Identitäre unter Beobachtung: „Die geistigen Brandstifter“

Der Verfassungsschutz stuft die Identitären nun als klar rechtsextrem ein und will sie künftig beobachten. Dort fürchtet man bereits ein Verbot.

Identitäre mit Fahne auf einer Demonstration

Bald Schluss mit Aufmarschieren? Die Identitären geraten unter Druck Foto: dpa

BERLIN taz | Der Verfassungsschutz holt nach der Teilbeobachtung der AfD zum nächsten Schlag gegen die neurechte Szene aus: Ab sofort stuft der Geheimdienst die „Identitäre Bewegung“ als klar rechtsextrem und als offiziellen Beobachtungsfall ein. Die Gruppierung kann nun mit allen nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden.

„Der Bundesverfassungsschutz steht fremdenfeindlicher und demokratiefeindlicher Ideologie nicht tatenlos gegenüber“, sagt Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang. Sein Amt habe auch diejenigen im Blick, „die verbal zündeln“. „Diese geistigen Brandstifter stellen die Gleichheit der Menschen oder gar die Menschenwürde an sich infrage, reden von Überfremdung, erhöhen ihre eigene Identität, um andere abzuwerten, und schüren gezielt Feindbilder.“

Der Verfassungsschutz hatte die Identitären bereits Mitte 2016 als „Verdachtsfall“ eingestuft, aktuell rechnet er ihnen 600 Mitglieder zu. Das Timing für die jetzige Einstufung als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ kommt wohl nicht zufällig: Seit dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke steht der Verfassungsschutz in der Kritik, seinen Blick zuletzt zu wenig auf den Rechtsextremismus gerichtet zu haben.

Hip, jung, intellektuell – und doch klar rechtsextrem

Die Identitären, ursprünglich in Frankreich entstanden, tauchten 2010 erstmals in Deutschland auf. Die Gruppe gibt sich einen betont modernen Anstrich – hip, jung, intellektuell. Von Gewalt distanzieren sich die Identitären offiziell. Vielmehr setzen sie auf medienwirksame Aktionen: Die Identitären besetzten das Brandenburger Tor, kletterten auf die SPD-Zentrale oder versuchten mit einem Boot im Mittelmeer Flüchtlingshelfer zu behindern.

In Halle unterhalten sie gar ein eigenes Hausprojekt. In der Stadt mobilisiert die Gruppe aktuell für den 20. Juli auch zu einer schon länger geplanten Demonstration.

Ideologisch aber bleiben die Identitären dem Rechtsextremismus verhaftet. Ihr Konzept ist der Ethnopluralismus: Man achte zwar jede Ethnie und Kultur – aber nur da, wo sie hingehört. Dazu kommt die Forderung einer „Remigration“, der Ausweisung von Migranten. Zum Feindbild wird vor allem der Islam erklärt, der in Europa angeblich einen „Großen Austausch“ plane, die Verdrängung der angestammten Bevölkerung.

Eine Verletzung der Menschenwürde

Für den Verfassungsschutz sind all dies Verstöße gegen das Grundgesetz. Die Identitären zielten darauf, Menschen mit außereuropäischer Herkunft von demokratischer Teilhabe auszuschließen und ihre Menschenwürde zu verletzen, heißt es dort. Menschen ohne gleiche ethnische Voraussetzungen könnten für die Identitären niemals Teil einer gemeinsamen Kultur sein. Multikulturalismus gelte für diese als „kulturvernichtend“.

In Verruf gerieten die Identitären zuletzt auch nach dem Attentat eines Rechtsextremen auf zwei Moscheen mit 51 Toten im März im neuseeländischen Christchurch. Der Angreifer hatte sein Bekennerschreiben mit „Der Große Austausch“ übertitelt und zuvor Geld an den österreichischen Identitären-Chef Martin Sellner gespendet.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte die Identitären bereits vor wenigen Tagen als „geistige Brandstifter“ bezeichnet. Auch wenn diese noch nicht zur Gewalt griffen, seien sie „nicht minder gefährlich“. Zudem gab es zuletzt Hausdurchsuchungen gegen Identitären-Mitglieder in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen – wegen Vorwürfen der Volksverhetzung und Sachbeschädigung.

Die Identitären befürchten inzwischen ein Verbot ihrer Gruppe. Seehofer wolle „junge Patrioten zum Schweigen bringen“, klagt die Gruppe. Die Stimmungslage um den Lübcke-Mord werde „instrumentalisiert“, man komme „totalitären Zuständen stetig näher“. Tatsächlich hatte Seehofer nach dem Lübcke-Mord erklärt, sein Ministerium lasse derzeit Verbote von rechtsextremen Gruppierungen prüfen.

Fester Teil eines neurechten Netzwerks

Als rechtsextremistischen Verdachtsfall führt der Verfassungsschutz seit Jahresbeginn auch den „Flügel“, das Rechtsaußen-Sammelbecken der AfD, und den Jugendverband der Partei. Hier indes wird eine Entscheidung über eine volle Beobachtung noch dauern. Verfassungsschutzchef Haldenwang hatte bereits seit seinem Amtsantritt im November 2018 erklärt, ein stärkeres Augenmaß auf den Rechtsextremismus im Land legen zu wollen.

Indes: Auch zur AfD unterhalten die Identitäre beste Kontakte. Einige Aktivisten sind Teil der Parteijugend, andere arbeiten für AfD-Abgeordnete. Und Hans-Thomas Tillschneider, Landtagsabgeordneter aus Sachsen-Anhalt, hatte früher wiederum ein Büro im Identitären-Haus in Halle.

All dies ist Ausdruck eines gewachsenen neurechten Netzwerks: Die AfD bespielt dabei den parlamentarischen Raum, das Institut für Staatspolitik um den Vordenker Götz Kubitschek baut ideologisch vor, das Rechtsaußen-Magazin Compact bespielt die Öffentlichkeit, der Verein „Ein Prozent“ organisiert Protest – und die Identitären versuchen diesen mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen umzusetzen. Zumindest Letztere geraten nun unter Druck.

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