: Es geht ans Eingemachte
Berlin hat sich in den letzten Jahren zu einem Traum für Immobilieninvestoren entwickelt. Doch damit könnte es bald vorbei sein: Der Mietendeckel ist angekündigt, und es droht die Enteignung der Konzerne
Aus Berlin Erik Peter
Die Ankündigung des rot-rot-grünen Berliner Senats, ab Januar 2020 einen Mietendeckel einzuführen, hat Medien, Vertreter der Immobilienbranche, von CDU, FDP und auch Politiker der SPD in teils hysterische Aufregung versetzt. „Die Linken zünden Berlin an“, schrieb die Berliner Morgenpost über ein durchgestochenes Arbeitspapier. Der Eigentümerverband Haus und Grund hatte schon vor dem Absichtsbeschluss des Senats im Juni zu schnellen Mieterhöhungen aufgerufen.
Tatsächlich soll mit dem Mietendeckel Berlins außer Kontrolle geratener Wohnungsmarkt befriedet werden. Geplant ist, die Mieten für fünf Jahre einzufrieren, Höchstmieten gar abzusenken. Kommt das Gesetz wie Ende August vorgeschlagen, wäre das der größte Markteingriff in der jüngeren deutschen Geschichte der Bundesrepublik.
Für die 85 Prozent, die in Berlin zur Miete wohnen, und die stadtpolitischen Gruppen, die sich seit Jahren der Entwicklung zu einer (Innen-)Stadt der Reichen in den Weg stellen, ist der Plan ein Erfolg. Es spricht für die Stärke und das Selbstbewusstsein der Bewegung, dass Jubelrufe dennoch kaum zu vernehmen sind. Stattdessen gibt es sogar Kritik an der mangelnden Radikalität des Mietendeckels sowie eine Orientierung auf den nächsten Schritt, etwa das Volksbegehren der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“.
In Berlin ist etwas ins Rutschen geraten. Man hat den Eindruck, die Mieter treiben die Politik vor sich her. Das Gute ist: Mit Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) gibt es eine Verantwortliche, die sich treiben lässt. Rhetorisch mag Lompscher nicht die Barrikadenkämpferin sein, doch unter ihrer Verantwortung hat die Stadt damit begonnen, sich gegen den kapitalistischen Markt zur Wehr zu setzen und ihrer sozialen Verantwortung wieder vermehrt gerecht zu werden.
Wenn vielleicht eines Tages rückblickend auf das Ende des Mietenwahnsinns geschaut wird, steht das Startdatum für die neue Politik schon fest: die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2016 und der daraus folgende Wechsel im Stadtentwicklungsressort. Bis dahin saßen 20 Jahre lang Sozialdemokraten auf diesem Posten und schauten dabei zu, wie aus einer Mieterstadt, in der ein großes Reservoir an freien Wohnungen die Mieten niedrig hielt, eine Vermieterstadt wurde, ein Investorentraum mit den höchsten Mietsteigerungen bundesweit.
Sie beförderten diese Entwicklung sogar aktiv. Sozialdemokraten von der Spitze der Exekutive bis tief in die Verwaltungen klüngelten mit der Vermieterlobby. Städtische Grundstücke wurden ausnahmslos zu Höchstpreisen an Private verscherbelt und 150.000 ehemals kommunale Wohnungen an Spekulanten verhökert. An dem Tiefpunkt Berliner Wohnungspolitik, dem Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft GSW im Jahr 2004, war auch die PDS beteiligt, die dem Druck des damaligen SPD-Finanzsenators Thilo Sarrazin nichts entgegenzusetzen hatte.
Die ehemaligen Bestände der GSW, insgesamt 65.000 Wohnungen, landeten über den Umweg eines US-Konsortiums bei der Deutschen Wohnen, die mit mehr als 100.000 Wohnungen jetzt der größte Vermieter der Stadt ist. Dass die Stadt damals gerade einmal 405 Millionen Euro plus die Übernahme der Altschulden von etwa 1,5 Milliarden Euro erlöste, ist ein Trauerspiel. Die geschätzte Entschädigungssumme für die angestrebte Enteignung der Deutschen Wohnen, die sich am realen Verkehrswert des Bestandes orientiert, liegt je nach Schätzung zwischen 20 und mehr als 30 Milliarden Euro. Selten zuvor trat das Fiasko neoliberaler Ausverkaufspolitik deutlicher zutage.
„Die Stadt gehört Euch“, lautete das Wahlkampfmotto der Linken 2016. Es war das Versprechen, aus einstigen Fehlern gelernt zu haben, und eine Einladung an die Mieterbewegung. Die dank dieser Strategie aus den Wahlen gestärkt hervorgegangene Linke konnte der geschrumpften und deutlich weniger lernfähigen SPD das Stadtentwicklungsamt abtrotzen. Der Versuch, den linken Stadtsoziologen Andrej Holm als Staatssekretär zu installieren, war eine erste Kampfansage, die an den Etablierten aus Sozialdemokratie und ihren Verbündeten scheiterte; eine fünfmonatige Tätigkeit des jugendlichen Holms als hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi wurde dafür genutzt.
Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit sorgte Lompscher dafür, dass die Mieten in den mehr als 300.000 Wohnungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften nur noch um maximal zwei Prozent im Jahr erhöht werden dürfen. Auch darf bei Neuvermietungen die ortsübliche Vergleichsmiete nicht überschritten werden, und es muss vermehrt an MieterInnen mit Wohnberechtigungsschein vermietet werden.
Gleichzeitig begann die vermehrte Nutzung des Vorkaufsrechts, um bereits verkaufte Häuser in die öffentliche Hand zu überführen. Am vergangenen Donnerstag verkündete Lompscher stolz den Rückkauf von 6.000 Wohnungen vom luxemburgischen Immobilieninvestor Ado Properties für 920 Millionen Euro. Die Wohnungen gehen zum 1. Dezember in den Besitz der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag über, die bereits im Juli 670 Wohnungen in der Ost-Berliner Prachtmeile Karl-Marx-Allee übernommen hatte.
Zum eigentlichen Motor der neuen Mietenpolitik aber wurde seit Anfang 2018 die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Die Initiatoren fordern die Vergesellschaftung aller privaten Gesellschaften mit einem Bestand von mehr als 3.000 Wohnungen. Betroffen wären mindestens elf Konzerne. Es wäre die erstmalige Nutzung des Artikels 15 Grundgesetz, der unter anderem die Vergesellschaftung von Grund und Boden regelt.
Statt der 20.000 notwendigen Unterschriften für die erste Stufe des Volksbegehrens übergaben die Organisatoren im Frühjahr fast dreimal so viele gültige Unterschriften. Linke und Grüne unterstützen das Ziel, die SPD will ihre Position auf einem Landesparteitag Ende Oktober klären. Momentan liegt der Antrag auf Zulassung des Begehrens beim Senat zur Prüfung. Gibt es keine rechtlichen Bedenken, wofür mehrere Gutachten sprechen, sollen ab nächstem Frühjahr etwa 200.000 Unterschriften für die zweite Stufe des Volksbegehrens gesammelt werden. Am Ende stünde der Volksentscheid, es sei denn, der Senat einigt sich vorher, der Idee zu folgen, und ein entsprechendes Enteignungsgesetz zu erlassen.
Mitten in der Enteignungsdebatte präsentierten um den Jahreswechsel ausgerechnet drei SPD-Politiker die Idee des Mietendeckels – darunter die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Eva Högl, und der stellvertretende Berliner Landesvorsitzende Julian Zado. Sie stützten sich auf Peter Weber, einen findigen Mitarbeiter des Bezirksamtes Pankow, der die Regelungskompetenz der Stadt in einem Fachartikel erläutert hatte. Senatorin Lompscher reagierte überrascht und anfangs wenig begeistert. In der SPD keimte derweil die Hoffnung auf, das Einfrieren der Mieten könnte die Dynamik der Enteignungsdebatte brechen und damit einen positiven Volksentscheid für eine Enteignung verhindern. Diese Hoffnung besteht bei einigen bis heute. Unabhängig davon, ob es so kommt, sollte man sich merken: Angesichts drohender progressiver Politik von unten ist auch die SPD zu fortschrittlicher Politik fähig.
Aus der ursprünglichen Idee, die Mieten für fünf Jahre einzufrieren, ist unter Lompschers Leitung inzwischen mehr geworden. Ergänzt wird der Mietenstopp um eine Höchstwerttabelle: Je nach Baujahr der Gebäude sollen die Grenzen zwischen 5,95 Euro und 9,80 Euro pro Quadratmeter liegen, plus Zuschläge für Sanierungen. Mieten, die darunter liegen, sollen noch geringfügig ansteigen dürfen; wer aber mehr zahlt und über 30 Prozent seines Haushaltsnettoeinkommens für die Miete aufbringen muss, soll seine Miete auch in bestehenden Verträgen reduzieren dürfen. Besonderes dieser Punkt – ein gültiger Senatsbeschluss – ist momentan aber umstritten. So hat etwa der Regierende Bürgermeister Michael Müller gesagt, eine Mietabsenkung werde nicht kommen.
Durchschlagen wird der Deckel vor allem auf die Wiedervermietungen. Momentan ist kaum eine freie Wohnung in der Innenstadt für weniger als zwölf Euro pro Quadratmeter zu finden, oft sind es auch 15 Euro und mehr. Bald aber dürfte kaum eine Wohnung mehr über zehn Euro liegen. Die halbe Stadt wartet darauf, ab dem 1. Januar wieder günstige Angebote auf den Vermietungsportalen zu finden.
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