Obdachlosenverein Straßenfeger: Haste ma ’n Haus?

Eine Mäzenin überlässt vor zwanzig Jahren ihre Immobilie in Toplage dem Obdachlosenverein Straßenfeger. Dafür wird sie nun geehrt.

Die Eigentümerin Marola Lebeck im Gespräch mir Sawsan Chebli vor der neuen Gedenktafel in der Oderberger Straße 12

Marola Lebeck in grüner Bluse vor der neuen Gedenktafel in der Oderberger Straße 12 Foto: Manuela Heim

Es gibt diesen blöden Immobilienmaklerspruch: „Drei Punkte entscheiden darüber, wie lukrativ eine Immobilie ist. 1. Lage. 2. Lage. 3. Lage“. Nach dieser Branchenmaxime ist das Haus in der Oderberger Straße 12 ein Volltreffer. In unmittelbarer Nähe zur Kastanienallee, in durchsanierter, baumreicher Umgebung, Prenzlauer Berg, wo es am schönsten ist. Dass das Haus außerdem noch ein Stilaltbau der Jahrhundertwende ist, in ansprechend erdigen Farben saniert, mit Hinterhaus und Gärtchen – Makler würden sich alle zehn Finger lecken, käme dies Objekt auf den freien Markt.

Doch die Oderberger Straße 12 wird die nächsten 30 Jahre in keinem Verkaufsportal landen. Das Haus gehört der Spandauerin Marola Lebeck und die hatte vor 20 Jahren andere Pläne mit ihrem Besitz. Damals überließ sie es dem Verein Straßenfeger für 50 Jahre in Erbbaupacht. Seit Dienstag ehrt eine Gedenktafel an der Fassade ihr Engagement.

Zur Enthüllung der Tafel spricht unter anderem Barbara John, Vorstandsvorsitzende des paritätischen Wohlfahrtverbandes. „Wir alle reden dauernd davon: Was ist gerecht?“ Die Politik allein könne darauf keine Antwort geben, deshalb sei ihr die eines amerikanischen Philosophen die liebste: „Wir müssen und können die Menschen nicht alle gleichmachen. Aber, die, die mehr mitbekommen haben, haben die Pflicht, etwas abzugeben.“ Es ist gewiss auch John klar, dass der überwiegende Teil der Wohlhabenden das anders sieht. „Aber hier steht eine Frau, die hat das gemacht.“ Auch Sawsan Chebli, Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement, richtet in ihrer Ansprache „den Scheinwerfer auf Menschen wie Sie“.

Unprätentiöse Eigentümerin

Marola Lebeck selbst spricht erst nach dem offiziellen Teil. Die 76-Jährige in der grünen Bluse, mit dem praktischen Kurzhaarschnitt, hält sich unprätentiös im Hintergrund. „Ich genieße, was hieraus geworden ist, der Verein soll im Mittelpunkt stehen.“ Natürlich habe es damals wie heute Menschen gegeben, vor allem Anwälte, die ihr bescheinigt hätten, sie wäre verrückt. Kurz nachdem ihr das Haus in einem langwierigen Verfahren nach der Wende rückübereignet wurde, habe sie in einer Obdachlosenzeitschrift von einem Selbstbauprojekt mit ehemaligen Obdachlosen im Odenwald gelesen. „Ich wollte, dass hier genau so etwas entstehen kann.“ Ihr Mann, die Kinder als potenzielle Erben, seien sofort einverstanden gewesen.

Über vier Jahre renovierten der Verein Straßenfeger mit Mitteln des Landes und gemeinsam mit ehemaligen Obdachlosen das sanierungsbedürftige Haus. Einige derer, die damals Bauschutt schleppten und Bäder fliesten, wohnen noch heute im Haus. Für maximal 5,85 Euro pro Quadratmeter, in den Nachbarhäusern wird schon mal 16 Euro Kaltmiete verlangt. „Wenn ich hier nicht untergekommen wären, hätte ich wegziehen müssen“, sagt etwa Sebastian Ulitzka, der im Kiez aufgewachsen ist und vor drei Jahren aus seiner Wohnung flog. Inzwischen arbeitet er regelmäßig in den Hilfsprojekten des Straßenfeger-Vereins.

„Das Haus ist unser Eigenkapital, dass uns all unsere anderen Projekte ermöglicht“, sagt Tanja Schmidt vom Vorstand. Nach der Einstellung des gleichnamigen Obdachlosenmagazins und eines Obdachlosencafés im vergangenen Jahr ist das vor allem eine ganzjährige Notübernachtung in der Storkower Straße. Immer wieder kommen Menschen von dort auch in der Oderberger Straße 12 unter.

Eigentümerin Marola Lebeck

„Ich genieße, was aus dem Haus geworden ist“

Die zurückhaltende Mäzenin posiert indes noch für einige Fotos. „Ich will es ihnen leicht machen“, sagt sie in Richtung Journalisten. Und Barbara John, das Urgestein der Hilfeszene Berlins, mahnt am Ende ihrer Ansprache: „Wir alle haben Möglichkeiten, das, was wir haben, mit anderen zu teilen.“ In einer Stadt, in der bezahlbare Wohnungen inzwischen die härteste Währung sind, dürfen sich Immobilienbesitzer ruhig besonders angesprochen fühlen.

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