Doku über Heimkino im NS: Einfach mal laufen lassen

In der ZDF-Doku „Privatfilme aus der NS-Zeit“ schimmert Stoff durch, der enormes Potenzial hat. Doch die Präsentation fällt dürftig aus. Schade.

Marion Burscher aus Berlin-Schönefeld streichelt ihre Karte

Bilder wie dieses aus der Zeit des Nationalsozialismus sind in der ZDF-Doku zu sehen Foto: ZDF

Selten sieht man eine historische Reportage zur Hauptsendezeit so scheitern – und bedauert dabei, dass es so gründlich schiefgeht. Denn die Versuchsanordnung der 45-minütigen ZDF-Doku „Privatfilme aus der NS-Zeit“ leuchtet ein: Material von Hobbyfilmern, die sich den teuren Farbfilm leisten konnten, den es ab 1936 gab, lässt den Alltag im Nationalsozialismus unmittelbarer wirken. Für uns, heute.

„Da wird die Brücke durch die Zeit geschlagen“, sagt die Historikerin Isabel Heinemann im Film, das helfe, sich selbst zu fragen: „Hätten wir das nicht auch großartig gefunden?“ Eine Rampe zur Identifikation also, zum Vergleich, zum Abtasten, angesichts der Normalität des Rechtsextremismus in unserer Gegenwart.

Allein, diese Momente lässt Filmemacher Jörg Müllner gar nicht erst entstehen: Die Szenen werden permanent zugequatscht, zerschnitten, hechelnd aneinandergereiht, abgebrochen, mit dem Sound unheilvoller Streicher und Pauken zugegossen. Es ist ein Jammer – denn das Rohmaterial existiert ja, wie er uns vorführt: jene Dokumente, die eine unheimliche Nähe, einen Einblick in die Normalität hinter den allzu bekannten Bildern zulassen.

Denn wie stark dieser Stoff wirken könnte, schimmert in raren Augenblicken durch. Etwa die Schnipsel der Hochzeitsreise eines Ehepaars mit dem Faltboot auf der Oder, zwei Wochen vor Kriegsbeginn, quasi entlang des baldigen Frontverlaufs. Sie schneiden sich verliebt Brotscheiben ab und blinzeln in die Sonne, mit Blick auf ein Passagierschiff, das vor Küstrin liegt – schon geparkt als schwimmendes Lazarett. Oder als ein Sohn mit Armbinde nach Hause kommt, die Mutter sich lächelnd über den Stoff beugt, er stolz den rechten Arm in die Kamera streckt. Die Ideologie im Privaten, fern der Wochenschau-Propaganda der Nationalsozialisten.

Was will er denn nun?

Stattdessen vor allem Stirnrunzelmomente. In der Exposition fragt Müllner: „Wird er es schaffen, zu überleben?“ – als sollten wir mit den Nazis und feurig grinsenden Wehrmachtssoldaten mitfiebern, die er uns nun zeigt. Oder, da läuft der Film schon 20 Minuten: „Wer nicht zu dieser Gemeinschaft gehören soll, wird entrechtet und erniedrigt“, und: „An Fasnacht wird die jüdische Bevölkerung verhöhnt“, „Restaurants und Lokale […] sind für Juden verboten“, „In der Nacht zum 9. November werden jüdische Synagogen in Brand gesteckt.“ Ach wirklich?!

Was will Müllner denn nun? Uns ernsthaft zur Primetime im Zweiten die Geschichte der NS-Zeit auf dem Niveau eines Lehrfilms für die Schule erklären? Will er analysieren, was Menschen dazu bringt, sich als Teil einer Gruppe zu fühlen und andere Mitmenschen auszugrenzen? Will er dokumentieren, wie die Nationalsozialisten Farbfilme als Propagandawerkzeug einsetzten und ihre Reichsparteitage entsprechend inszenierten? Bitte, gerne, aber wieso in diesem Film?

Denn auch all dies thematisch Angrenzende packt er in die knappen 45 Minuten, die eine andere Überschrift haben – und lässt dazu sage und schreibe sechs Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Fachgebiete mehrfach meist eher Allgemeines zum Nationalsozialismus erklären.

Dazwischen die Schnipsel verschiedener Filmer und ihrer Familien, aus Bremen, Lahr, Leipzig, Bühl, Mainz, Stuttgart, Speyer, hier noch fix einen Kraft-durch-Freude-Ausflug in die Berge, Erschießungsszenen, die im Eichmann-Prozess als Beweismittel dienten. Zu viel von allem, als dass dieses Rohmaterial auch nur ansatzweise die in ihm verborgene Kraft entfalten könnte.

Dabei ist derlei nicht zum ersten Mal zu sehen. Es gibt einen „Spiegel TV“-Film mit ähnlichem Ansatz von 2004 oder den ARD-Zweiteiler „Das Land der Täter“ von Jan N. Lorenzen von 2017 (Wiederholung: 19. + 26. 8., je 23.30 Uhr). Beide haben die Auswertung des Farbmaterial von Hobbyfilmern jener Jahre für den SWR beziehungsweise MDR auf regionale Versionen runtergebrochen.

„Wir im Krieg. Privatfilme aus der NS-Zeit“, ZDF, 20.15 Uhr.

Einfach mal laufen lassen. Die Menschen sein lassen, wie sie sich selbst gedreht haben. Ohne Erklärgequatsche. Ohne extra angefertigte Alltagssounds. Ohne alberne Klischeemusik, die immer bedeutet: Obacht, hier geht es um die NS-Zeit. Es gehe darum, zu zeigen, heißt es im Film, wie sich damals „Politik und Privatleben vermischen“, wie Menschen „beginnen, in neuen Kategorien über sich nachzudenken“. Schöne Idee eigentlich. Vielleicht könnte jemand mal einen solchen Film machen. Gerne auch mit Alltagsfilmstoff von jenen, die keine strammen Nazis waren.

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