Von den Kämpfen mit Dämonen

Ein halbes Jahrhundert lang hat Toni Morrison den Rassismus in den USA angeklagt. 1993 brachte ihr das den Literaturnobelpreis ein – als erster Afroamerikanerin überhaupt. Jetzt ist die Autorin 88-jährig gestorben

Schreiben wie niemand anders: Toni Morrison 2015 bei der Arbeit Foto: Natan Dvir/Polaris/laif

Von Katrin Bettina Müller

Als Toni Morrison 1993 den Nobelpreis für Literatur zugesprochen bekam, war das eine „kleine inneramerikanische Sensation“, wie die damalige taz-USA-Korrespondentin Andrea Böhm schrieb: „Dieses Land wird nicht alle Tage dazu gezwungen, auf eine schwarze Frau, eine Schriftstellerin, stolz zu sein.“ Mehr denn je wünscht man den USA, ihre afroamerikanischen Künstler als innersten Teil ihrer Kultur zu schätzen.

Toni Morrison ist tot. Die 1931 in Ohio geborene Schriftstellerin starb am Montagabend mit 88 Jahren in New York. Die Tochter eines Stahlarbeiters besuchte als erste Frau der Familie ein College und war 1953 mit einem Universitätsabschluss in Englisch eine große Ausnahme in den USA. Ihre Eltern und Großeltern hatten noch lebensgefährliche Konfrontationen mit weißen Rassisten in Alabama erlebt. Ihre Romane zu lesen ist fordernd. Wer spricht, wo befinden wir uns? Man kämpft um Ausblick, um Orientierung, etwas stemmt sich gegen das einfache Verstehen, bis man merkt, mit dieser Empfindung schon ganz nah herangerückt zu sein an das, was die Erzählenden drückt, was die Protagonisten einengt, was ihren Blick verstellt.

„Sehr blaue Augen“ 1970: Toni Morrisons erster Roman handelt von einem afroamerikanischen Mädchen, das aufgrund von rassistischer Diskriminierung einen Minderwertigkeitskomplex um ihre Hautfarbe entwickelt.

„Sula“ 1973: Sula lebt in einer afroamerikanischen Nachbarschaft nach ihren eigenen Vorstellungen. Für ihre vermeintliche sexuelle Freizügigkeit wird sie aus der Gemeinschaft ausgegrenzt.

Jazz“ 1992: Harlem in den 1920er Jahren. Aus der Perspektive verschiedener Figuren erzählt Morrison mit der Call-und-Response-Technik des Jazz die Geschichte der Afroamerikaner Violet und Joe Trace. (taz)

Und dann lässt einen das Erzählen von Toni Morrison nicht mehr los. Gepackt von den Stimmen will man mit ihnen ins Freie. Ihre Geschichten wachsen beim Lesen, sie verändern sich, schlagen neue Richtungen ein. Oft liest man auch voller Angst im Herzen. Es ist nicht immer leicht auszuhalten.

Sie war eine große Erzählerin, die nicht nur über Rassismus und Ausgrenzung schrieb, sondern vor allem auch von den inneren Verwüstungen der davon Getroffenen. Vom Kampf mit dem Selbstbild, von der Schwierigkeit, stolz auf sich selbst zu sein und sich als Person annehmen zu können. Die Scham und das Schweigen der Gedemütigten, das Nichtredenkönnen, die Sprache verlieren machte einen großen emotionalen Teil ihre Romane aus.

„Gnade“ – „Menschenskind“ – „Jazz“ – „Paradies“ – „Heimkehr“ – jeder Roman packte von Neuem auch mit den Widersprüchen der Figuren. Was sie erlitten, machte sie auch grausam. Toni Morrison erzählte von Sklavinnen und Sklavenhaltern, von freigelassenen Sklaven und verkauften Kindern, von Müttern, die ihre Kinder nicht in dieser Welt leben lassen wollen, von jungen Städtern und Musikern, und jede Figur war immer weit entfernt vom Klischee. Beim Versuch, sich rauszustrampeln aus einengenden Verhältnissen, aus vorbedachten Rollen laufen sie auch in bösartige Fallen, erzeugen Missverständnisse und kämpfen mit Dämonen.

Sie war eine große Erzählerin, die nicht nur von Rassismus und Ausgrenzung schrieb, sondern auch von den inneren Verwüstungen

Und wenn es dabei meistens um ein Kapitel afroamerikanischer Geschichte ging, dann auch in dem Wissen, dass dieser Teil Amerikas noch immer zu selten erzählt wird und im Kanon nicht genug sichtbar ist.

Toni Morrison sorgte nicht nur mit ihren eigenen Romanen für die Etablierung der afroamerikanischen Literatur. Sie arbeitete auch als Verlagslektorin 16 Jahre lang für Random House (1967 bis 1983), und sie lehrte bis 2006 an der Princeton University.