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Deliveroo verlässt DeutschlandAm Ende der Nahrungskette

Rund 1.000 Fahrer*innen haben heute erfahren, dass sie ab Freitag arbeitslos sind. Die Gewerkschaft NGG kritisiert die Arbeitsbedingungen scharf.

Einer von rund 1.000 Deliveroo-Fahrer*innen, die ab Freitag überraschenderweise arbeitslos sind Foto: dpa

Berlin taz | Der Essenslieferdienst Deliveroo stellt am Freitag seinen Dienst in Deutschland ein. Die rund 1.000 Fahrer*innen erfuhren das wie auch die Kund*innen am Montag per E-Mail.

Fernando hat in Hamburg knapp zwei Jahre für Deliveroo gearbeitet, seinen Namen haben wir geändert. Von seiner Kündigung hat er via E-Mail erfahren. „Jeder bei Deliveroo weiß deinen Einsatz sehr zu schätzen“, heißt es darin. Unterschrieben hat sie Deutschland-Chef Marcus Ross. „Es ist extrem kurzzeitig und kommt doch überraschend für alle Fahrer*innen“, sagt Fernando im Gespräch mit der taz. Die Auftragslage sei gut gewesen, er habe viele Stammkund*innen gehabt. „Der Verdienst war auch echt okay, trotz aller Abgaben“, sagt er. Er habe zwischen 10 und 30 Euro pro Stunde verdient. Sein Fazit: „Extrem unpersönlich, wenig bis kein Support, aber es hat funktioniert“, sagt Fernando.

Keiner habe mit einer Kündigung gerechnet. Und erst vor einem Monat sei ein neues Bezahlmodell für die Fahrer*innen eingeführt worden. „Ich hatte gerade noch neues Equipment für 300 Euro gekauft und mit dem Einkommen der nächsten Wochen gerechnet“, sagt Fernando. „Jetzt fällt erst mal die Existenzgrundlage weg.“

Deliveroo selbst war am Montagnachmittag für eine telefonische Stellungnahme nicht zu erreichen. In der E-Mail an die Fahrer*innen, die der taz vorliegt, heißt es: „Als Geste des guten Willens würden wir dir gerne folgende Entschädigungszahlungen anbieten.“ Diese umfassen eine einmalige Zahlung in Höhe von zehn Tagesvergütungen und eine Zwei-Wochen-Vergütung, die lediglich ausgezahlt wird, wenn ein Brief unterschrieben wird, der die Fahrer*innen in den nächsten Tagen erreichen soll. Klar ist hingegen: Diese beiden „freiwilligen Zahlungen“, wie Deliveroo es nennt, werden berechnet auf Basis der durchschnittlichen Vergütung in den 12 Wochen bis zum 3. August. In anderen Worten: Wer in dieser Zeit Urlaub hatte, krank war oder von der Flexibilität des Arbeitsverhältnisses Gebrauch gemacht hat, geht leer aus.

Nur aktive Fahrer*innen werden entschädigt

Denn: Deliveroo setzt auf den Einsatz von Freelancer*innen. „Das ist jetzt besonders ärgerlich“, sagt Christoph Schink von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) zur taz. Die NGG kritisiere dieses Modell bereits seit Jahren: „Das ist ein Geschäftsmodell, das auf Selbstausbeutung beruht“, sagt Schink. Die Kündigungsfristen seien kurz, Absicherungen durch die freiberufliche Beschäftigung kaum vorhanden. „Die Leute auf den Straßen kommen als letzte in der Nahrungskette.“

Nachdem Rivale Lieferando die Dienste Lieferheld, Foodora und Pizza.de geschluckt hatte, war Deliveroo der einzige Konkurrent geblieben. Bereits 2018 wurde das Angebot reduziert: aus 15 deutschen Städten wurden fünf. Im März 2019 kündigte Deutschland-Chef Ross nach dem Einstieg von Amazon überraschenderweise an, man werde wieder expandieren.

