: „Zum Leben reicht’s“
Martin L. kommt aus einer Gartendynastie, also lernte auch er Garten- und Landschaftsbau. Er mag seinen Beruf, auch wenn er oft Dinge machen muss, die nicht nach seinem Geschmack sind
Protokoll Susanne Messmer
Der Arbeitsplatz
Private Gärten, Firmengärten, Hinterhöfe. Große Gärten, kleine Gärten, ehrgeizige, gepflegte, wilde, pflegeleichte Gärten. Gärten, die nur einmal besucht werden, und Gärten, die alle zwei Wochen gepflegt werden sollen. Martin L.*, selbstständiger Gärtner mit einem Angestellten, liebt es, nach getaner Arbeit „das Tagwerk zu sehen, das, was man gemacht hat“. Und trotzdem haben Gärtner mehr mit Beton zu tun, als man glaubt, erzählt er gleich als Erstes, mit dem Abriss alter Wege und dem Pflastern neuer zum Beispiel. Darum will Martin L. mehr und mehr weg von seinen Baustellen und eher Richtung Bildung. Er hat schon öfter Gartenworkshops an Volkshochschulen angeboten: zu Themen wie Baumbeschnitt und Trockenmauern zum Beispiel. Manchmal waren auch Kräuterwanderungen in Pankow, Reinickendorf oder Treptow dabei. „Spitzwegerich, Beifuß, Schafgarbe und Vogelmiere: Das sind alles Wildkräuter, die völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind.“ Martin L. verarbeitet diese Kräuter auch privat gern zu Kräutersalz, Kräuterbutter, Pesto oder süßem Brotaufstrich.
Der Mensch
Martin L. wird dieses Jahr 50 Jahre alt, die man ihm trotz lustiger Lachfalten um die Augen und grauer Strähnen in der Kurzhaarfrisur nicht ansieht. Roden, umgraben, harken, hacken, auf hohe Bäume klettern, Äste absägen, zerkleinern, Baumstümpfe ausbuddeln, Platten zerkloppen und Steine verlegen, tagelang auf den Knien rutschen: Das hat Martin L. zäh gemacht. Manchmal wirkt er aber schon auch ein bisschen müde.
Wie alles begann
Martin L. kommt aus einer Gärtnerdynastie, wie er sagt. Sein Vater hatte in Frankfurt am Main eine Friedhofsgärtnerei, die heute von einer seiner Schwestern fortgeführt wird. Auch die anderen Geschwister sind Gärtner geworden. „Nach dem Abi habe ich rumgejobbt, dann Zivildienst gemacht und 1991 ein Jahr lang Umweltanalytik in Wiesbaden studiert, aber das hatte ich mir ganz anders vorgestellt.“ 1993 Beginn der Ausbildung im Bereich Garten- und Landschaftsbau, zunächst in einem größeren Betrieb, dann in einer Kooperative. Nach einem schweren Arbeitsunfall, dem Sturz von einem 20 Meter hohen Baum mit Kettensäge in der Hand, was ihm eine tiefe Schnittwunde am Oberkörper einbrachte: der Entschluss, sich selbstständig zu machen. „Ich habe gedacht, wenn ich so etwas schon mache, dann muss es dafür auch Geld geben.“
Die Arbeitszeit
50 Stunden die Woche inklusive Büro. Im Winter, von Weihnachten bis Anfang April, etwas weniger. „Ich würde aber gern über das ganze Jahr weniger arbeiten, um zum Beispiel in meinem eigenen Garten mehr zu machen.“ Warum? „Da kann ich umsetzen, was mir Spaß macht.“ Zum Beispiel? „Permakultur. Das heißt: Ressourcen und Stoffkreisläufe nutzen, die da sind, die sich dann selbst erhalten und nur noch wenig menschliche Eingriffe brauchen.“ Also ganz praktisch: Wasser auffangen, mulchen, kompostieren, den Rasen einfach mal länger stehen lassen. „Solche Sachen.“
Die Bezahlung
35 Euro die Stunde, allerdings variiert das von Auftrag zu Auftrag, denn für Unkrautjäten kann er nicht dasselbe nehmen wie zum Beispiel für den Bau einer Terrasse. Im Monat kommt er auf 2.500 bis 2.700 Euro brutto. Im letzten Jahr lief es dank Klimawandel besser als sonst. Wegen Hitze und Trockenheit hat er viele Bewässerungsanalgen gebaut. Wegen der Stürme viele Bäume gefällt und entsorgt. Das macht ihm allerdings eher Sorgen: „Es ist erschreckend, wie viel Totholz man in den Bäumen sieht, wie viele Birken schon eingegangen sind.“
Zahlen bundesweit Laut einer Statistik des Zentralverbands Garten e. V. gibt es in Deutschland 702.000 Beschäftigte im Gartenbau. 90.000 davon arbeiten im Einzelhandel, 100.000 im Garten- und Landschaftsbau, 12.000 im Obstbau und 42.000 im Gemüsebau, 22.500 im Zierpflanzenbau, 14.100 in Baumschulen und 12.500 in sonstigen Dienstleistungen, zum Beispiel als Friedhofsgärtner. Der Rest der Menschen sind Hilfskräfte. Im Schnitt verdienen Menschen im Bereich Gartenbau 28.187 Euro im Jahr brutto, das sind 2.348 Euro brutto im Monat, wobei etwa ein selbstständiger Gärtner im Bereich Zierpflanzenbau deutlich weniger Stundenlohn verlangen kann als ein selbstständiger Gärtner im Bereich Garten- und Landschaftsbau.
