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Pastor als Hetzer

Bei der Bundestagswahl 1969 kandidierte mit Werner Petersmann ein evangelischer Pfarrer für Niedersachsens NPD. Die Kirche tat sich miteiner Distanzierung schwer. Dabei offenbarte er seine NS-Vergangenheitauch in der Gemeindearbeit

Nach Erfolgen in den 1960er- Jahren reichte die Relevanz der NPD 2017 nicht mal mehr für ein Verbot Foto: Maurizio Gambarini/dpa

Von Reimar Paul

Die Wahl zum 6. Deutschen Bundestag am 28. September 1969 stand unter besonderen Vorzeichen. Ein Machtwechsel – weg von der Großen Koalition, hin zu einer SPD/FDP-Regierung und einer neuen Ostpolitik unter Willy Brandt und Walter Scheel – würde nur möglich sein, wenn es die NPD nicht ins Parlament schaffte. Die rechtsextreme Partei, die nach ihrer Gründung 1964 den Einzug in sieben Landtage geschafft hatte, scheiterte bei der Bundestagswahl mit 4,3 Prozent aber an der Fünf-Prozent-Hürde.

In Niedersachsen saß sie seit 1967 mit zehn Abgeordneten im Landtag. Für die Bundestagswahl hatte die NPD den evangelischen Pfarrer und Theologieprofessor Werner Petersmann als Spitzenkandidaten nominiert. Petersmann (1901–1988) war in der NS-Zeit Reichsleiter der „Deutschen Christen“. Und, wie der Göttinger Ruhestandspastor Hartwig Hohnsbein im Gespräch mit der taz erklärt, „auch aktiver Mitarbeiter in dem im Mai 1939 auf der Wartburg gegründeten kirchlichen ‚Entjudungsinstitut‘.“

Antisemitische Einrichtung

Dieses offiziell so genannte „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ war eine antisemitische Einrichtung von elf deutschen evangelischen Landeskirchen. Es bestand bis 1945. Nach 1945 wurde Petersmann Beauftragter für die Vertriebenenarbeit in der hannoverschen Landeskirche, von 1953 bis Anfang 1969 wirkte er als Pfarrer in der Lukasgemeinde in Hannover.

Der Kabarettist Dietrich Kittner, damals selbst Gemeindemitglied, berichtete später, dass dort „ein brauner Wind durch die heiligen Hallen wehte. Eine mehr oder minder getarnte Neonazi-Veranstaltung jagte die andere“. Pastor Petersmann habe jede Gelegenheit genutzt, rechtsextreme Anspielungen in seine Predigten einzubauen. Gleich nach seiner Nominierung als Spitzenkandidat der NPD-Landesliste schickte Petersmann einen vierseitigen Brief an die „liebe(n) christlichen Mitbürger“ in Niedersachsen. Darin schlug er einen Bogen von angeblich ausufernder Kriminalität bis zur Ostpolitik und beklagte einen „nationalen Notstand“.

Weil die Kirchenoberen die Petersmann-Kandidatur zunächst geflissentlich übersahen, beschloss die Pfarrkonferenz des Kirchenkreises Burgdorf (bei Hannover) Anfang Juli 1969, die Landeskirche zu einer Stellungnahme gegen die NPD zu bewegen und diese als Zeitungsanzeige zu veröffentlichen. „Dazu wurde ich beauftragt, mich mit der Landeskirche in Verbindung zu setzen“, erzählt Hohnsbein. Aus Korrespondenzen und Telefonaten sei bei ihm allerdings der Eindruck entstanden, „dass in den landeskirchlichen Gremien kein Interesse bestand, ein öffentliches Wort zur anstehenden Wahl, geschweige denn zur NPD oder gar zu ihrem ehemaligen ‚Flüchtlingspastor‘ herauszubringen“.

Diese Haltung, so Hohnsbein, sei erst etwas aufgeweicht worden, als sich „einige Amtsbrüder“ gegen Petersmann positionierten. Eine entsprechende Forderung an das Kirchenparlament hätten innerhalb kurzer Zeit etwa 300 Pastoren und etlichen Laien unterschrieben. In einem „Wort des Bischofsrates“ erklärte dieser, „gegenüber Tendenzen, die … Verachtung, Haß und Gewalt zwischen Völkern und Gruppen der Gesellschaft fördern, sind Wachsamkeit und ein entschlossenes Nein geboten“. Die NPD und ihr Spitzenkandidat Petersmann finden in dem Text allerdings keine Erwähnung.

NPD mit Wahlerfolgen

Die NPD wurde am 28. November 1964 gegründet und ging im Wesentlichen aus der Deutschen Reichspartei (DRP) hervor.

Auch der nationalliberale Flügel der FDP lieferte einige NPD-Funktionäre, etwa den späteren hessischen NPD-Landeschef Heinrich Fassbender, der zwischenzeitlich die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) neu gegründet hatte.

Bereits bei der Bundestagswahl 1965 erreichte die NPD 2,0 Prozent. Ein Jahr später gelang ihr der Einzug in die Landesparlamente von Hessen und Bayern. 1967 zog sie in die Landtage von Bremen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein ein.

Bei der baden-württembergischen Landtagswahl im April 1968 kam die NPD auf 9,8 Prozent – das bis dahin beste Ergebnis bei einer überregionalen Wahl.

Einer Gruppe Pastoren um Hohnsbein reicht das damals nicht. In einer als Anzeige in Lokalzeitungen abgedruckten Erklärung „gegen NPD-Pastor Petersmann“ an „alle Christen in Niedersachsen“ schreiben sie unter anderem: „Laßt nicht zu, dass Christen und Kirchen noch einmal dem nationalen Partei-Fanatismus gleichgeschaltet und als Vorspann für seine Zwecke mißbraucht werden sollen!“ In wie vielen Gemeinden diese Erklärung diskutiert oder gar in Gottesdiensten verlesen worden sei, so Hohnsbein, „das entzieht sich meiner Kenntnis“.

Und Pfarrer Petersmann? Der publizierte nach 1969 munter weiter für die rechtsextremen Blätter Deutsche Nachrichten und Deutsche Nationalzeitung. Bei einem Vortrag in Würzburg am Reformationstag 1970 warb er offen für die „Aktion Widerstand“. Diese faschistische Organisation war ein halbes Jahr zuvor im Umfeld der gewalttätigen Proteste gegen den Besuch des damaligen DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph entstanden. Berüchtigt war sie unter anderem wegen ihrer auf Mauern gepinselten Forderung „Willy Brandt an die Wand“. Bei seinem Vortrag in Würzburg polemisierte Petersmann auch gegen das „Stuttgarter Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirche in Deutschland“ (EKD). Mit dieser Erklärung vom Oktober 1945 hatte die EKD eine Mitschuld evangelischer Christen an den Verbrechen der Nationalsozialisten bekannt.

Kirchenleute mit Rechtsdrift

Ein Beispiel für Kirchenleute mit Rechtsdrift gibt es auch aus jüngerer Vergangenheit. Der Bremer Ruhestandspastor und Mitbegründer der Grünen in dem Bundesland, Friedrich Bode, hielt im Februar 2018 einen Vortrag bei der NPD. Er verherrlichte in einer Rede Adolf Hitler als „glänzenden Autodidakten“ und besuchte den Holocaustleugner Horst Mahler im Gefängnis. Die Leitung der Bremischen Evangelischen Kirche hatte Bode nach Bekanntwerden des Vortrags aufgefordert, weitere Auftritte bei NPD-Veranstaltungen zu unterlassen.

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