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Die 15-Minuten-WM

Nach dem Aus im Viertelfinale gegen Schweden steht die Frage im Raum, warumdie deutsche Mannschaft nur so selten überzeugen konnte während des Turniers

Aus Rennes Andreas Rüttenauer

Potenzial, Prozess und Zukunft. Das waren die drei zentralen Begriffe, die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nach dem Viertelfinal-Aus der deutschen Mannschaft gegen Schweden verwendet hat. Ihr Team sei jung, es stecke viel Potenzial in der Gruppe. Das frühe Ausscheiden dürfe den Prozess des Neuaufbaus, den sie eingeleitet hat, als sie Ende 2018 des Traineramt übernommen hat, nicht aufhalten. Und um die Zukunft des deutschen Fußballs brauche man sich keine Sorgen machen. Es gebe genügend Talente.

Mit 1:2 hatte die deutsche Auswahl gerade gegen Schweden verloren und nicht wirklich eine Chance gehabt, obwohl sie sogar geführt hatte. Ist da wirklich alles auf einem guten Weg? Gehört die DFB-Auswahl wirklich noch zur Weltspitze, wie es Martina Voss-Tecklenburg meint?

Ja, da waren die ersten 15 Minuten dieses Spiels. Da zeigte sich das deutsche Team so, wie man es im Turnier noch nicht gesehen hatte. Die Spielerinnen waren mit dem festen Vorsatz auf den Platz gegangen, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Der Ball lief flüssig, die Pässe kamen an, Chancen wurden kreiert und verlorene Bälle zurückerobert. Das hatte etwas. Der Trainerin gefiel es. Den Spielerinnen auch. Der Führungstreffer fiel. Aber es waren eben nur 15 Minuten. 15 gute Minuten in drei Wochen Weltmeisterschaft. Man darf sich ruhig Sorgen machen um die Qualität des deutschen Fußballs.

Im Spiel gegen Schweden war es ein hoher Ball, der den Deutschen jedes Selbstvertrauen nahm. Weil hinten die Absicherung fehlte, konnte Sofia Jakobsson in der 22. Minute recht unbedrängt zum Ausgleich einschießen. Die Schwedinnen setzten nun ihre Körper ein, gewannen fast jeden Zweikampf, und als das 2:1 durch Stina Blackstenius kurz nach der Pause gefallen war, verkrampften die Deutschen zusehends. Was blieb, war die Erinnerung an die erste Viertelstunde. Zu wenig.

„Wir sind gut in das Spiel hineingekommen.“ Das ist der Satz, den Fußballerinnen nach so einem Spiel sagen. Lina Magull, die Torschützin zum 1:0, hat ihn gesagt. 24 Jahre ist sie und wird sicher noch lange für die DFB-Auswahl spielen. Andere im Team haben noch mehr Zukunft. Giulia Gwinn, 19, zum Beispiel, die zuerst hinten rechts, dann hinten links gespielt hat und der auch in diesem Spiel mehr gelungen ist als etlichen ihrer Kolleginnen. Sie hat das Team ebenso gut ins Spiel kommen sehen wie Lena Oberdorf, die 17-jährige Schülerin. Ja, da ist Zukunft. Ja, das kann einmal etwas werden. Und es ist durchaus mutig von der Bundestrainerin gewesen, drei Teenager ins WM-Aufgebot berufen zu haben.

Sie haben für die netten Geschichten bei dieser WM gesorgt. Wenn es auf dem Platz schon nicht läuft, dann war es daneben wenigstens schön. Oberdorf, Gwinn und die 18-jährige Klara Bühl, die diesmal nicht zum Einsatz gekommen ist, haben mit ihrer Unbekümmertheit im Umgang mit den Medien vieles überdeckt, was es vom ersten Spiel an zu kritisieren gab. Da gab es zunächst keine Stammelf. Dann wurde noch während des Turniers am System geschraubt, und bis zum Schluss wurde munter auf den Positionen rochiert.

Ist da wirklich alles auf einem guten Weg? Gehört die Auswahl noch zur Weltspitze, wie es die Trainerin meint?

Gegen Schweden startete Alexandra Popp auf der Sechser-Position, in den anderen Spielen war sie als Stürmerin auf den Platz gegangen. Dass die Mannschaft nicht fertig ist, dass sie sich in einem Prozess befindet, das war offensichtlich während des Turniers. Dass Martina Voss-Tecklenburg viel probiert hat, kann man loben, dass sie immer weiter gebastelt hat, kann aber auch als Zeichen von Ratlosigkeit deuten. Sicher hat auch die Verletzung der einzigen deutschen Ausnahmefußballerin Dzsenifer Marozsán im ersten Turnierspiel ihren Teil dazu beigetragen, dass die Trainerin keine Konstanz ins Spiel bringen konnte. Sie war gesetzt als Herz der Mannschaft. Als das nicht mehr schlagen konnte, wurde das Spiel arg amorph. Es zerfiel. Gegen Schweden wurde die genesene Marozsán nach der Pause eingewechselt. Doch das Team hatte sich in den Spielen ohne sie von ihr entfremdet. Sie wurde übersehen. Voss-Tecklenburg meinte beinahe schon trotzig, Marozsán habe genau das gezeigt, was sie von ihr erwartet habe. Welche Rolle sie, die bei ihrem Klub Olympique Lyon über den grünen Klee gelobt wird, in der Nationalmannschaft aber immer wieder Pech hatte, in der weiteren Planung der Trainerin spielt, bleibt abzuwarten. Ein bisschen Gegenwart wird sie noch haben, die Zukunft wird den anderen gehören, den Teenagern im Team.

Auch nach der Niederlage gegen Schweden wollte man etwas Nettes von denen hören. Oberdorf hatte noch Tränen in den Augen, als sie sagen sollte, dass die WM doch auch ein tolles Erlebnis gewesen sein muss, und Gwinn fiel erst mal gar nichts ein. „Was soll ich denn jetzt noch sagen!“, fragte Lina Magull, als sie sich durch die Mixed Zone zum letzten Fragesteller durchgekämpft hatte. „Das ist doch alles beschissen.“ Beschissen ist vor allem die verpasste Olympiaqualifikation. Die ist für die drei besten europäischen Teams der WM reserviert. Im angestrebten Prozess fehlen der Bundestrainerin jetzt Spiele auf hohem Niveau. In der EM-Qualifikation treffen die Deutschen auf Gegnerinnen, „die wir sicher schlagen, sollen, müssen und werden“, wie Voss-Tecklenburg sagte. Das nächste Pflichtspiel bestreiten die Deutschen am 31. August in Kassel gegen Montenegro. Und wenn im Sommer darauf die Olympischen Spiele in Tokio laufen, haben die Deutschen frei.

„Ich möchte gar nicht daran denken“, sagte Lina Magull.

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