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Recht auf Ausschweifung

Stundenlang redet ein Angeklagter vor Gericht. Wie lang ein „letztes Wort“ sein darf, ist nicht geregelt

„Hab ich das schon erzählt? Ich glaube nicht!“ Diese Sätze waren am Montag vor dem Landgericht Hamburg mehrfach aus dem Mund des 71 Jahre alten Angeklagten zu hören. Der wegen versuchten Mordes angeklagte Serienbankräuber setzte über mehrere Stunden den zweiten Teil seines letzten Wortes fort. Dabei schimpfte er vor allem auf die Unfähigkeit der Ermittler, lobte sich für die schlaue Planung seiner Banküberfälle und kritisierte die Vorsitzende Richterin für ihre Einwürfe. „Mir ist schon klar, dass Sie mir heute mein letztes Wort abschneiden wollen“, sagte der zuletzt in Kiel lebende Deutsche dazu.

Richterin Birgit Woitas reagierte mit klaren Worten. „Das werde ich überhaupt nicht tun. Sie haben das Recht darauf. Ich weise Sie darauf hin, wenn es Wiederholungen sind. Denn die muss ich unterbinden.“ Angeklagte haben vor der Verkündung des Urteils das Recht, nicht die Pflicht, auf das letzte Wort. Das ist in der Strafprozessordnung als Kernbestandteil der Angeklagtenrechte in der Hauptverhandlung verankert, wie der Hamburger Gerichtssprecher Kai Wantzen sagte.

Die Strafprozessordnung kenne keine ausdrückliche Regelung mit Blick auf die Länge des letzten Wortes. „Im Prinzip ist die mögliche Dauer des letzten Worts daher – bis zur Grenze des Missbrauchs, etwa bei ständigen Wiederholungen, weitschweifigen, abwegigen oder ehrkränkenden Äußerungen –unbeschränkt“, erklärte Wantzen weiter.

Diese Grenze nicht zu überschreiten, war für den Angeklagten eine Herausforderung. So verlor sich der 71-Jährige etwa bei den Ausführungen zu seinem Fluchtweg in Details über die Architektur von Häusern sowie den Belag. Stunde um Stunde las er dabei auch unzählige Zeitungsartikel über ihn selbst vor.

Auf Wiederholungen und Ausschweifungen musste Richterin Woitas mehrfach hinweisen. Als er die mehrseitige Begründung eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1993 komplett vorlesen will, lässt Woitas im Protokoll festhalten, dass sie das als Ausschweifigkeit erachtet.

Bereits der erste Teil seines letzten Wortes hatte mehr als fünf Stunden gedauert. Der Mann muss sich vor Gericht wegen drei Raubüberfällen auf Hamburger Banken sowie einen dabei abgegebenen Schuss auf einen Bankangestellten verantworten. Bei den Überfällen hatte der 71-Jährige rund 25.000 Euro erbeutet. Der Staatsanwalt hatte eine Haftstrafe von zwölf Jahren und zehn Monaten und anschließende Sicherungsverwahrung gefordert. (dpa)

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