Zahlen Berlin Laut einer Erhebung der Bundesagentur für Arbeit arbeiteten in Berlin im Juni 2018 nur 4.281 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Menschen im Bereich Garten- und Landschaftsbau in Berlin, Tendenz allerdings steigend (2014 waren es 15,8 Prozent weniger). 25 Prozent der Beschäftigten sind 25 bis 35 Jahre alt. 34 Prozent sind zwischen 35 und 50 Jahre, 27 Prozent zwischen 50 und 60 und 5 Prozent älter als 60 Jahre alt. Der Frauenanteil in der Branche beträgt 21 Prozent.
Weniger Sorgen macht sich Martin L. dagegen um sich selbst. „Zum Leben reicht’s.“ Er hat drei Kinder, von denen zwei nicht mehr im Haushalt leben, die er aber noch unterstützt. Er lebt gemeinsam mit seiner Freundin, die ebenfalls selbstständig und in Vollzeit arbeitet, und dem dritten Kind, das noch in die Grundschule geht, in einer Vierzimmerwohnung in Pankow, hat einen Kleingarten in der Nähe gepachtet, braucht einen Dienstwagen für die Arbeit. Klamotten sind egal, aber das Essen muss stimmen, und einmal im Jahr muss ein größerer Urlaub drin sein. Kürzlich hat er eine kleine Altersvorsorge abgeschlossen, das wird aber kaum ausreichen.
Das Gewissen
Natürlich super!
Nur manchmal findet es Martin L. nicht ganz leicht auszuhalten, dass die Gärten in den Neubaugebieten immer kleiner werden. Und dass sich die Leute durch Hecken und anderen Sichtschutz immer mehr abschotten. Und dass die Gärten, in denen er arbeitet, oft nur noch Statussymbole sind. Martin L.s Auftraggeber sind natürlich eher nicht die Gartenbesitzer, die sich Zeit nehmen können und Gemüse zwecks Selbstversorgung anbauen, sondern eher jene, die gern auf der Terrasse sitzen und ihren „Genussgarten“ bewundern, wo es also vor allem schön blühen soll. Sie lassen den Rasenroboter, die Zeitschaltuhren am Wasserhahn und eben den Gärtner alles machen. So haben sie oft gar keinen Bezug zu ihrem Garten.
Es gibt aber auch Ausnahmen. Ein Kunde hat kürzlich mit viel finanziellem Aufwand seine Wiese im Garten durch Teiche, große Steine, teure Formgehölze und Stauden ersetzt. Das war zwar alles gar nicht nach Martin L.s Geschmack, aber der Kunde interessiert sich trotzdem sehr für alles, was in seinem Garten vor sich geht, und es „macht richtig Spaß, mit ihm über seinen Garten zu reden“. Trends wie Urban Gardening sind schön, sagt Martin L., aber noch lang nicht im Mainstream angekommen.
Die Wertschätzung
„Gestern habe ich in einem Garten Platten verlegt und verfugt, und die Gartenbesitzer haben mir nicht einmal Kaffee oder Wasser angeboten.“ Viele Gartenbesitzer wollen für ihren Garten nicht 35 Euro die Stunde ausgeben und lassen einen anderen kommen, der es billiger macht. Das Problem: Gärtner ist zwar ein anerkannter Ausbildungsberuf, aber viel zu viele Menschen können einfach von sich behaupten, dass sie gärtnern können. Andererseits bekommt Martin L. natürlich auch Anerkennung von Kunden – und natürlich von den Gärten, wenn er sie nach einiger Zeit wieder besucht und schaut, was aus ihnen geworden ist.
Mit unserer „Arbeit in Serie“ werfen wir alle zwei Wochen Schlaglichter auf die Berliner Arbeitswelt, auf spannende Tendenzen und bedenkliche Phänomene. MehrfachjobberInnen, moderne ArbeitssklavInnen, ArmutsrentnerInnen: Wir schauen dahin, wo es wehtut. Aber auch dahin, wo die Berliner Wirtschaft boomt: Immobilienbranche, Unterhaltungsindustrie, digitale Transformation. Wir stellen Fragen nach Wertschätzung und Perspektiven. Wir sprechen mit Menschen, die typisch sind für Entwicklungen und doch auch ihre ganz eigene Geschichte erzählen. Alle Folgen finden sich unter taz.de/arbeitinserie. (taz)
Die Perspektive
„Ich werd’s nicht ewig weitermachen.“ Arbeiten bis zum Umfallen, das kommt für Martin L. nicht infrage, selbst dann nicht, wenn er noch lang gesund bleibt. Manche Gärtner bekommen Arthrose, Gicht, Hautkrebs. Martin L. hatte bis jetzt nur einmal Probleme nach dem Unfall und einmal Probleme mit dem Knie.
Was würden Sie mit unverhofften 100 Euro machen?
Essen gehen.
* Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen