Klimaschutz-Bewegung in USA: Make America Greta again
Die USA sind das Land mit der höchsten Konzentration an Klimaleugnern. Doch dank New Yorker Teenagerinnen wächst die Fridays-for-Future-Bewegung.
Bislang ignoriert Präsident Trump sie, und die Fernsehsender und Zeitungen beginnen erst allmählich damit, über sie zu berichten. Aber aus den sozialen Medien wissen jetzt Millionen von Jugendlichen in den USA, dass es eine Klimakatastrophe gibt. Und dass sie selbst etwas tun können, um das Schlimmste zu verhindern.
„Wenn ich warte, bis ich wählen darf, ist es zu spät“, sagt die 14-jährige Alexandria mit einer mädchenhaften Stimme. Anfang November vergangenen Jahres hat sie bei einem Besuch in ihrem Geburtsort Davis in Kalifornien den schwersten Waldbrand der Geschichte des Bundesstaats erlebt. Er zerstörte den Nachbarort Ort Paradise und tötete 85 Menschen. Im anderthalb Autostunden weiter südlich gelegenen Davis lösten die Rauchwolken eine Asthmakrise bei der 13-jährigen Alexandria aus.
Als sie nach New York zurückkehrt, wird Alexandria aktiv. Sie tritt in die Fußstapfen von Greta Thunberg. Doch während die Schwedin ihren Schulstreik vor dem nationalen Parlament ihres Landes begonnen hat, geht die junge US-Amerikanerin vor die Tore der größten internationalen Organisation. Ab Mitte Dezember sitzt sie jeden Freitag auf einer metallenen Bank bei den Fahnenmasten vor dem Hauptsitz der Vereinten Nationen an der First Avenue in New York. Die meiste Zeit bleibt sie allein mit ihrem Schild „Schulstreik“. Erst nach Monaten der Einsamkeit stoßen weitere Teenager zu ihr. Zusammen skandieren sie, dass sie „unaufhaltsam sind, wie der steigende Meeresspiegel“, dass sie „Klimagerechtigkeit“ verlangen und „alles stilllegen“ werden, wenn sie die nicht kriegen, und neuerdings rufen sie auch: „Wir streiken für uns und für euch“.
Auch Xiye will keine Zeit verlieren. „Wir müssen jetzt aktiv werden“, begründet sie, „sonst werden wir Opfer der Klimakatastrophe.“ Ihre Schlüsselerlebnisse liegen schon recht lange zurück. An ihrem Geburtsort San Pedro Tultepec im Zentrum Mexikos hat sie eine mehrjährige Dürrekatastrophe, gefolgt von einer schweren Flutwelle, erlebt.
Patienten mit „Klimaangst“
Als die Familie anschließend nach New York übersiedelte, spürte Xiye dort die Folgen von Hurrikan „Sandy“, der 2012 in der Stadt gewütet hat. In der Klimabewegung in New York beruft sich Xiye auf ihre indigenen Wurzeln. Sie betont, dass sie eine Otomi ist, wie ihr Vater – und dass sie als solche die Verpflichtung hat, den Planeten zu verteidigen.
Von einer New Yorker Psychologin erfährt sie, dass neuerdings Patienten mit „Klimaangst“ in deren Praxis kommen. Xiye hat immer noch Albträume von Hurrikanen und in diesem Sommer hat sie geweint, als sie Bilder von dem brennenden Amazonaswald sah. „Egal, wo ich hingehe“, sagt die inzwischen 17-Jährige: „die Klimakatastrophe ist schon da.“
Aber in den zurückliegenden Wochen erleben die beiden Pionierinnen Glücksmomente. Der Mittwoch, an dem Greta Thunberg nach ihrer Atlantiküberquerung im Segelboot an Land geht, ist einer davon. Alexandria und Xiye halten die Begrüßungsreden für die Schwedin. Anschließend lassen sie sich von ihr das Segelboot „Malizia II“ zeigen. Sie hoffen, dass das Mädchen aus Schweden ihnen aus ihrer Isolation heraushilft.
Seither sind die drei Teenager in New York und Washington in Sachen Klima unzertrennlich. Sie halten Vorträge, geben Interviews; bei den Protesten vor der UN halten Alexandria und Xiye und andere nordamerikanische Teenager kurze Reden nach dem Pop-up-Prinzip.
Dabei steht eine Person auf, sagt ein paar Sätze über die Klimawandelauswirkungen, setzt sich wieder. Dann kommt die nächste Person dran. Greta Thunberg sitzt meist schweigend im Zentrum und sagt nur dann etwas, wenn sie direkt angesprochen wird. „Sie will uns den Vortritt lassen“, sagt Alexandria. In der nächsten Woche sind alle drei Gäste des UN-Klimagipfels. Zumindest Greta Thunberg wird dort eine Rede halten.
„Wow – das ist riesig“
Nach Thunbergs Landung werden die „Fridays for Future“-Proteste in New York größer. An den zwei folgenden Freitagen kommen mehrere Dutzend Jugendliche vor die UN. Am dritten Freitag, als Thunberg in Washington vor dem Weißen Haus ist, schrumpft das Häuflein rund um die Metallbank vor der UN wieder. Aber in der Hauptstadt versammeln sich mehr als 1.500 Menschen um die junge Schwedin. Als die Bilder über ihr Handy flimmern, ruft Xiye erfreut: „Wow – das ist riesig.“ Sie gibt gerade ein Interview. Während sie spricht, setzt sie mit der linken Hand ein Herz unter ein Foto aus Washington.
