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Warme Wohnung, kühler Fluss

Ein Energieversorger will Abwärme aus der Industrieproduktion in großem Stil in die Häuser bringen. Das entlastet auch den Rhein

Bislang heizt Evonik im badischen Rheinfelden den Fluss noch kräftig auf Foto: imago

Von Bernward Janzing

Es geht um die Energie von vier Millionen Litern Heizöl. Mit einer solchen Wärmemenge nämlich heizt das Werk der Firma Evonik im badischen Rheinfelden alljährlich den Rhein auf – es ist die Abwärme aus der Fertigung des Kieselsäure-Produktes Aerosil. Schade um die wertvolle Energie. Und nicht nur das, die Wärme belastet auch das Fließgewässer, gerade in einem ohnehin heißen und trockenen Sommer. Deswegen soll diese Praxis im kommenden Jahr beendet werden: Evonik gibt die Abwärme des Chemiewerks an den Versorger Energiedienst ab, der damit Wärmekunden in Rheinfelden beliefern wird. „Wärme verkaufen ist nicht unser Geschäft, das kann Energiedienst besser“, sagt Evonik-Standortleiter Olaf Breuer.

Die Konstellation ist günstig, weil die Abwärme noch immer ein auskömmliches Temperaturniveau erreicht: Mit – für Heizzwecke – attraktiven 95 bis 99 Grad kommt sie aus der Fabrik. Es ist der Rest, der übrig bleibt aus Prozessen, die zum Teil mehr als 1.000 Grad benötigen. Seinen eigenen Bedarf an Heizwärme hat das Werk längst vollumfänglich aus der Abwärme gedeckt. Breuer nennt Rheinfelden auch deswegen den „grünsten Standort von Evonik“. Dennoch bleiben jährlich rund 42 Millionen Kilowattstunden Abwärme aus vier Produktionsprozessen übrig. Im Werk lässt diese Energie sich nicht mehr verwerten.

Und im Rhein stört sie zunehmend; der Fluss leidet unter dem Wärmeeintrag. Die Behörden, speziell in der Schweiz, drängen daher auf Abhilfe. Künftig dürfe man nur noch Abwärme bis 30 Grad einleiten, sagt Evonik-Projektleiter Peter Adler. Es musste also eine Lösung her – und die ist nun maßgeschneidert für Energiedienst. Das einst als Stromversorger groß gewordene Unternehmen sieht in der Kooperation mit Evonik eine „einmalige Chance“ sein Geschäft auszuweiten, indem es künftig die Evonik-Wärme in Rheinfelder Haushalte liefert. 300 Haushalte sind schon an das Wärmenetz angeschlossen, 5.000 könnten es werden.

Ein Wärmeüberschuss im Sommer wird gleichwohl bleiben. Daher wird Energiedienst zum einen mittels Sorptions-Kältemaschine aus der Abwärme auch Kälte erzeugen. Zum zweiten wird der Versorger überflüssige Wärme auch verstromen. Die wohl wichtigste Frage aber bleibt diese: Ist die Wärme, selbst wenn sie ohnehin vorhanden und kostenlos verfügbar ist, wirtschaftlich in die Häuser zu bringen?

So ganz wollen die beteiligten Firmen sich zwar nicht in die Kalkulation schauen lassen, ein paar Rahmendaten sind dann aber doch zu erfahren. Richtwert sei ein jährlicher Leistungspreis von 45 Euro pro Kilowatt, sagt Klaus Nerz, Leiter Wärme- und Energielösungen bei Energiedienst. Wer also eine 10-Kilowatt-Gastherme durch die Nahwärme ersetzt, bezahlt dafür 450 Euro im Jahr als Grundpreis. Die verbrauchte Kilowattstunde werde bei fünf bis sieben Cent liegen, wobei diese Preise mit Gastarifen nur bedingt vergleichbar sind. Denn wer Wärme bezieht, bezahlt tatsächlich nur die Kilowattstunde nutzbarer Wärme. Wer Gas verbraucht, bezahlt hingegen das Gas, dessen Wärme jedoch aufgrund der unvermeidbaren Verluste nie komplett im Heizkreislauf ankommt.

Je nach Objekt wird zudem ein einmaliger Baukostenbeitrag des Hauseigentümers für den Wärmeanschluss fällig. Der könne bei acht- bis zehntausend Euro liegen, bei größeren Häusern auch höher. Wer andernfalls einen neuen Heizkessel kaufen müsste, kann sich jedoch die vermiedenen Kosten gegenrechnen. So ist am Ende die Kalkulation für jeden Hauseigentümer eine individuelle. Zumal Nerz nur von „Richtwerten“ spricht: „Wir haben unterschiedliche Preisstrukturen.“

Die Wärmepreise sind schließlich durch den Wettbewerb getrieben – und wer der wichtigste Mitbewerber ist, ist eindeutig: „Wir konkurrieren mit dem Erdgas“, sagt Nerz. Wo das gelingt, wird künftig manche Kilowattstunde Wärme das Wohnzimmer temperieren, statt den Rhein aufheizen. Wo es nicht gelingt, ist das vor allem auch umweltpolitisch bitter; dann wird in den Heizungskellern weiterhin Gas oder sogar Öl verbrannt und CO2 erzeugt, obwohl Abwärme en masse da ist.

Bei Energiedienst hofft man deswegen auch auf eine CO2-Steuer. Eine solche würde den Energiemarkt nach ökologischen Kriterien neu sortieren und die Abwärme wettbewerbsfähiger gegenüber Öl und Gas machen. „Wir sind Gründungsmitglied des Vereins CO2-Abgabe“, sagt Nerz. Denn indem die Atmosphäre nicht mehr kostenlos als Deponie für Abgase zur Verfügung stehe, dürfte manchem Effizienzprojekt auf die Sprünge geholfen werden. Und das nicht nur in Rheinfelden.