: Höchstens halbgar
Nett anzusehen, aber inkonsequent: Susanne Cremers Kochbuch „Gemüse aus der Heimat“ macht viel richtig, aber viel mehr falsch. Dabei wäre die Frage nach traditionellen Speisegewächsen so spannend und nahrhaft
Von Harff-Peter Schönherr
Da ist es wieder, dieses Trendwort: Heimat. Klar, bietet sich ja auch an, für ein Loblied auf regionale Gemüsesorten, von Mangold bis Fenchel. Aber Susanne Cremer muss gewusst haben, in Kauf genommen, was mitschwingt bei diesem bleischwer belasteten Wort: völkischer Chauvinismus. Abwehr gegenüber allem Unbekannten, allem Wandel. Idealisierung, Ideologisierung und Idyllisierung der heimischen Scholle als Lebensraum einer Bevölkerung, die glaubt und behauptet, sie sei homogen.
Nicht dass Cremer auf neorechte Nationalisten zielt. Was und wie sie schreibt, ist unverdächtig. Es geht ihr nur um Warenkunde, um Rezepte. Und bei Nahrungsmitteln auf Regionalität zu achten, ist ja auch was Gutes: Lebensmittel, die um den halbem Erdball reisen, verursachen große Mengen an Transportemissionen, und viele Agrarprodukte aus Übersee entstehen unter Bedingungen, die selbst mit den grundlegendsten unserer Sozial- und Umweltstandards nur wenig zu tun haben. Aber für den Appell, dass zu verantwortungsbewusstem Konsum auch größtmögliche Regionalität gehört, braucht niemand dieses Wort: Heimat.
Dass Cremer es dennoch verwendet, hat mit Marketing zu tun: In Sachen Food läuft das Hiesige der Exotik zunehmend den Rang ab, und spätestens seit Tim Mälzers Bodenständigkeits-Kochbuch „Heimat“ von 2014 kennt der Hang zur verbalen Altbackenheit auch beim Kochen und Braten keine Grenzen mehr. Zugleich bedient Cremer auch noch einen zweiten Ess-Trend: den zum Pflanzlichen. Sie manövriert sich also in eine Marktnische, die gleich zweifach Zukunft hat. Titel wie Sarah Gregers „Heimatgemüse: Natürlich und bewusst kochen“ bevölkern sie.
Cremers Buch bietet alles, was ein Kochbuch heute bieten muss, um ein Lifestyle-Produkt zu sein: Perfekt ausgeleuchtete, stimmungsreiche Fotos. Viel stylishe Layout-Luftigkeit. Gehobene Zutaten-Ansprüche. Hier und da ein paar Zeilen in einer lockeren, fragilen, gefühligen Schriftart, die aussieht wie eigens entworfen. Ein paar Zeichnungen, für den künstlerischen Touch. Hardcover für mehr Wertigkeit. Und dann ist da natürlich noch dieser Hauch Autobiografie, ohne den das Ganze so ununterscheidbar wäre wie Hunderte anderer Kochbücher auch. Also erzählt Cremer von Wochenmarktbesuchen mit ihren Eltern, vom Garten ihrer Oma, von Kürbissen, die ihre Tochter Christin in der Bahn transportiert.
Aber das täuscht nicht über die Schwächen hinweg. Komisch zum Beispiel, dass das Gemüse oft gar nicht die Hauptrolle spielt. Oft wirkt es eher als Beilage – zu Lachs und Hirsch, Lamm und Garnele, Gänsebrust und T-Bone-Steak, Seeteufel und Weißwurst. Dass der Verlag Cremers Gemüse-Buch damit bewirbt, es trage „einen Teil zur Rettung unseres Planeten bei – denn weniger Fleisch bedeutet mehr Klimaschutz“, ist also irreführendes Wortgeklingel.
Komisch zudem, dass Cremer so tut, als seien auch Pilze Gemüse. Und der Erkenntnisgewinn bleibt bei manchen ihrer „Gemüseporträts“ ziemlich überschaubar. So, Erbsen schmecken also „knackig und süß“? Und Tomaten sollte man „fest, unbeschädigt und ohne Druckstellen“ einkaufen? Tja, wer hätte das gedacht!
Obwohl: Vielleicht liegt Cremer damit ja nicht so ganz verkehrt. „Viele wissen fast nichts über Gemüse“, sagt Katharina Pues-Tillkamp, die im niedersächsischen Glandorf auf 5.000 qm 40 Sorten Tomaten anbaut. „Weder über die Ware selbst noch über deren Zubereitung. Bei uns kommen im Februar Leute in den Hofladen und wundern sich, warum es noch keine Tomaten gibt.“ Und dann erzählt sie diese Geschichte mit den 150 Gramm Kohlrabi. „Die Kundin zu mir: Und was mache ich da jetzt? Ich zu ihr: Einfach einen aussuchen! Sie macht das, wir wiegen den, es sind 200 Gramm. Sie zu mir: Aber das ist zu viel! Für meinen Thermomix brauch ich nur 150 …“ Pues-Tillkamp atmet durch. „Was soll man da noch sagen?“
Indem sie in ihrem Familienbetrieb Tomaten anbaut, produziert Pues-Tillkamp das Gemüse, von dem jeder Deutsche pro Jahr die größte Menge isst: 27,5 Kilo. Auch Gurken hat sie auf ihrem Hof, Salat, Zucchini, Paprika, Auberginen, Kohl.
„Gemüse ist definitiv im Kommen“, sagt Pues-Tillkamp. „Gibt ja immer mehr Vegetarier, Veganer.“ Das Wort „Heimat“ stört sie nicht: „Find ich sogar gut! Allerdings nur, wenn’s drum geht, sich möglichst regional zu ernähren. Und wer die Welt wirklich verändern will, kommt da nicht drumrum.“
So tief steigt Cremer ins Thema Gemüse gar nicht ein. Klar, sie verwendet Worte wie „nachhaltig“, aber sie tut es ohne Zusammenhang. „Heimat“ hat für sie mehr mit Nostalgie zu tun als mit Ökologie. Sie beschränkt sich auf Zutat und Zubereitung, Garzeit und Lagerung. Foto dazu, fertig. Plus ein paar überbemühter Munterkeiten wie „Süppchen“. Plus ein bisschen Hipster-Talk wie „Bowl“ und „Cole-Slaw“ statt Krautsalat.
Gemüse also, aber auch alles andere. Cremer möchte offenkundig niemanden verprellen. Hoffen wir also für sie, dass niemand den Buchtitel allzu wörtlich nimmt.
Susanne Cremer: „Gemüse aus der Heimat“, Christian-Verlag, München 2019, 29,99 Euro
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