debatte: Erschreckend ideenlos
Bioökonomie könnte die Zukunft sein, wenn man es richtig macht. Doch was die Bundesregierung bisher plant, hat kein Konzept und vor allem kein Ziel
HeikeHoldinghausen
schreibt in der Redaktion Wirtschaft + Umwelt über Rohstoffthemen, weshalb ihr die Zielkonflikte der Bioökonomie fortwährend begegnen. Buchveröffentlichungen unter anderem „Dreimal anziehen, weg damit“ oder „Uns stinkt’s. Was jetzt für eine zweite ökologische Wende zu tun ist“.
Holz statt Öl als Rohstoff für Kunststoff. Algen, die Kraftstoffe, Bakterien, die Medikamente produzieren. Das Konzept einer Industriegesellschaft, die ihre Rohstoffe überwiegend aus biologischen Prozessen bezieht – aus Pflanzen, Tieren, Bakterien, Pilzen –, berührt viele brennenden Probleme wie das Schwinden der Arten, das neue Waldsterben oder gentechnikfreie Nahrungsmittel. Eine biobasierte Wirtschaft kann Teil der Lösung dieser Probleme sein – oder sie immens verschärfen.
Zwar führt die Bioökonomie noch immer ein Nischendasein in einer Welt nach wie vor billigen Erdöls. Aber die chemische Industrie steht längst in den Startlöchern für eine Rohstoffwende. In biotechnologische Forschung investieren BASF, Bayer und Co viel Geld, wenn auch nicht unbedingt in Deutschland. Entsprechend ist es richtig, dass auch die Bundesregierung sich des Themas annimmt und ihre Politik auf diesem Feld in einer „Bioökonomiestrategie“ zusammenfasst.
Zwar liegt die Strategie bislang nur als Referentenentwurf vor; sie wird in den beteiligten Ministerien auf Fachebene diskutiert und sich wohl noch ändern. Trotzdem ist dieser Entwurf wichtig, denn darin versuchen die für Forschung und Landwirtschaft zuständigen Ministerien, Zukunft zu beschreiben. Und offenbaren, dass sie von ihr keinerlei Begriff haben. Die Strategie zeigt, dass zwei zentrale Ministerien unter einer „nachhaltigen Zukunft“ nicht mehr als eine Art „Weiter so wie bisher, nur irgendwie ohne Klimakrise und Artensterben“ verstehen. Angesichts des Handlungsdrucks ist das ein erschreckender Mangel. Dafür drei Beispiele:
Die Strategie erwähnt an verschiedenen Stellen, wie grundlegend wichtig Wissen über biologische Prozesse und Zusammenhänge für eine erfolgreiche und nachhaltige Bioökonomie sei. Wissenschaftlern müsse es möglich sein, „auch vollkommen neuartige Zukunftstechnologien oder Sprunginnovationen zu generieren“, dazu müssten sie auch den Freiraum haben, ungewohnte Pfade einzuschlagen. Das Wort „Gentechnik“ aber taucht an keiner Stelle explizit auf, obwohl es zwischen jeder Zeile schwebt. Folgerichtig fordert die Industrie, den Begriff aufzunehmen. Die Umwelt- und Entwicklungsverbände hingegen vermissen eine klare Positionierung gegen die Gentechnik in Agrar- und Forstwirtschaft.
Nun könnte man unterstellen, die Autoren des Entwurfs wollten nur einer brenzligen öffentlichen Diskussion aus dem Weg gehen und zu solch einem frühen Zeitpunkt niemandem auf die Füße treten. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass sie keine gemeinsame Vorstellung von einer nachhaltigen Land- und Forstwirtschaft von morgen haben. Lässt sich das UN-Ziel, den Hunger auf der Welt zu beseitigen, am besten im Rahmen der heutigen Wirtschaftsordnung lösen? Wer dieser Meinung ist, setzt auf forschungsstarke, reiche Konzerne, die trockenresistente Pflanzen für arme Länder des Südens designen. Oder müssen sich die Macht- und Handelsstrukturen verändern, damit Bauern sich selbst versorgen können? In die Bioökonomiestrategie lässt sich beides hineinlesen – also nichts.
Zweites Beispiel: Der Entwurf zählt solide die Herausforderungen auf, die die Bioökonomie durch einen verstärkten Druck auf die Flächen der Land- und Forstwirtschaft bedeutet. Schon heute ist vor allem die industrielle, effizienzgetriebene Landwirtschaft maßgebliche Ursache für das Sterben von Tieren und Pflanzen, für den Verlust der Biodiversität sowohl von Wildtieren und -pflanzen als auch von Nutztieren und -pflanzen.
Erstaunlicherweise kommt der Entwurf dann aber zu dem Schluss, die „Bewirtschaftung von Brachflächen, Bergbaufolgeflächen oder Grenzertragsstandorten“ könne den Flächendruck mindern. Dabei gelten gerade diese Flächen bislang als Rückzugsorte für Arten, die es in der überdüngten, ausgeräumten Landschaft sonst schwer haben. An dieser Stelle eröffnet die Bioökonomiestrategie eine beängstigende Perspektive: Auch die letzten Moore, Wiesen und Wälder werden in landwirtschaftlich produktive Standorte umgewandelt, um der Industrie Rohstoffe zu liefern. Für den Artenschutz wäre das der GAU, denn der braucht nicht mehr, sondern weniger Effizienz auf dem Land.
Drittes und gewichtigstes Beispiel: In dem Text fehlt auch nur der Versuch, eine Obergrenze für die Ressourcen, die die Natur und natürliche Organismen der Industrie bereitstellen können, zu umreißen. Auch hier bietet er alles und nichts. Er greift zwar „Zielkonflikte“ auf, die sich „hinsichtlich Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz“ ergeben können. Doch benennt er nicht, welche Konsequenzen sich aus ihnen ergeben. Welchen Folgen hat die stärkere Nutzung von Holz auf den Naturschutz und den ökologischen Waldumbau? Wie vertragen sich die geforderten Bioraffinerien im ländlichen Raum – die in großindustriellem Maßstab arbeiten – mit der Biodiversität von Nutzpflanzen? Die Ministerien gewichten die Probleme nicht, sie versuchen nicht einmal, Antworten zu geben. So vage bringt der Entwurf die Diskussion über eine nachhaltige Bioökonomie keinen Schritt weiter.
Sowohl die Unternehmen als auch die BürgerInnen haben ein Recht auf Antworten auf all diese Fragen, die der Entwurf der Bundesregierung aufwirft. Nicht nur, weil hier die Industriegesellschaft von morgen mit vorbereitet wird, in der unsere Kinder einmal leben werden. Sondern weil auch und gerade biogene – nachwachsende – Rohstoffe kostbar und knapp sind.
Es wird sich vieles ändern müssen. Eine auf „Wachstum und Wohlstand“ im bisherigen Sinne – für fast jeden Zugang zu einem Auto, täglich ein Schnitzel und jährlich eine Fernreise – ausgerichtete Bioökonomie kann nicht nachhaltig sein. Nicht zuletzt wäre diese Erkenntnis auch als Grundlage für das angekündigte Klimagesetz ganz hilfreich.
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