zum Windrad hinter dem Haus geht es durch die Scheune. Hier steht ein Kleinbus und ein Anhänger mit einem Motorboot, damit fahren die Steinwegs gern nach Kroatien. Auf dem Dach der Scheune sind Photovoltaikanlagen montiert. Deren Strom wird ebenfalls ins Netz gespeist.

Die Scheune beherbergt zudem große Holzvorräte. Und den ehemaligen Bandraum des Sohnes, in dem jetzt die Katze schläft. Sie ist das einzig verbliebene Tier. Neben Rindern hielten die Steinwegs bis vor zehn Jahren auch Pferde, Schafe, Enten und Hühner. Anne Steinwegs Mutter schlachtete die Tiere, sie selbst half beim Rupfen und Ausnehmen. Die Eier verkauften Anne und Bernd auch an ihre Kolleg*innen an der Universität Bremen. Dort arbeiteten die beiden als Chemotechnikerin und biologisch-technischer Assistent.

Direkt davor stehend, erscheint das Windrad riesig. Gut 40 Meter ist es hoch, aus Stahl, mit einem Gittermast. Der Vorteil: Er ist elastisch und winddurchlässig, das bedeutet, dass der Flügel kein Geräusch macht, wenn er am Turm entlang zischt. Die Anlage brummt trotzdem, aber das hören die Steinwegs längst nicht mehr. Zudem sei es ja nur der Wind, betont Bernd Steinweg. Im Gegensatz zu anderen Anlagen sind keine Maschinengeräusche zu hören. Das leichte zusätzliche Pfeifen des Windrads kommt von einem Blitzeinschlag, erklärt er. Der Flügel wurde gesprengt und musste wieder zusammengeschraubt werden.

Am Windrad ist eine Richtfunkantenne von E-Plus angebracht. Der Mobilfunkanbieter wollte erst einen Mast in der Nähe aufstellen. „Wir haben die abgefangen und gesagt, hier steht doch schon einer“, sagt Bernd Steinweg.

Rings um das Rad erstreckt sich eine große Weide. Auf dieser stehen von Frühjahr bis Weihnachten die Galloway-Rinder eines Freundes, der auch einen Großteil des Viehbestandes der Steinwegs übernommen hatte. Junge Kälber toben über die Wiese. Die Sonne kommt raus.

Im Garten der Steinwegs, neben dem Pool, stehen Palmen, Feigen und Oliven: Hier zeigt sich der kroatische Einfluss. Auf den Klimawandel seien sie eingestellt, grinst Bernd Steinweg. Das Gras ist auf dem gesamten Grundstück ordentlich gemäht. Ein Rasenroboter dreht neben dem Pool seine Runden.

An das Idyll grenzt der Wintergarten des Hauses. Hier werfen die Flügel des Windrads in den Monaten mit tiefer Sonne Schatten herein. „Das ist das einzige, was wirklich nervt“, sagt Anne Steinweg.

Das Paar redet gern über ihr Windrad, auch wenn nicht alles so lief, wie sich das anfangs vorgestellt hatten. „Eigentlich wollten wir auch an Nachbarn liefern. Die Idee war, den Strom dezentral zu erzeugen“, sagt Bernd Steinweg. Das war aber damals nicht vorgesehen. Stattdessen mussten sie den gesamten Strom einspeisen.

Bernd Steinweg ist kein Fan von großen Windparks. „Hätte aber jedes Dorf ein, zwei von diesen Dingern, wäre das zum Vorteil der Menschen und nicht der Investoren, die die Äcker vollbauen.“ Die Entwicklung der Windkraft ist seiner Meinung nach schlecht gelaufen. Mit der aktuellen Energiepolitik des Bundes sind die beiden auch nicht einverstanden. Das Klimapaket sei ein Witz. „Dass die so wenig Mut haben, mal was Konkretes zu machen“, beschwert sich Bernd Steinweg. Damals hätten die Leute auch gejammert, als sie sich anschnallen mussten – und heute seien sie froh darüber.

Mittlerweile beziehen die Steinwegs nur noch bei Windstille Strom aus dem Gesamtnetz. Oder wenn das Rad wegen Sturms oder Netzüberlastung abgestellt werden muss. Das kommt aber sehr selten vor.

Inzwischen gehört den Steinwegs die Anlage gar nicht mehr. Vor wenigen Jahren verkauften sie an die Firma, die bis dahin die Wartungen durchgeführt hatte. Da Windräder nach 20 Jahren eigentlich abgebaut werden müssen, wurden diese immer öfter nötig. Auf die Kosten und die Organisation hatten die Steinwegs keine Lust mehr. Sie erhielten 100.000 Euro – 750.000 DM haben sie damals für den Bau ausgegeben. Rentiert hatte sich die Anlage bereits nach 15 Jahren.

Ob sich die Gemeinde Lilienthal später mit dem Windrad angefreundet hat, wissen die Steinwegs nicht. „Es stand wohl mal zur Debatte, in der Ecke hier mehr davon zu bauen“, erzählt Bernd Steinweg. Schnell aber wurden dann die Rahmenbedingungen wie der benötigte Abstand zu Wohnhäusern geändert. „Dann ging nichts mehr in Lilienthal.“

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