Russische Grenze in Südossetien: Die stille Eroberung

Russland weitet seine Grenze Stück für Stück in georgisches Staatsgebiet aus. Eine Beobachtungsmission der EU ist vor Ort, darf aber nicht handeln.

Demonstranten, eine Frau hält ein Transparent auf dem steht: We remember georgia 2008 Ukraine 2014

In Georgien ist die Angst vor dem Einfluss Putins groß Foto: dpa

Vielleicht erinnert sich noch jemand an die Causa „Maschendrahtzaun“ – einen Streit zwischen den Besitzern zweier benachbarter Grundstücke in der sächsischen Ortschaft Meerane Anfang der nuller Jahre.

Doch was im sächsischen Fall als Provinzposse durchgeht, ist für die Südkaukasusrepublik Georgien zu einer existenziellen Frage geworden. Vor allem für die Menschen, die an der Demarkationslinie zu der abtrünnigen Republik Südossetien leben. Auch hier geht es um Zäune und Abgrenzung – um Macht- und Gebietsansprüche zwischen verfeindeten Nachbarn eben. „Borderisation“ wird dieses Phänomen genannt – eine Umschreibung für die Tatsache, dass sich die Grenze immer weiter in georgisches Staatsgebiet hineinfrisst.

Jüngstes Beispiel ist das Dorf Gugutiantkari, das im August quasi über Nacht durch die Installierung von Stacheldraht zweigeteilt wurde. Wieder einmal verloren GeorgierInnen ihr gesamtes Hab und Gut. Sie stehen damit nicht nur vor den Trümmern ihrer Häuser, sondern ihrer gesamten ohnehin schon prekären Existenz – gar nicht zu reden von dem großen menschlichen Leid, das mit dieser Entwicklung einhergeht. Und das alles passiert nicht erst seit gestern.

Im August 2008 kam es zwischen Russland und Georgien zu einem fünftägigen Krieg um Südos­setien – eine nach Unabhängigkeit strebende Region mit knapp 55.000 Einwohnern, die anderthalb mal so groß wie das Saarland ist. Maßgeblich mitverantwortlich für den bewaffneten Konflikt mit schätzungsweise 850 Toten und über 100.000 Geflüchteten zeichnete der damalige georgische Präsident Michail Saakaschwili.

Der Kamikaze-Politiker war fest entschlossen, Südossetien wieder georgischer Kontrolle zu unterstellen. Dabei ging er in kompletter Verkennung der Realitäten davon aus, auf die Unterstützung der USA setzen zu können. Ein Sechs-Punkte-Plan unter Vermittlung der EU beendete den Waffengang. Der Plan sieht unter anderem vor, dass sich die russischen Streitkräfte auf die Linien vor Beginn der Feindseligkeiten zurück ziehen.

Doch wie schon im Falle der Krim sowie des Donbass schert sich Russland, das die Unabhängigkeit Südossetiens anerkannt hat, auch in Georgien keinen Deut um das Völkerrecht

Doch wie schon im Falle Transnistriens und später der Krim sowie des Donbass schert sich Russland, das die Unabhängigkeit Südossetiens anerkannt und dort Truppen stationiert hat, auch in Georgien keinen Deut um das Völkerrecht und internationale Vereinbarungen. Seit 2009 schaffen russische Soldaten mithilfe ihrer südossetischen Handlanger in gewohnt menschenverachtender Manier Fakten und lassen die Grenze wandern. GeorgerInnen, die die langsam zu einer befestigten Grenze mutierende, unklar verlaufende, Demarkationslinie übertreten – und sei es nur, um eine entlaufende Kuh wieder einzufangen oder Gräber von Angehörigen zu besuchen – werden festgenommen. Wer Glück und zahlungskräftige Verwandte hat, kann ausgelöst werden. Vor einigen Jahren kam ein Georgier, der mutmaßlich gefoltert worden war, in südossetischer Haft zu Tode. Es bedurfte mehrwöchiger Verhandlungen auf diplomatischer Ebene, bis die Leiche herausgegeben wurde.

Und was tut der Westen angesichts von Willkürherrschaft und Menschenrechtsverletzungen, die fast vollständig unter dem Radar der internationalen Öffentlichkeit ablaufen? Er schaut zu – im wahrsten Sinne des Wortes. Seit einem Jahrzehnt beobachtet eine Friedensmission der Europäischen Union mit Ferngläsern das Geschehen an der Demarkationslinie. Doch ohne Zugangsmöglichkeit zu Südossetien, ohne Mandat und lediglich beauftragt, etwaige Vorfälle zu dokumentieren, ist sie auf verlorenem Posten.

Diese Ohnmacht macht sich Moskau zunutze, um seine Politik in den ehemaligen Sowjetrepubliken durchzuziehen. Deren Prinzipien sind so absolut wie schlicht und durchsichtig: Konflikte, wie um Südossetien, maximal am Köcheln zu halten und innen- und außenpolitische Instabilität zu produzieren. Mit dem erwünschten Nebeneffekt, Beitrittsbestrebungen zu EU und Nato zu torpedieren, wenn nicht sogar zunichte zu machen. So versucht der Kreml seinen Einfluss in der Region zu zementieren.

Der Softpower etwas entgegnen

Wie dieses Vorgehen bei den Menschen in Georgien ankommt und es um die russisch-georgischen Beziehungen bestellt ist, war im vergangenen Juni zu besichtigen. Nachdem sich der russische Duma-Abgeordnete Sergej Gawrilow im Rahmen einer Delegationsreise auf dem Sessel des georgischen Parlamentspräsidenten breit gemacht hatte, kam es zu mehrtägigen, teils gewaltsamen, Protesten im Zentrum von Tiflis.

Georgien sind die Hände gebunden. Zwar ist die „Borderisation“ – allen anders lautenden Beteuerungen von Unterstützern des Putin-Kurses zum Trotz – zweifellos ein fortlaufender Angriff auf die Souveränität und territoriale Integrität des Landes. Dennoch kann eine Eskalation nicht in Tiflis’ Interesse sein. Vielmehr gilt es, der Softpower Russlands, die sich in Drohgebärden und Gewalt gegenüber seinem Nachbarn erschöpft, etwas zu entgegnen. Studien- und Bildungsangebote sowie kostenlose medizinische Behandlung für die südossetische Bevölkerung sind ein kleiner, jedoch wichtiger Schritt der Regierung in die richtige Richtung.

Doch das wird nicht reichen – genauso wenig, wie die teilnehmende Beobachtung der westlichen Staatengemeinschaft. Das Mindeste, was sie tun muss, ist, die Politik Russlands gegen Georgien als Thema in der Öffentlichkeit präsent zu halten und als das zu benennen, was sie ist: ein offen aggressiver Akt unter Verstoß gegen internationale Normen.

Zudem braucht es materielle Unterstützung für die Menschen, die Opfer dieser Moskauer Muskelspiele werden. Doch es geht um mehr. Die Stabilität einer ganzen Region könnte auf dem Spiel stehen. Vielen scheint Georgien derzeit noch weit weg zu sein. Das könnte sich schnell ändern.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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