Gesetze fürs Internet: Facebook ruft nach Mama Staat

Wenn Facebook selbst Regulierung fordert, muss man argwöhnisch werden. Oder man versucht zu verstehen, was dahintersteckt.

Der Gründer von Facebook, Mark Zuckerberg, spricht auf einer Bühne

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg sagt: Es muss mehr Regulierung im Internet geben! Foto: ap

Nick Clegg war mal britischer Vize­premierminister, heute ist er Kommunikationschef von Facebook. Neulich hat der liberale Politiker, dessen Titel offiziell „Vice President of Global Affairs and Communications“ heißt, in Berlin gesprochen und dabei etwas Erstaunliches gesagt. In der Privathochschule Hertie School of Governance sagte Clegg im Juni den Satz: „Facebook will reguliert werden.“

Das mag stutzig machen, ausgesprochen von einem – man könnte sagen – obersten Lobbyisten eines Unternehmens, dass sich bislang weitgehend erfolgreich jeglicher staatlichen Regulierung entzieht. Kurz zuvor hatte sich auch schon Facebook-Chef Mark Zuckerberg in eine ähnliche Richtung geäußert. In einem Gastbeitrag vom April, den Zuckerberg unter anderem in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und in der Washington Post veröffentlichte, appellierte der Gründer: Er sei davon überzeugt, „dass anstelle nationaler Regulierungen ein gemeinsamer globaler Rahmen notwendig“ sei, um eine Fragmentierung des Internets zu verhindern. Nick Clegg wurde in Berlin konkreter, forderte klare Regeln durch nationale Regierungen und konnte sich sogar eine Digitalsteuer vorstellen.

Was ist da los? Facebook, die Plattform, die eine Art virtueller öffentlicher Raum für rund ein Drittel der Weltbevölkerung ist, die aber trotzdem weitgehend außerhalb von staatlich regulierten Territorien existiert. Dieser Konzern, der sich nie hat reinreden lassen, der selbst entscheidet, was gesagt werden darf, was Privatsphäre ist und wo die Grenzen des Persönlichkeitsrechts liegen. Der mehr Daten erhebt als jeder Zensus, diese aber nicht herausrückt. Der jetzt sogar vorbei an allen Zentralbanken die Digitalwährung Libra aufbauen will – dieses Facebook schreit also nach staatlicher Regulierung?

In der Politik ist man argwöhnisch gegenüber dieser „Charme-Offensive“, wie Linken-Parteivorsitzende Katja Kipping die aktuelle Volte von Facebook nennt. Im Gespräch mit der taz sagt Kipping, die Vorschläge seien Teil einer Kampagne, „die eine ernsthafte Begrenzung von Facebooks Monopolmacht verhindern soll“. Kipping, die sich schwerpunktmäßig mit Digitalisierung beschäftigt, warnt vor den Bestrebungen des Konzerns, staatliche Daseinsvorsorge an sich zu reißen. Die Währung Libra etwa. Die solle durch „kurz laufende Staatsanleihen gedeckt werden. Das bedeutet, dass Facebook schnell zu einem der größten Gläubiger einiger Staaten werden könnte.“

Regulierungen werden unausweichliche Realität

Also alles nur ein Ablenkungsmanöver? Nicht ganz, findet Philipp Staab, Professor für „Soziologie der Zukunft der Arbeit“ an der Humboldt-Universität in Berlin. Staab beschäftigt sich mit Technikforschung, Digitalisierung und Arbeitssoziologie. Er hält den Wandel bei Facebook insofern für glaubwürdig, als der Konzern sich klare Regeln wünsche. „Das würde Ruhe ins Geschäft bringen und damit auch der Weiterentwicklung des Unternehmens größere Planbarkeit ermöglichen.“

Denn Regulierung wird allmählich unausweichliche Realität. Wo die Regierungen lange eher hilflos zugesehen und mit den Schultern gezuckt haben, wenn es um Face­book ging, hat sich die Plattformökonomie klammheimlich zu einem politischen Kampfthema entwickelt. Das US-Justizministerium will Facebook, Amazon und andere daraufhin überprüfen, ob sie den Wettbewerb verzerren. Manche erkennen dahinter einen Angriff Donald Trumps, dem der politische Einfluss von Tech-CEOs wie Amazon-Chef Jeff Bezos nicht schmeckt. Aus dem linken US-Spektrum wird derweil gefordert, Konzerne wie Facebook zu zerschlagen, da sie eine Monopolstellung inne­hätten. Präsidentschaftskandidatin Elisabeth Warren ist eine prominente Stimme, die dies fordert.

