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MitdemZugvonBerlinnachMadrid

Nach rund 22 Stunden ist das Ziel erreicht: ein Selbstversuch des Klimas wegen. Auch wenn die Freunde fliegen

Von Plutonia Plarre

Zunächst war es eher als Witz gemeint: „Ich fahre mit der Bahn!“ Von Berlin nach Madrid? „Ha, ha“, lachen die Freunde, mit denen ich rund um den 1. Mai herum einen Kurztripp in die spanische Hauptstadt plane. „Deine Zeit möchten wir haben.“

Die Freunde fliegen. Ist doch klar. Geht nicht nur viel schneller, sondern ist auch viel billiger als eine Bahnfahrt.

Aber Moment mal. Warum eigentlich nicht? Jetzt, wo alle Welt übers Fliegen diskutiert und die Kids gegen die Überhitzung der Erde auf die Straße gehen. „Ich mach’s, wegen Greta und dem Klima.“ Wenngleich es da – um ehrlich zu sein – noch eine andere Triebfeder gibt. Eine Zugreise durch halb Europa – das hat schließlich Charme.

Fahrpläne und Kosten im Internet gecheckt. Das Ticket dann aber doch im „Kopfbahnhof“ gekauft. So heißt die kleine Bahnagentur in der Yorkstraße in Schöneberg, die bekannt dafür ist, die schnellsten und günstigsten Verbindungen herauszufinden. 178 Euro kostet der Fahrschein von Berlin nach Südfrankreich. Und dann noch mal 58 Euro für die Weiterfahrt in Spanien, von San Sebastián nach Madrid.

Also rund 250 Euro zusammen – one way. Schluck. Bei Easy Jet und Ryanair fliegen Frühbucher für 60 Euro und weniger – hin und zurück. „Öko ist eben nicht öko“ bringt Helmut Lutz, Chef des „Kopfbahnhof“, das Problem auf den Punkt. Soll heißen: Ökonomisch ist nicht gleich ökologisch. Aber immer mehr Leute seien inzwischen bereit, ihre Reisegewohnheiten zu ändern, so Lutz’ Eindruck. Mit Zahlen könne er das aber nicht belegen, denn: „Wer aus Überzeugung CO2-arm reist, macht das in der Regel ohne großen Rummel“, weiß Lutz. „Die, die lautes Getöse machen, entscheiden sich am Ende meistens für den eigenen Geldbeutel.“

Reisen mit der Bahn ins Ausland sind teuer. Und Nachtzüge weitestgehend abgeschafft. Nur noch Paris, Wien, Krakau, Budapest, Zürich und Malmö kann man von Berlin per Nachtzug erreichen. „Nach Madrid kommst du nur, wenn du einen Zwischenstopp für die Übernachtung einlegst“, bedauert Lutz. „Kostet natürlich extra.“

Das Härteste ist das Aufstehen. Um 5.28 Uhr startet der ICE am Berliner Hauptbahnhof Richtung Frankfurt/Main. Die Sonne ist gerade aufgegangen. Am Fenster zieht die Mark Brandenburg vorbei. Kiefernwälder, Wiesen und Felder sind in warmes Morgenlicht getaucht. Der Raps steht schon in leuchtend gelber Blüte, auch früher als sonst zu dieser Jahreszeit, das ist das letzte, was ich denke, bevor die Augen zufallen. In Erfurt tönt beim Erwachen aus dem Bordlautsprecher: „19 Minuten Verspätung“ – auf der Strecke sei ein Zug entgleist und mit den Anschlüssen könnte es schwierig werden. „Aber vielleicht holen wir ja noch ein bisschen auf.“

Fahren mit der Bahn ist nicht nur teuer. 25 Prozent der Züge sind unpünktlich. Bei langen Strecken sollte man deshalb größere Abstände bei den Umsteigezeiten einplanen, hat Kopfbahnhofchef Lutz empfohlen. Der Rat zahlt sich aus. In Frankfurt sind es immerhin noch 3 Minuten, um den Zug nach Karlsruhe zu erwischen. Zum Glück liegt nur ein Bahnsteig dazwischen.

In Spanien hält der Zug alle paar Minuten. Intxaurrondo – noch so ein unaussprech­licher Name

In Mannheim wird der Zug voll. In Karlsruhe ist der Himmel grau. Diesmal ist mehr Zeit zum Umsteigen, aber das Warten auf dem zugigen Bahnsteig ist auch kein Gewinn. In grottenschlechtem Englisch kündigt eine Frauenstimme endlich die Ankunft des ICE 9547 nach Paris an. Abfahrt 11.32 Uhr, Bahnsteig 6.

Mit bis zu 320 km/h – man kann es auf dem Monitor im Waggon verfolgen – geht es Richtung Strasbourg. Anzugträger mit Rollkoffern, Handy am Ohr, fluten den Zug. Die Zeitungen habe ich inzwischen durch, jetzt ist das Buch dran.

Um 14.45 Uhr Ankunft in Paris Est: Die Schnauze des ICEs ist mit Blut bespritzt. Nicht nur Insekten, auch Vögel scheint es erwischt zu haben.

In Paris gilt es, den Bahnhof zu wechseln. Das Ticket für die Metro vom Gare de l’Est zum Gare Montparnasse hat mir der „Kopfbahnhof“ mitgegeben. Die Umsteigezeit ist mit zwei Stunden großzügig bemessen. Kurz tauche ich in das Leben der französischen Hauptstadt ein, aber die Zeit drängt einen weiter. Wir sind ja nur auf Durchreise.

Der TGV 8549, gefühlt einen Kilometer lang, schmale Sitze, Kopfstütze, Beinfreiheit, Steckdose an jedem Platz, wartet schon auf dem Bahnhof Montparnasse. Um 15.52 Uhr ist Abfahrt nach Südfrankreich. Durch Tunnel und unter Brücken hindurch lässt man Paris hinter sich. Gelb blüht der Ginster. Der Fensterplatz 77 im ersten Stock eröffnet Blicke bis zum Horizont. Pinienwälder. Äcker, die mit Folien abgedeckt sind, Felder voll mit Photovoltaikanlagen, ein Fußballplatz – die Jungs nehmen gerade Aufstellung zum Wettlauf.

Der Zug ist nahezu ausgebucht. Viele Familien sind an diesem 30. April unterwegs. Die meisten sind in Smartphones oder Tablets vertieft, aber es gibt auch noch Leute, die ein Buch oder eine Zeitung in den Händen halten. Ein allein reisender Vater kümmert sich mit Hingabe um seinen Säugling. Wir rasen mit über 300 km/h durch Frankreich, nahezu geräuschlos. Wenn ein Zug vorbei donnert, bebt der Waggon.

Halt in Bordeaux, dann in den Seebädern Bayonne und Biarritz. An den alten malerischen Bahnhöfen leert sich der Zug. Im Meer sieht man Surfer auf Brettern auf die große Welle warten. Hinter ihnen die untergehende Sonne. Weiter geht es die hügelige Küste entlang bis der TGV um 20.27 Uhr Hendaye erreicht. Endstation in Frankreich und Endpunkt der ersten Etappe. In Hendaye startet auch der Nachtzug nach Lissabon.

„Bon nuit“ und „buenas noches“ flötet es aus dem Bordlautsprecher. Eine spanische señora, die seit Langem in Hendaye lebt und bei der ich mich für die Nacht einquartiert habe, zeigt mir vom Auto aus noch schnell das verschlafene Küstenstädtchen. Im Sommer sei hier die Hölle los … Dann geht es zu dem Häuschen, das sie mit einem großen Hund alleine bewohnt. Seit einiger Zeit werde viel eingebrochen, sagt sie, das liege an den vielen Flüchtlingen.

Am nächsten Morgen Aufbruch nach Spanien. Eine gute Stunde dauert die Fahrt mit der baskischen Regionalbahn nach San Sebastián – Donostia, wie die Basken sagen.

Auf dem ersten Bahnhof hinter der Grenze verändert sich schlagartig das Leben. Auf französischer Seite herrschte am frühen Morgen Totenstille. Menschen strömen nun in den Zug, reden, lachen, Flaschen klirren. Es ist der 1. Mai.

Galtzaraborda: Die Wohnblöcke stehen so dicht am Bahnsteig, dass man an die Geländer der Balkone greifen und die Handtücher und Bettlaken von der Wäscheleine ziehen könnte. Alle paar Minuten hält der Zug – Intxaurrondo, noch so ein unaussprechlicher Name. Zwei Männer begrüßen sich schulterklopfend, sie sprechen einen rasselnden harten Dialekt, lachen und husten dunklen Raucherhusten.

Amara heißt der Endbahnhof in San Sebastián. Die frischen Tapas und Tortillas in der Bahnhofsbar laden zum Frühstück ein. Dann geht es zu Fuß weiter. Der Renfe-Express nach Madrid fährt in einem nahegelegenen Bahnhof ab, der schlicht Donostia heißt.

Noch fünfeinhalb Stunden Bahnfahrt. Druck auf den Ohren, es geht hinauf – die Pyrenäen! Oben nackter Fels, unten grün. Ein bisschen wie in den Schweizer Alpen, nur dass die Dörfer nicht wie Puppenstuben aussehen. Scheunen aus rohen Mauerwerk, Bauernhäuser, oben Fachwerk, unten grob verputzt. Die Jacaranda blühen, liebevoll angelegte Gärten neben dem Bahndamm. Dann wieder Städte, die nur aus Wohnblocks bestehen, Industrieanlagen und Parkplätze voller Autos.

Die Stimmen im Waggon sind gedämpft. Ein Mann schläft mit dem Kopf auf dem Tisch. Ein Pärchen, sie lange braue Haare, schulterfreies Top, er über der Stirn schon etwas schütter, spielen ein Brettspiel. Sie mischt mit langen schwarz lackierten Nägeln die Karten. Und wieder Halt, in Valladolid Campo Grande, ein altes Bahnhofsgebäude, roter Stein, weiß eingefasste Fensterbögen. Auf dem Monitor über den Sitzreihen läuft ein Film über spanische Maler. Es duftet nach Kaffee, die Nachbarn waren im Speisewagen. Die Sonne kommt raus. In Burgos Rosa de Lima hält der Zug mitten in der Pampa.

Die Landschaft wird immer trockener. Pinienwälder. An den Gleisen blüht Mohn. Begrenzungsanlagen. Felder mit Weinstöcken. Im Westen Berge – wir sind auf der Hochebene angekommen. Am Horizont zeichnet sich die Skyline der spanischen Hauptstadt ab. In den verspiegelten Fenstern der markanten vier Wolkenkratzer reflektiert sich die Sonne. Nach rund 22 Stunden Fahrt und sechsmal umsteigen ist am Nachmittag das Ziel erreicht.

Eine trockene Hitze empfängt mich in Madrid-Chamartín. „Auch schon da?“, begrüßen mich die Freunde. Wie die Reise war? Lang war’s, aber schön. Ich würde es wieder tun. Zurück nehme ich dann aber den Flieger.

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