piwik no script img

Sechstes Hamburger Frauenhaus kommt„Explizit offen für Transfrauen“

Hamburg bekommt ein neues Frauenhaus. Der Verein „6. Autonomes Frauenhaus“ möchte dort neuere feministische Konzepte umsetzen.

Offen für neue Perspektiven: eine Frau im Frauenhaus Foto: dpa
Katharina Schipkowski
Interview von Katharina Schipkowski

taz: Frau Fischer, die Ausschreibung für die Trägerschaft des sechsten Hamburger Frauenhauses läuft europaweit. Warum meinen Sie, es wäre am besten, wenn Sie den Zuschlag bekommen?

Maria Fischer: Die Frauenhauslandschaft in Hamburg ist ja schon maßgeblich durch autonome Häuser geprägt. Die Prinzipien, die in den bestehenden Häusern erfolgreich angewandt werden, würden auch unsere Arbeit bestimmen. Aber es wäre eine Chance, Veränderungen der feministischen Theorie der letzten Jahre aufzunehmen.

Welche?

Zum Beispiel eine kritische Haltung zur binären Geschlechtervorstellung und eine intersektionale Sichtweise auf Macht- und Gewaltverhältnisse.

Was würde eine solche intersektionale Sichtweise in der Praxis bedeuten?

Frauenhäuser in Hamburg

Fünf Frauenhäuser gibt es derzeit in Hamburg. Die Standorte sind aus Schutzgründen geheim. Der Verein Autonome Hamburger Frauenhäuser betreibt vier davon, eins betreibt die Diakonie.

Die Frauenhausbewegung hat ihren Ursprung in den 1970er-Jahren. Das erste Frauenhaus öffnete 1976 in Westberlin und war autonom. Die Wohlfahrtsverbände stiegen in den 1980er-Jahren mit eigenen Häusern ein.

Die Hamburger Sozialbehörde hat am 7. August bekanntgegeben, dass ein Standort für ein sechstes Frauenhaus gefunden wurde. Die Bewerbungsfrist für eine*n Träger*in läuft. Das Haus soll im Frühjahr 2020 öffnen.

Es bedeutet, die Biografien der Betroffenen unter analytischen Perspektiven zu betrachten, die außer patriarchalen Gewaltmustern noch andere einschließen können, zum Beispiel rassistische oder homophobe Gewalt. So können wir besser auf die individuellen Bedürfnisse der Frauen eingehen.

Wie würde sich das auf Ihre Arbeit auswirken?

Wir haben uns Gedanken gemacht, wie Diskriminierungen auch im Haus abgebaut werden können und haben uns entschieden, im Team eine Quotierung festzuschreiben für Frauen mit rassistischen Diskriminierungserfahrungen. Außerdem soll das Haus explizit für Transfrauen offen sein. In den Anfängen der autonomen Frauenbewegung wurden solche Diskussionen nicht geführt, oder mit einem Verständnis, das wir heute nicht mehr teilen. Die älteren Häuser sind auch im Veränderungsprozess.

Was bedeutet „autonom“ bei den Autonomen Frauenhäusern?

Zum einen parteipolitische und konfessionelle Unabhängigkeit. Außerdem lehnen wir Hierarchien ab. Im Team gibt es keine Leitungsfunktion, alle Mitarbeiter*innen arbeiten gleichberechtigt. Für die Bewohner*innen heißt das, dass man nicht die paternalistische Position, die vorher meist der Mann besetzt hat, durch die Mitarbeiter*in des Frauenhauses ersetzt.

Das bedeutet auch mehr Verantwortung für die Bewohner*innen.

Ja, und die Frauen werden bei ihren eigenen Lösungsvorstellungen unterstützt. Die einzelnen Schritte werden immer besprochen, die Frauen gestalten sie nach ihren Bedürfnissen. Der alte Slogan der Frauenhausbewegung – „Hilfe zur Selbsthilfe“ – gilt noch.

Überfordert das manche Frauen?

Im Interview: Maria Fischer

33, heißt eigentlich anders, aber bei Frauenhäusern ist Diskretion wichtig, deshalb zeigen wir auch kein Foto von ihr. Sie ist Gründungsmitglied des Vereins „6. Autonomes Frauenhaus“ in Hamburg.

Sie kommen ja in Krisensituationen. Die Überforderung liegt darin, dass sie durch die Gewalterfahrung meistens länger nicht mehr die Möglichkeit hatten, ihre Leben selbstbestimmt zu gestalten. Aber da gibt es große Unterschiede, es gibt nicht die klassische Bewohner*in.

Seit zwei Jahren gibt es die zentrale Notaufnahme der Hamburger Frauenhäuser. Was hat sich verändert?