Und auch bei der Europäischen Union steht Regulierung auf der To-do-Liste. Ursula von der Leyen hat in ihrer Antrittsrede vor dem EU-Parlament versprochen, Internetkonzerne fair zu besteuern (fair aus deren Sicht oder fair aus Sicht der Europäer*innen, das ist zunächst unklar). Und weniger Tage später hat das Portal netzpolitik.org ein Arbeitspapier der EU-Kommission geleakt, in dem von einer Regulierungsbehörde die Rede ist, die dort ein bisschen neunzigermäßig „Joint Cyber Unit“ genannt wird.

Die Kommission äußert sich nicht zu dem Papier, es ist aber klar, dass sich langsam eine regulatorische Umarmung um Face­book zu schließen droht. Und da will der Konzern lieber aktiv mitgestalten, als nur zuzusehen. Das Ergebnis dieser Lobby­arbeit, eine Europäische Richtlinie, dürfte Face­book lieber sein als die unberechenbaren Vorstöße eines Donald Trump oder die Zerschlagungsfantasien der US-Linken.

5 Milliarden US-Dollar Strafzahlung

Dazu kommt, dass Facebook gebeutelt ist von den Sorgen der letzten Jahre. Der Skandal rund um den Datenmissbrauch von 87 Millionen Facebook-Nutzer*innen durch die Analysefirma Cambridge Analytica ist noch nicht endgültig aufgeklärt – eine Strafzahlung von 5 Milliarden US-Dollar, die die Aufsichtsbehörde FTC kürzlich in Form eines Vergleichs angesetzt hat, hat Facebook nach Informationen der Agentur Reuters offenbar jetzt akzeptiert. Ebenso gibt es andauernde Versuche, über Facebook Einfluss auf Wahlen zu nehmen.

Und obendrein verliert es als reines soziales Medium an Bedeutung. „Facebook ist im Nachteil gegenüber anderen Leitunternehmen der Digitalisierung. Nicht nur wegen der öffentlichen Skandale, sondern auch, weil die Firma im Vergleich wenig neue Ideen und Produkte bietet“, so der Soziologe Staab. Mit großen Plänen wie der Digitalwährung oder dem Identifizieren von Personen via Facebook-Account, will sich der Konzern aus dem Loch holen. Das sind aber keinesfalls automatische Erfolgsgeschichten. Es sind unternehmerische Wagnisse, für die der Konzern Planungssicherheit braucht.

Das US-Justizministerium hat am Dienstag eine Ermittlung gegen Plattformkonzerne wegen Wettbewerbsverzerrung angekündigt. Es gehe darum, festzustellen, ob die Internet­riesen stellenweise Monopolstatus hätten. Die Behörde nannte keinen Konzern mit Namen, es gilt aber als sicher, dass unter anderen Facebook und Amazon gemeint sind. Auch die EU-Kommission beschäftigt die Marktmacht von Facebook und anderen Tech­konzernen. Kürzlich hat netzpolitik.org ein Arbeitspapier der Behörde geleakt. Daraus geht hervor, dass die Kommission plant, die veraltete eCom­merce Richtlinie zu reformieren. Die neue Gesetzgebung soll die Plattformen in Sachen Hassrede stärker zur Verantwortung ziehen und eine Aufsichtsbehörde einführen. In Sachen Digitalsteuer, so heißt es in dem Papier, solle die EU aktiv werden, wenn bis 2020 keine weltweite Lösung dafür gefunden ist.

Wie also umgehen mit dem neuen, regulierungsfreundlichen Facebook? Dieter Ja­ne­cek, Grünen-Digitalexperte findet, es sei völlig egal, ob Facebook reguliert werden wolle oder nicht. Janecek ist „Sprecher für digitale Wirtschaft und digitale Transformation“ der Grünen-Fraktion im Bundestag. „Der richtige Rahmen, um solche globalen Monopolisten gesellschaftlich einzuhegen, ist eine entsprechend klare und wirksame Neugestaltung der Spielregeln im EU-Binnenmarkt“, sagt Janecek der taz. „Ein dringend nötiges Update im Steuerrecht, Verbraucherschutz (ePrivacy) und im Wettbewerbsrecht, um endlich den Wirklichkeiten und Besonderheiten der digitalen Platt­form­öko­nomie angemessen begegnen zu können.“

Die Linken-Politikerin Katja Kipping sagt: „Was wir eigentlich bräuchten, wäre eine deutlich Verschärfung des Kartellrechts, das die Marktmacht der großen Digitalplattformen angemessen berücksichtigt. Darüber hinaus bräuchte es endlich eine konsequente Rechtsdurchsetzung und eine angemessene Besteuerung der Digitalkonzerne.“ Wie das dann konkret aussieht, das werden womöglich nun Ursula von der Leyen und die Kommission gemeinsam mit dem Face­book-Lobbyisten wie Nick Clegg aushandeln.

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