Nun zieht sich Deliveroo also vollständig zurück: Wie das Unternehmen mitteilte, sei das Geschäft in anderen europäischen Ländern sowie in der Asien-Pazifik-Region derzeit deutlich lukrativer. Fernando wird jetzt Bewerbungen schreiben. „Jetzt sind in Hamburg alle meine Kolleg*innen und ich auf Jobsuche, auf einem Schlag, mit Existenzdruck im Nacken“, sagt er. „Das ist schon bedrohlich, mal sehen was nächsten Monat mit Miete so geht.“

Auch die Kund*innen sollten handeln. Das Guthaben wird zwar zurückerstattet, die Daten bleiben allerdings in der Hand von Deliveroo. Wer das verhindern möchte, sollte eine E-Mail aufsetzen und das Konto löschen.

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9 Kommentare

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  • Kann es sein, dass Freelancer nicht arbeitslos sind, sondern eben nur keine Aufträge mehr bekommen?

    Das Modell der Gig-Economy setzt ja gerade darauf, dass keine Arbeitsverhältnisse im Sinne einer Anstellung existieren. Ausbeutung durch angebliche Selbständigkeit, wo die Plattform nur als Makler auftritt.

    Euphemistisch nennt man das dann Teilen - Gewinn für die Plattform, Risiko für die anderen.



    Vulgo: Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste.

    Wenn eine Plattform wegfällt, ist es kein Verlust.

  • Naja, die Kunden bleiben. Die bestellen jetzt beim einzigen verbliebenen Anbieter. Folglich wird der mehr Personal brauchen.



    Und dann würde ich von der NGG noch gerne wissen, wieso 10-13 Euro die Stunde Selbstausbeutung sein sollen. Als Vollzeitjob sicher mies. Aber unter den Teilzeitoptionen sicherlich nicht das schlechteste. Und auch Vollzeit verdienen viele nicht mehr. Das wäre grundsätzlich zu kritisieren, aber wieso hier im Speziellen?

    • @LeSti:

      "Und dann würde ich von der NGG noch gerne wissen, wieso 10-13 Euro die Stunde Selbstausbeutung sein sollen."

      Weil Selbständige davon auch Krankenkasse ect. bezahlen müssen. Dazu kommen in diesem Fall noch Rad, Smartfon und andere Ausrüstung. Unterm Strich bleibt weniger als der Mindestlohn.

    • @LeSti:

      Vollzeitanstellung=Auszahlung+Sozialleistungen, Krankenkassenanteil und und und.



      Die Fahrer hier kriegten 10-13 Euro. Ende. Krankenkasse, Rente, Steuern etc. gehen davon ab. Capisce?

  • Ein Problem mit ungesunden Nahrungsmitteln weniger.

    • @Age Krüger:

      DAS war nicht das Problem bei Deliveroo.

  • Einige Fahrer erfuhren es erst heute, das am Freitag der letzte Tag sein soll.



    Wir von Radkurier24 (ein Kollektiv an selbstständigen Fahrradkurieren haben uns darüber auch Gedanken gemacht). Weil wir für MEHR Gerechtigkeit und Autonomie der Radkuriere sind.



    Auf Radkurier24.com findet daher der Kontakt direkt zwischen Endkunden und Kurier statt, jeder Fahrer erhält den kompletten Gewinn ohne Provisionsabgabe und ohne Zwischenschaltung etwaiger Dritter. Das ist nachhaltig, fair aber vor allem direkt.

    Grüße an alle Deliveroo Rider – ihr könnt euch uns gerne anschließen….

    Martin Radkurier24.com

  • Lächerlich, ein Modell wie Deliveroo als tolle Existenzgrundlage im Nachhineinn zu betrauern. Wir können froh sein, dass Deutschland einen der neoliberalen Sargnägel unserer Gesellschaft weniger hat. Vielleicht wird es jetzt wieder ein paar echte Gastronomiejobs geben, oder Chancen für einen Fahrradkurier-Kollektivbetrieb.

    • @Khaled Chaabouté:

      Volle Zustimmung