Es ist eine deutliche Entlastung. Vorher haben sich die Autonomen Häuser mit dem Notdienst abgewechselt. In dem Haus, was dran war, wurde der 24/7-Dienst in den Bürozeiten über die Mitarbeiter*innen abgedeckt, aber nachts und am Wochenende haben die Bewohner*innen diese Arbeit gemacht – unentgeltlich. Das war für die Frauen, die ja ihre eigenen schwierigen Biografien haben, eine Belastung.

Wie läuft eine Aufnahme?

Wenn eine Frau anruft und akut von Gewalt betroffen ist, trifft man sich an einem vereinbarten Treffpunkt. Die Frau schildert ihre Situation und bekommt ein Zimmer, Kleidung oder Duschzeug, wenn sie das braucht. Im Aufnahmegespräch wird die Gefährdungslage geklärt – in welchen Stadtteilen ist sie in Gefahr, hat sie Kinder und so weiter. Dann wird ein Platz gesucht.

Und immer gefunden?

Die Hamburger Häuser sind oft voll. Dann wird im Speckgürtel gesucht, in Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder weiter weg. Gerade für Frauen mit mehreren Kindern ist es schwierig. Der Lebensraum im Frauenhaus ist sehr beengt. Im ländlichen Raum wohnen die Frauen teilweise in Sechsbett-Zimmern. Dabei haben sie nach den Gewalterfahrungen immer ein erhöhtes Ruhebedürfnis.

Wer steht hinter dem Verein, der sich auf die Trägerschaft für das sechste Haus bewirbt?

Wir sind 30 Personen, Männer ausgeschlossen. Allerdings sehen wir den Begriff Frau als politische Kategorie, die die Erfahrung von Diskriminierung und misogyner Gewalt beschreibt.

So negativ definieren Sie „Frau“?

Für die Arbeit, die wir machen, ist das leider die Zielgruppe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich find das Beschriebene eine gute Sache.

    Trotzdem schließe ich mich teilweise Graf Olaf und Franz Georg an.

    Eine % Gleichberechtigung bezüglich der Fälle wäre in jedem Fall wünschenswert für die Betroffenen.

  • Eigentlich in jeder Grossstadt mal unter Männerwohnheim suchen . Vorort sollte geschultes Personal sein die Sie nach Hilfsangebote für Menschen mit Gewalterfahrungen fragen können.Mittlerweile gibt es auch Einrichtung mit intersektionale Sichtweisen z.B. für betroffenen mit Homophoben Gewalterfahrungen.

  • Wie viele "Männerhäuser" gibt es eigentlich?



    Die Geschlechterrollen bei Gewalt in einer Beziehung ist ja etwa Gleichverteilt (ca 60% Männer und 40% Frauen als Täter).

    Bitte den Kommentar nicht von vornherein Zensieren!!



    Ich will nicht trollen, triggern, beleidigen, marginalisieren oder sonstwas und ich entschuldige mich Ausdrücklich bei allen die sich durch die Zeilen oben getrollt, getriggert, beleidigt, marginalisiert oder sonstwas fühlen, das tut mir leid.



    Es interessiert mich wirklich, ob es für Männer in "toxischen Beziehungen" auch Anlaufstellen gibt oder ob wir auch da ein gesellschaftliches Problem haben, das unsere Regierung mal wieder vollkommen Verbockt hat.

    • 0G
      05437 (Profil gelöscht)
      @Franz Georg:

      Ich verstehe nicht, was Sie mit Verteilung der Geschlechterrollen bei Gewalt meinen. Falls Sie auf den Anteil männlicher Opfer von Partnergewalt abzielen: Es gibt derzeit keine repräsentativen Zahlen, die valide wären. Die Studie von Döge ist (wie er später selbst eingeräumt hat) unsauber und die vom Robert-Koch-Institut ebenfalls. Insofern wäre ich mit solchen Zahlen vorsichtig. Es bräuchte also zu dem Thema mal eine repräsentative und wirklich handwerklich vernünftig gemachte Studie. Zum Hilfesystem: Gewaltbetroffene Männer können sich an alle Hamburger Beratungsstellen für Opfer von häuslicher Gewalt wenden, das steht explizit auf deren Homepages. Ansonsten gibt es tatsächlich Männerwohnheime, auch wenn die nicht explizit für Opfer von häuslicher Gewalt sind. Auch die Jugendämter beraten und unterstützen gewaltbetroffene Väter. Zudem sind Männer in der Regel ökonomisch unabhängiger und können trotz der Gewaltbetroffenheit noch arbeiten, sodass sie eher eine Chance haben, Wohnraum zu finden. Natürlich bräuchte es mehr Hilfsangebote auch für Männer, es hilft aber nichts, beide Gruppen gegeneinander auszuspielen (was ich Ihnen auch wirklich nicht unterstellen will).