Die beiden New Yorkerinnen sind Medienprofis geworden. Sie lassen sich nicht von geringen Teilnehmerzahlen beeindrucken, sondern positivieren lieber. „Das Wichtigste ist, dass es weitergeht“, sagt Xiye: „wir brauchen Beständigkeit“. Alexandria schwärmt von der „Flugscham“, die Thunberg in Europa ausgelöst hat. „Bei uns hat sie noch nicht genügend Einfluss“, erklärt Alexandria, „aber das wird sich ändern.“
Als Xiye zum ersten Mal von Thunberg hörte, war sie beeindruckt, dass eine junge Frau so viel bewegen kann. Dann fiel ihr auf, dass sie selbst nicht viel älter ist, und sie begann, an der Beacon High School in New York zu organisieren. Am 15. März folgen ihr 600 Mitschüler zu einem Walkout für das Klima.
Später an jenem Tag geht Xiye zum Naturkundemuseum, wo sie Alexandria begegnet, die zusammen mit anderen Teenagern eine „coole Aktion“ macht. Sie tragen Politikermasken ins Museum, darunter sind sowohl Republikaner, wie Präsident Trump, als auch Demokraten, wie die Repräsentantenhaussprecherin Pelosi und der New Yorker Senator Schumer. „Fossil Fools“ – fossile Narren – nennen die Jugendlichen die Politiker, die sie aus dem Verkehr ziehen wollen.
Seither sind die Aufgaben von Alexandria und Xiye komplexer geworden. Die beiden haben Auszeichnungen für ihr Engagement bekommen – Xiye von der UN, Alexandria von verschiedenen Umweltorganisationen. Sie haben Dutzende von Interviews gegeben, Vorträge gehalten und Lobbying gemacht. Um das alles zu bewältigen, hat Alexandria jetzt einen ehrenamtlichen Pressesprecher.
Familiärer Beistand
Genau wie Greta Thunberg werden auch die beiden New Yorkerinnen von ihren Eltern unterstützt. Alexandria nennt sie: „unsere besten Alliierten“. In ihrer Familie sind die Mutter und die ältere Schwester Umweltwissenschaftlerinnen. Wenn Alexandria vor der UN schulstreikt, ist ihre Mutter in der Nähe. Auch Xiyes Mutter, eine aus Chile stammende Ethnologin, ist in Rufweite. Die Mütter halten sich meist zurück. Nur wenn es um Aufenthaltspapiere geht, versucht Xiyes Mutter zu bremsen. Xiye hat die mexikanische und die chilenische, nicht aber die amerikanische Staatsangehörigkeit. Aber wenn ihre Mutter sie mahnt: „sei vorsichtig“, lacht die Tochter.
Die beiden Teenager an der Spitze glauben, dass Reisen ihren Blick geschärft haben. Während wohl die meisten Erwachsenen in den USA nicht über ihren Tellerrand hinaussehen, können sie vergleichen. Alexandria kennt sowohl die Ost- als auch die Westküste der USA, Xiye sowohl New York als auch Mexiko.
Für die ungewöhnlich starke Präsenz von Frauen in der Bewegung haben die Aktivistinnen unterschiedliche Erklärungen. Eine lautet, dass Frauen aufmerksamer auf Klimaveränderungen reagieren, eine andere, dass Mädchen im Teenageralter früher erwachsen werden. Ayisha Siddiqa hat eine dritte: „Umweltpolitik und Umweltthemen sind zweitrangig in den USA, weil sie nicht für Geld und Erfolg stehen.“
Ayisha ist eine der wenigen Teilnehmerinnen der Fridays-for-Future-Proteste in New York, die nicht aus einer Mittelschichtfamilie stammt. Ihre Familie ist aus einem Dorf in Pakistan gekommen, als sie fünf war. Bis heute sind ihre Eltern im „Überlebensmodus von Immigranten – darauf konzentriert: Essen auf den Tisch zu bringen“, so Ayisha.
Mit 20 ist sie eine der älteren Klimaaktivistinnen. Und eine der wenigen, die ein Kopftuch trägt. Bei den Freitagen vor der UN hält sie oft selbstbewusste kurze Reden. Sagt: „Jede Revolution beginnt mit jungen Leuten.“ Oder klagt die umstehenden Journalisten an, weil sie das Sterben an den „Fronten der Klimakatastrophe“ ignorieren. „Das ist Adrenalin“, sagt Ayisha, die privat still und schüchtern ist. Und sich Sorgen über ihr Alter macht. „Mit den Jahren geht die moralische Autorität verloren“, sagt sie, „der Alltag nimmt überhand – Geld, Pflichten und so.“
Nach ihrem Studium von Politikwissenschaft und Linguistik will Ayisha in der Umweltpolitik oder im Umweltrecht arbeiten: „Je nachdem, wo die menschliche Spezies steht, falls die Klimakrise bis dahin nicht abgemildert worden ist.“ Auch andere Pionierinnen der Bewegung streben in diese Bereiche. Xiye möchte an der Schnittstelle von Umwelt und internationalen Beziehungen arbeiten. Und Alexandria hofft, dass sie in zehn Jahren nicht mehr für das Klima streiken muss. Sie möchte „im humanitären Bereich“ arbeiten. Genaueres weiß sie noch nicht: „Ich bin doch erst 14 und gehe noch zur Mittelschule.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren