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„Wir können nichts konstruieren“

Am Samstag spielen die Deutschen in der EM-Quali gegen Montenegro. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg über ihr Vertrauen zum WM-Kader, Mentalität, Vorbilder und den Nachwuchs

Martina Voss-Tecklenburg

Die ehemalige Auswahlspielerin, 51, ist seit November 2018 Trainerin der deutschen Fußballnationalmannschaft.

Interview Frank Hellmann

taz: Frau Voss-Tecklenburg, wie schwierig wird es, zwei Monate nach dem WM-Aus wieder den Schalter umzulegen?

Martina Voss-Tecklenburg: Es muss cool sein, sich einer neuen Aufgabe zu stellen. Wir wollen gleich im ersten EM-Qualifikationsspiel mit viel Spielfreude an die Sache rangehen. Sicherlich wird unser Gegner mit allen Mitteln verteidigen, aber ich möchte, dass die Mannschaft das Spieltempo permanent hochhält, auch wenn nicht alle Nationalspielerinnen bei 100 Prozent sein können. Wir sagen daher auch nicht, wir schießen soundso viel Tore.

Bevor die Absage der verletzten Melanie Leupolz kam, hatten Sie bis auf die zurückgetretene Lena Goeßling, die verletzten Marina Hegering und Almuth Schult exakt den WM-Kader berufen. Warum?

Zwei Komponenten kommen zusammen: Wir sind einerseits von diesem Team überzeugt, andererseits wollen wir die Aufarbeitung gemeinsam anstellen, in dem wir Gespräche führen oder Befindlichkeiten aufklären, nachdem wir bei der WM sehr abrupt auseinandergehen mussten.

Die Ausgangslage ist jetzt, dass die Frauen-Nationalmannschaft die nächsten zwei Jahre Mühe haben wird, ins öffentliche Bewusstsein vorzustoßen.

Es ist einfach schade, dass wir nicht das Olympia-Turnier spielen können. Nun müssen wir versuchen, den Entwicklungsprozess anders zu gestalten. Über hochkarätige Freundschaftsspiele und wohl auch den Algarve Cup im nächsten Jahr. Wir werden auch genau hinsehen, was mit den Spielerinnen passiert, die im Sommer die Vereine gewechselt haben: Wir müssen beobachten, wie viel sie spielen, ob sie spielen, wie sie spielen. Das kann dazu führen, dass wir in zwei, drei Monaten noch Anpassungen vornehmen.

Die derzeit verletzte Nationaltorhüterin Almuth Schult hat unverblümt ein Mentalitätsproblem ausgemacht.

Ich kann nicht gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen. Wir haben schon Typen, die wir in den U-Teams durch unsere Trainerinnen unterstützen wollen und ihre Individualität ausleben lassen. Aber wir decken nur einen Teil ihrer Ausbildung ab. Ich habe gerade einer jungen Spielerin in einem neuen Klub gesagt, dass sie Wünsche ihres Trainers zu erfüllen hat. Anpassung gehört zu einem Reifeprozess auch dazu.

Werden Giulia Gwinn, die mit 19 Jahren zur besten Nachwuchsspielerin der WM gewählt wurde, und Lena Oberdorf, die mit 17 Jahren die jüngste deutsche WM-Spielerin aller Zeiten wurde, bereits mehr Verantwortung bekommen?

Natürlich. Giulia ist bereits ein fester Bestandteil unseres Teams. Bei Lena müssen wir die Belastung durch die Schule berücksichtigen und auch darauf achten, dass sie alles gesundheitlich durchsteht. Sie ist ein Toptalent, aber ich fand richtig, dass ihr Vereinstrainer Markus Högner sie am ersten Spieltag nicht gleich aufgestellt hat. Ich denke noch an Klara Bühl, die sich entwickeln kann; an Lina Magull, die noch nicht gefestigt ist.

Wäre es hilfreich zu sagen, sie sollen sich einfach an Megan Rapinoe orientieren? Ein besseres Vorbild gibt es doch im Frauenfußball gerade nicht, oder?

Ich glaube schon, dass Vorbilder generell helfen. Wir haben meinungsstarke Spielerinnen, aber wir können auch nichts konstruieren. Ich bin mir sicher, dass es bei uns gesellschaftlich engagierte Akteure gibt, die sich zum richtigen Zeitpunkt äußern würden. Wir stärken sie in allen Bereichen. In den USA bewegen sich die Nationalspielerinnen aber in anderen Dimensionen.

Die US-Spielerinnen sind beim Verband angestellt, bestreiten zahlreiche Länderspiele im Jahr, sind viel länger für Maßnahmen zusammen als die 80 Tage in Deutschland und partizipieren direkt von der Vermarktung, selbst von den Zuschauerzahlen.

Das ist es. Sie sind permanent in TV-Sendungen oder Talk­runden, sie sind in allen Facetten sportlich, gesellschaftlich und politisch präsent. Diese Gegebenheiten haben wir in Deutschland nicht. Ich kann versprechen: Wir unterstützen die Persönlichkeitsentwicklung nach bestem Wissen und Gewissen. Es wäre cool, wenn wir auch so ein Selbstverständnis entwickeln, dass jede Spielerin auf den Platz geht und von sich so überzeugt ist und sagt: Ich kann das, ich mach das, ich schaff das – gebt mir den Ball! Aber da sind wir noch nicht.

Ist die Vizeeuropameisterschaft der U19-Frauen ein weiterer Beleg, dass es um den Nachwuchs nicht schlecht bestellt ist?

Es gibt keinen Grund zur Schwarzmalerei. Es ist für mich total erfreulich, dass die Mädels die Qualifikation für die U20-WM geschafft haben, weil es im Juniorinnenbereich immer enger zugeht. Unsere Grundvoraussetzung muss sein, dass unsere Teams Turniere, Turniere spielen, weil diese Erfahrungen sonst nirgendwo zu machen sind. Auch wenn es manchmal bittere Erlebnisse sind.

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